Wirtschaft
anders denken.

Retourkutsche für Exportüberschüsse? Trumps Strafzölle und die deutsche Leistungsbilanz

03.03.2018
GemeinfreiZollkontrolle an der deutsch-dänischen Grenze um 1910

Zwei Aspekte der Debatte um die angekündigten US-Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte sollen hier noch einmal aufgegriffen werden: Was hat Trumps Protektionismus für die Beschäftigten in den USA und denen in anderen Ländern für Folgen? Und was hat das ganze mit der deutschen Leistungsbilanz zu tun?

Ein Zusammenhang zwischen beiden Fragen wird in der Reaktion des Linkspolitikers Klaus Ernst auf den »drohenden Handelskrieg zwischen Amerika, China und der EU« hergestellt: Ernst bezeichnet die »Absicht des US-Präsidenten, Industriearbeitsplätze im eigenen Land zu schützen und neue zu schaffen« als »im Kern nicht verkehrt«. Dazu aber, sagt der deutsche Gewerkschafter, hätte man »auf gemeinsame zwischenstaatliche Lösungen zum Abbau von Überkapazitäten« setzen müssen – was unter den Bedingungen internationaler Konkurrenz um Marktanteile in Zeiten von schwach ausgelasteten Produktionsbereichen zwar denkbar ist, aber ein wirtschaftspolitisches Denken voraussetzen würde, das transnationale industriepolitische Planung ermöglicht.

Stattdessen stehen nun viele Zeichen auf »Handelskrieg«, wobei einige Experten weiterhin glauben (siehe etwa hier), Trump würde am Ende doch nicht so weit gehen, dass andere WTO-Staaten tatsächlich zu handelspolitischen »Vergeltungsmaßnahmen« greifen, also ebenfalls Strafzölle verhängen. Kommt es dazu, glaubt Ernst, hätte dies Folgen, »die weder den Beschäftigten hüben noch drüben nützen«.

Dazu lässt sich auf eine kleine Konversation auf Twitter verweisen, die am Freitag lief und in welcher der Ökonom Jens Südekum auf einen älteren Text über »Die Logik der Trumponomics« verwies und auf zwei aktuelle Aspekte zu sprechen kam. Erstens: »Er scheißt auf die Konsumenten und die Arbeiter in anderen Wirtschaftszweigen, nur um ein paar schöne Bilder mit Stahlarbeitern zu kriegen.«

Auch wenn Südekums Text vom Januar 2017 die aktuellen Strafzölle noch nicht einpreisen konnte, lässt er sich hier bestens zitieren: »Abgesehen davon, dass diese Politik ein Desaster für viele amerikanische Konzerne wäre, die existentiell von globalen Wertschöpfungsketten abhängen: Kurzfristig ist es möglich, dass sie wie ein Konjunkturpaket für den heimischen Arbeitsmarkt wirkt, weil extreme Anreize für heimische Produktion geschaffen werden. Die amerikanische Jobmaschine springt an, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe. Dieses ist räumlich konzentriert im Mittleren Westen, wo Trump die entscheidenden Stimmen für seinen Wahlerfolg eingesammelt hat. Kurzfristig löst er also seine Wahlkampfversprechen ein.«

Die so angeworfene, regional und branchenmäßig begrenzte Jobmaschine, würde aber alsbald wieder ins Stottern geraten. Käme es zu einem Handelskrieg, würde dies »langfristig einfach zu geringeren Handelsvolumina und dadurch zu weniger statt zu mehr Arbeitsplätzen« führen, so Südekum. Man könnte Trumps Strategie also als politisch dominiert ansehen, ökonomisch erscheint sie auch aus »kapitalistischer Sicht« und der des US-Standorts als unsinnig.

