Wirtschaft
anders denken.

Richard Thaler und das verkaufte Lachen

12.10.2017

Richard Thaler, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, und seine Idee des Nudgings wollen den Homo oeconomicus nicht abschaffen, sondern technokratisch produzieren. So Mitglieder des Netzwerkes für Plurale Ökonomik und Was ist Ökonomie.

Seit der Vergabe des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften an Richard Thaler am Montag dieser Woche liest man in Zeitungen und Social Media Kanälen (z.B. hier und hier), dass dieser dem wohl bekanntesten Objekt der VWL-Kritik, dem homo oeconomicus, den Todesstoß verpasst habe. Damit einher geht das Lob, dass die VWL im Zuge der Verhaltensökonomie mehr real-world- Elemente aufweisen würde. Genau diese Forderung findet sich auch in Teilen der Pluralen Ökonomik wieder. Jedoch zeigt ein genauerer Blick auf Thalers Werk, dass es ihm nicht darum geht, VWL-Modelle realitätsnäher zu machen, sondern eher das Gegenteilige: die Welt mehr zum Modell zu machen.

Wie Thaler in einer Rede vor der American Economic Association 2016 selbst sagte, bleiben die Eigenschaften des homo oeconomicus das optimale Verhalten für Menschen. Das erklärte Ziel aktueller verhaltensökonomischer Forschung à la Thaler ist es, menschliches Verhalten besser zu verstehen. Tatsächlich jedoch vergleichen sie die »kognitiven Verzerrungen« menschlichen Verhaltens mit dem weiterhin als Ideal eingestuften Verhalten des homo oeconomicus. Thaler und seine Kolleg_innen unterteilen dabei Menschen, deren Verhalten sie untersuchen, in zwei Typen: die fehler- und lasterhaften Humans und die »rationalen« Expert_innen, der Spezies der Econs zugehörig, die wissen, was gut für die Humans ist. Dabei entstehen schnell pathologisch angehauchte Diagnosen, die auf die mangelnde Selbstkontrolle von Personen verweisen.

In einem zweiten Schritt sollen diese Expert_innen Wege finden, wie die Abweichungen vom idealen Verhalten bei Humans behoben werden können. Dafür werden Nudges, kleine Stupser, genutzt, die dazu führen sollen, dass Menschen eher so entscheiden, wie es ein Econ tun würde. Beispielsweise sollen sie angehalten werden, gesünder zu essen, indem Obst und Gemüse in Cafeterien sichtbarer platziert wird. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die private Rentenversicherung in den USA. Anstatt wie bisher jedes Jahr den Betrag auswählen zu müssen, ist für Einzahler_innen nun automatisch der Vorjahresbeitrag voreingestellt. Menschliche Verhaltensweisen werden so nicht mehr nur durch offene Regeln und Instrumente wie Steuern politisch gelenkt, sondern stärker durch subtile »Entscheidungsarchitekturen«, die bestimmte »rationale« Handlungsoptionen vereinfachen und andere erschweren. An dieser Stelle soll nicht diskutiert werden, ob gesündere Ernährung oder mehr private Vorsorge erstrebenswerte Ziele sind, in manchen Fällen mag dies der Fall sein. Die Gefahr besteht darin, dass durch diese subtilere Art der Politik gesellschaftliche und politische Debatten über erstrebenswerte Lebens- und Verhaltensweisen umgangen werden können und diese Entscheidungen in die Hände der Expert_innen gelegt werden. So propagiert Thalers Co-Autor Cass Sunstein Nudging als »einen völlig neuen politischen Ansatz. Man kann ohne Gesetze und Verordnungen seine Ziele erreichen.« Thaler und Co geht es dabei darum, dass gerade Verhaltensweisen, die dem unabhängigen, rational kalkulierenden homo oeconomicus zugeschrieben werden, in der Gesellschaft weiter verbreitet werden.

Diese Gedanken Thalers und seines Kollegen Cass Sunstein haben schon weitreichenden Einfluss in der Politik des Globalen Nordens wie Südens. So gibt es u.a. in Großbritannien, der Europäischen Kommission sowie der Weltbank und auch am Bundeskanzleramt sogenannte Nudge Units, deren Aufgabe es ist, sanfte Anstupser zu designen. Auch in der Entwicklungsökonomik wird immer mehr auf diese kleinsten, kaum wahrnehmbaren Interventionen gesetzt. So spricht sich auch eine der führenden Entwicklungsökonom_innen Esther Duflo in einigen Studien für einen »libertären Paternalismus« nach Thaler und Sunstein aus. Der Kern dieser neuen Regierungsform: So viel Freiheit für die Econs wie möglich, bei so viel Kontrolle für die unkalkulierbare Masse der Humans wie nötig. Mit Richard Thaler hat also ein Ökonom den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten, der homines oeconomici nicht abschaffen, sondern technokratisch produzieren möchte.

Zum Weiterlesen:

Ein Großteil dieses Artikels beruht auf der Lektüre von: Thaler, R. and Sunstein, C.(2008): Nudge. Improving Decisions about Health, Wealth and Happiness. Yale University Press.

Für eine kritische Einführung in die Verhaltensökonomie:

https://www.exploring-economics.org/de/orientieren/verhaltensoekonomik/

Geschrieben von:

Was ist Ökonomie

studentische Initiative

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