Wirtschaft
anders denken.

Retten, regenerieren, teilen, pflegen

06.08.2021

Die Revolution reißt nicht nur das Eigentum an sich, sondern rettet, teilt und pflegt. Eva von Redecker entwirft eine Gesellschaftsanalyse mit Relevanz für Ökonom:innen.

Das Eigentum nimmt in der Ausbildung der Ökokonom:innen eine eigenartige Rolle ein. Es wird zwar ständig erklärt, wie wichtig Privateigentum für eine effiziente Ökonomie sei, und die meisten müssen im Grundstudium öffentliches Recht belegen. Dort wird ein halbes Jahr lang, neben der Berufsfreiheit, das Rauf- und Runterbeten der Inhalte und Schranken von Artikel 14 Grundgesetz (Eigentum) eingeübt. Nach Bestehen der Klausuren wird das alles für den Rest des Studiums wieder vergessen. So lernt man zum Beispiel später den zweiten Satz der Wohlfahrtsökonomik: „Jede Verteilung von Gütern kann durch Änderung der Anfangsverteilung erreicht werden“. Welchen Grad an Umverteilung innerhalb der deutschen Verfassung möglich wäre, wird dann aber nicht mehr thematisiert, alle Überlegungen bleiben abstrakt und auf die Modellwelt beschränkt.

Eva von Redeckers Buch „Revolution für das Leben“ bietet hier einen erfrischend anderen Zugang. Allem voran ist da die historische Einbettung, die zeigt, dass in der Geschichte Besitz auf viele verschiedene Arten und Weisen organisiert wurde. Es gibt eben nicht das Eigentum, so wie es im Hörsaal und medial oft suggeriert wird. Es nimmt historisch vielmehr eine Vielzahl institutioneller Formen an, die verschiedene Rechte und Pflichten mit sich ziehen. Die hegemoniale Form des Eigentums bezeichnet Redecker treffend als „absolute Sachherrschaft“ und sie zeigt, wie diese zunächst im Zuge des Kolonialismus und dann der Globalisierung gewaltsam „jeden Winkel der Welt erobert“ hat. Sachherrschaft stellt dabei eine totale Verfügungsgewalt über das Eigentum dar, anders als frühere Formen des Besitzens, beinhaltet dies auch das Recht es sinnlos zu zerstören.

Viele ihrer folgenden Überlegungen zum Kapitalismus werden versierten Marxist:innen sehr vertraut vorkommen. Einhegung, Warenfetisch, Profitzwang und mehr werden plastisch und leicht verständlich erklärt, ohne dabei zu sehr zu vereinfachen. Dabei helfen ihre Beispiele, die oft aus der Landwirtschaft kommen. So wird etwa aus dem durch Kanalisation und Urbanisierung unterbrochenem Stickstoffkreislauf, Marx‘ Vampirmethapher und dem Sammeln von Gebeinen auf Schlachtfeldern (vor Erfindung des Kunstdüngers wurde mit Knochenmehl gedüngt) eine Analyse, welche die Ausbeutung der Natur und die der Menschen immer zusammen denkt und dabei das Augenmerk auf das lenkt, was nicht verwertbar ist: Den Müll, die Abgase, den Ausschuss.

So bietet Redecker auch Expert:innen der politischen Ökonomie interessante Konzepte und Perspektiven. Der Begriff des Phantombesitzes ist hier hervorzuheben. Damit beschreibt Redecker das Phänomen, dass Personengruppen, die früher der Sachherrschaft unterworfen waren, wie etwa versklavte Personen oder Frauen, diese immer noch nicht vollends abschütteln konnten. Soziale Positionen und Identitäten werden laut Redecker immer noch von der alten Herrschaft durch Besitz überschattet, denn liberale Emanzipation zog immer nur das Gewähren von Rechten in Form des Selbstbesitzes nach sich. Forderungen wie die nach „vierzig Morgen Land und einem Maultier“ der Anti-Sklaverei-Bewegung in den USA, welche einen Teil der ökonomischen Macht der herrschenden Klasse entzogen hätten, blieben unerfüllt. Auch nach der formalen Befreiung haben die meisten immer noch „ein allzu gutes Gespür dafür, wer im Zweifelsfall nimmt und wer genommen wird“ und viele verhalten sich dementsprechend. Diese Unterteilung in Menschen, die besitzen, und Menschen, die besessen werden, ist, so Redecker, ein zentraler Bezugs- und Mobilisierungspunkt für die moderne Rechte.

Ein anderes Thema sind die sich wandelnden Sachherrschaftverhältnisse der Gegenwart. Am auffälligsten sind hier die unzähligen „X-as-a-service“ Geschäftsmodelle. Bei Musik und Filmen scheinen die gesellschaftlichen Folgen ihrer zunehmenden Verbreitung noch übersichtlich zu sein. Bei Software wie der Adobe Creative Cloud, wird die Entwicklung schon deutlicher: Egal ob sie gerade Aufträge haben oder nicht, müssen freiberufliche Illustrator:innen, Fotograph:innen oder Designer:innen monatlich einen Teil ihres Einkommens an den Hersteller überweisen, sonst verlieren sie den Zugang zu ihren Arbeitsmitteln. Dieses Modell greift auch auf materielle Güter über. Schon jetzt gibt es Autos mit elektronisch freischaltbaren Zusatzfunktionen und Geräten, die verhindern, dass sich Autos starten lassen, wenn die Versicherung oder die letzte Rate des Kredits nicht bezahlt wurde. Die „Einkreisung“ durch die Sachherrschaft ist allgegenwärtig und ihre Kreise werden immer enger.

Aber wie organisiert sich Widerstand gegen die Sachherrschaft? Eva von Redecker fasst die emanzipatorischen sozialen Bewegungen unserer Zeit als die titelgebende Revolution für das Leben auf.

Für Redecker hat die Vorstellung der Revolution als finale Passage zur befreiten Gesellschaft nur wenig mit der Realität zu tun. Das Ziel kann nicht sein, dass Eigentum in einem finalen Akt an uns zu reißen, vielmehr geht es darum zu „retten, regenerieren, teilen und pflegen“. Sie weigert sich den Leser:innen eine vorgefertigte Lösung zu präsentieren und fordert sie stattdessen dazu auf, im aktiven Streik neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln.

Revolution für das Leben gelingt, was nur wenige Bücher schaffen. Als literarisches Sachbuch funktioniert als verständliche Einstiegslektüre in die politische Ökonomie, gerade für Leute die mit einem Kapitallesekreis (noch) nicht viel anfangen können. Gleichzeitig bietet es auch Expert:innen viele neue Denkanstöße. Es ist also ein Buch für viele Anlässe.

 Eva von Redecker: Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen, 2020, 320 Seiten.

Geschrieben von:

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