Südekum spricht in seinem Text auch schon die Folgen für die globalen Handelsbilanzen an. Hier hakt auch der Linkspolitiker Ernst ein. Der weithin hörbaren Empörung in Deutschland, Politik und Unternehmenslobby hissen ja bereits ihre Handelskriegsfahnen und das Publikum wird mit Meldungen a la »Wird jetzt bald alles teurer?« vorbereitet, hält der Gewerkschafter vor, sie sei »wohlfeil«. Warum?

Weil gerade »die hartnäckige Weigerung« des Berliner Standortnationalismus, »die strukturellen deutschen Exportüberschüsse anzugehen«, viele Defizitländer »in Bedrängnis« bringt. Ernst sieht Trumps Strafzölle hier als »Retourkutsche« und fordert »eine Handelspolitik, die nicht nur auf Wettbewerb und niedrigste Preise setzt, sondern regionale Besonderheiten berücksichtigt, Umwelt- und Sozialstandards auf höchstem Niveau festschreibt und die positive wirtschaftliche Entwicklung aller Regionen zum Ziel hat.« Womit wir wieder bei der Voraussetzung wären: Ohne eine koordinierte, nicht an nationalen Standortinteressen ausgerichtete wirtschaftspolitische Steuerung wird das kaum gehen.

Auch der Linkspartei-Politiker Fabio De Masi pocht auf diesen Punkt: Strafzölle seien ein »falscher Weg«, twitterte der Ex-Europaabgeordnete. Den deutschen Klagen müsse aber ein Spiegel vorgehalten werden. »Wer Kritik an chronischen Exportüberschüssen nicht ernst nimmt, erntet Donald Trump.« Diese Kritik ist seit langem im Umlauf, sie ist durchaus auch auf der politischen Bühne angekommen, dort wird hier und da einmal darüber gesprochen – aber es gibt praktisch keine durchgreifende Kursänderung.

De Masi verweist auf einen älteren Text von sich, in dem er im vorigen Sommer schrieb: Man täte gute daran, die Kritik des US-Präsidenten an den  hohen Exportüberschüsse der Deutschen »ernst zu nehmen«. Die Bundesrepublik lebe volkswirtschaftlich gesprochen »vom Konsum der Anderen. Wir verkaufen (exportieren) ständig mehr ins Ausland als wir von dort einkaufen (importieren). Unser Leistungsbilanzüberschuss beträgt mittlerweile 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Exporte machen 46,8 Prozent unseres BIP aus«, so De Masi damals. »Wir machen unsere Binnenwirtschaft kaputt und provozieren internationale Reaktionen. Es macht eben einen Unterschied ob eine Maus einen Schäferhund beißt oder umgekehrt.«

Die hiesigen Lautsprecher der exportnationalistischen Strategie, die anderen Volkswirtschaften Probleme macht, behelligen diese dann gern auch noch mit dem Rat, es doch einfach wie die Deutschen zu machen und mit »schmerzhaften Reformen« bessere Voraussetzungen zu schaffen. Motto: Wenn alle Exportweltmeister sind, wird die Welt gut. Dass hier allein schon die Logik entgegensteht, ist das eine. Das andere ist, in wessen Interesse solche wirtschaftspolitischen Strategien überhaupt sind. Denn es produzieren, exportieren oder importieren ja nicht einfach Länder, sondern hier »passiert Ökonomie«, bei der unter dem Strich die Reichtumsproduktion der Vielen von einigen Wenigen angeeignet wird.

De Masi im Sommer 2017: »Es können nun mal nicht alle gleichzeitig mehr exportieren – außer auf den Mars. Denn China oder die USA werden sich auf Dauer nicht gefallen lassen, dass Europa sie mit Waren und Dienstleistungen überschwemmt.« Es gebe natürlich Alternativen, so der Bundestagsabgeordnete, dabei gehe gar »nicht zwingend darum, weniger zu exportieren, sondern eben mehr im eigenen Land zu investieren und durch höhere Löhne auch mehr zu konsumieren. Dadurch verringert sich der Exportüberschuss«.

Der frühere Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck äußerte sich im Deutschlandfunk ähnlich. Die Europäische Union habe Überschüsse erwirtschaftet, die in erster Linie deutsche Überschüsse seien – die USA hätten dagegen seit 30 Jahren Defizite. »Das liege unter anderem auch an der Lohnzurückhaltung in Deutschland, die vor 15 Jahren dazu geführt habe, dass Deutschland unter dem Schutz des Euro extrem wettbewerbsfähig geworden sei«, fasst der Sender das Gespräch mit Flassbeck zusammen. »Deutschland sei zwar kein Billiglohnland, aber billig im Verhältnis zu seiner Produktivität.« Die »einzige vernünftige Maßnahme wäre, dass Deutschland sagt, jawohl, wir haben verstanden, wir wollen keinen Handelskrieg, wir werden jetzt alles dafür tun, dass unser Überschuss verschwindet – und zwar so schnell wie möglich«, sagte der Ökonom. Die zentrale Frage im Verhältnis zwischen der EU und den USA sei dann, ob Europa bereit sei, ein anderes Wirtschaftsmodell umzusetzen, in dem es sich wie die USA auf seinen Binnenmarkt konzentriere anstatt immer nur über mehr und bessere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen zu reden.

Jens Südekum hat auf den Vorhalt, es sei doch immerhin etwas, wenn Trump nun mit den Strafzöllen etwas für jene Regionen der USA tut, »die seit 20 Jahren verlieren«, mit einem Kuchen-Bildnis reagiert: »Nicht durch blödsinnige Instrumente wie Importzölle« solle man diesen sprichwörtlichen »Kuchen« klein halten, sondern ihn stattdessen »maximieren« und die »Portionen gerecht verteilen«. Das »wäre doch für alle besser, inklusive für« die Regionen der USA, die von den strukturellen Veränderungen der vergangenen 30 Jahre stark betroffen waren.

Abschließend noch ein Hinweis auf eine Text von Guido Speckmann, der auf einige grundlegende Fragen des Freihandels eingeht, für den nun hier in Europa die Banner der Guten geschwungen werden – in »Analyse & Kritik« nennt Speckmann dies: »Protektionismus der Reichen«. Auch dieser Text ist schon ein bisschen älter, aber das ist auch in diesem Fall kein Mangel: »Unlauter sind immer nur die anderen«, heißt es darin – mit Blick auf China und seine Stahlproduktion, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Ende 2017 gerade schwer in der Kritik waren.

»Der Vorgang ist ein Musterbeispiel, für die allenthalben waltende Doppelmoral in der Handelspolitik – und dafür, wie man mit positiv besetzten Begriffen Politik macht.« Denn protektionistische Maßnahmen ergreifen praktisch auch jetzt schon alle Seiten – »mit Importzöllen nimmt die EU Jahr für Jahr Milliarden ein, 2014 waren es 16 Milliarden Euro«. Auch die europäische Handelspolitik sei »wie überall eine Mischung aus Freihandel und Protektionismus. Allein in den europäischen Agrarsektor fließen 40 Prozent des EU-Haushalts. Subventionierte Agrarprodukte fluten die Märkte anderer Kontinente. Dortige Produzenten sind dieser Konkurrenz hilflos ausgeliefert. Fairer Freihandel?«

Die Sache, so Speckmann, sei »eine Frage der Perspektive, der Wettbewerbsfähigkeit und des Profits« – und wer in dessen Namen gerade politisch versucht, Boden gut zu machen. In seinem Text spielt dann auch der Stahl aus China eine Rolle, der durch den raschen und starken Ausbau der dortigen Kapazitäten die bisherige »Ordnung« auf dem Markt hinwegfegte. Hier wäre wir damit wieder bei den Überkapazitäten und der Frage, ob es eine gemeinsame wirtschaftspolitische Steuerung geben könnte, die in globaler Perspektive etwas dagegen tut. Mit Trump sicher nicht.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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