Wirtschaft
anders denken.

Enteignung von links? Ein Tweet von Riexinger und der Sachverstand des »Aktionärs«

19.04.2018
Fridolin freudenfett, Lizenz: CC BY-SA 4.0Deutsche Wohnen

Ein »Amok laufender Enteignungspolitiker«, die Zeitschrift »Aktionär« und die Rendite, die sich mit Aktien von Wohnungsunternehmen erzielen lässt: Vier Anmerkungen zum Sachverstand von Bernd Förtsch, zum Spielraum des Grundgesetzes und zum »Mietenwahnsinn«.

Man darf von einer Zeitschrift, die »Der Aktionär« heißt, nicht viel mehr erwarten, als Leuten, die schon genug davon haben, bei der Beantwortung der Frage »Was tun mit meinem Geld?« beratend beizustehen. Man muss bei so einem Blatt auch keine besondere Kenntnis ökonomischer Zusammenhänge einkalkulieren. Und natürlich: Zum Glück darf man hierzulande auch deftig politisch polemisieren. 

Das hat der Herausgeber des »Aktionär« gerade getan – und dabei allerlei Invektiven gegen den Vorsitzenden der Linkspartei aufgefahren. Bernd Riexinger taucht in dem Kommentar von Bernd Förtsch als »Amok laufender Enteignungspolitiker« auf – Anlass ist ein Tweet Riexingers, in dem dieser anlässlich der Demonstration gegen den »Mietenwahnsinn« darauf bestand: »Zur Not müssen Vonovia und Deutsche Wohnen enteignet werden.« Auf diesem Wege, so lässt sich die kurze Mitteilung des Politikers lesen, könne man »mehr Mieterrechte und bezahlbaren Wohnraum« erreichen.

»Vorsicht, Enteignung von links!«, empört sich nun Förtsch. Dass er dabei auch gegen »abstruse links-grüne Stadtentwicklungsprojekte wie Gender-Klos« lästert, ist das eine. Das andere ist: Der Oberaktionär gefällt sich darin sehr, den ökonomischen Sachverstand Riexingers in Zweifel zu ziehen. Das kann man machen, aber vielleicht nicht unbedingt mit der etwas holzschnittartigen Behauptung, »dass Preise eine Folge des Auseinanderdriftens von Angebot und Nachfrage sind«. 

Ein Prozess der Kapitalverwertung

Man könnte es nämlich, erstens, auch so formulieren: Die Wohnungsvermietung ist ein Prozess der Kapitalverwertung, in dem mehrere Faktoren wirken. Die Miethöhe entsteht also mitnichten bloß aus einem einfachen Angebot-Nachfrage-Zusammenhang, sondern »stets mit Rücksicht auf das sich in den Sphären der Produktion und Zirkulation verwertende Kapital sowie das Rente ziehende Monopol an Grund und Boden erfolgt, bilden die Amortisation der Baukosten, der Zins auf das vorgeschossene Kapital und die Grundrente«, wie es hier einmal schön kurz formuliert wurde. Die ausschlaggebenden Bestandteile des Mietpreises sind also vielfältiger.

Zweitens: Wo Förtsch darauf hinauswill, die »Twitter-Absonderungen zur Demonstration vom vergangenen Wochenende gegen den Mietenwahnsinn« als »Gedankengut aus der kommunistischen Diktatur« zu diffamieren, könnte man auf die geltenden Regelungen zu sprechen kommen, unter denen Enteignungen möglich und erlaubt sind. 

Damit hier nicht der Eindruck entsteht, dieser Text würde von »Amok laufenden Enteignungspolitikern« verfasst, soll die »Frankfurter Allgemeine« zitiert werden: »Enteignungen sind nach dem Grundgesetz ausdrücklich erlaubt – allerdings nur, wenn sie ›zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen‹. So steht es in Artikel 14 Absatz 3. Der ehemalige Eigentümer muss zwar eine Entschädigung enthalten. Diese ist aber, wie es in der Verfassung heißt, ›unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen‹.«

Was dient dem Wohle der Allgemeinheit?

Man muss nicht erst ein rechtspolitisches Seminar veranstalten, um zu erkennen, dass es hier auch um grundlegende Fragen der, sagen wir es so: Verfassungsauslegung und Verfassungswirklichkeit geht. Das wäre dann drittens: Was dient dem Wohle der Allgemeinheit? Worin findet dieses Wohl seine Schranken, etwa in den privaten Verfügungsrechten von Eigentümern oder Aktionären, die zum Beispiel Papiere der Vonovia und der Deutsche Wohnen halten, weil sie sich von Förtsch bei der Frage haben helfen lassen: »Was tun mit meinem Geld?« 

Oder: Was sind die Interessen der Allgemeinheit? Da kommen wir aufs Grundsätzliche, das man in die Frage kleiden könnte: Bestimmt das Grundgesetz irgendeine besondere Wirtschaftsform, so dass man sich mit dem Verweis auf die Verfassung erlauben dürfte, es sei eine Art Grundrecht, mit Wohnraum zu spekulieren oder eine hohe Rendite vor das Wohl der Mieter zu setzen? Das ist am Ende eine politische und keine juristische Frage. 

Wie sieht es aber mit dem Spielraum zu ihrer Beantwortung aus? Statt einen »Amok laufenden Enteignungspolitiker« zu zitieren, wollen wir an dieser Stelle dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier das Wort erteilen: Das Grundgesetz, verweist dieser auf ein Karlsruher Urteil, enthalte »keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung«. Der Kapitalismus oder »die Marktwirtschaft« ist da also nicht explizit »festgeschrieben«. Auch müssten sich keine Regierung und ihre Gesetzgebung »in jedem Fall wirtschaftspolitisch neutral verhalten«. Möglich sei, »die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachte«. In dem, siehe oben, auch Enteignungen vorgesehen sind. Zudem soll da auch was von Würde stehen, von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und so fort.

»Wirtschaftspolitische Unvernunft ist kein Verfassungsbruch.«

Und weil es ja auch um grundlegende Ansichten über »das Wirtschaften« geht, auch noch dieses Zitat von Papier: »Maßnahmen staatlicher Wirtschaftspolitik sind deshalb vom Bundesverfassungsgericht auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt der Marktkonformität oder hinsichtlich ihrer ›Prinzipientreue‹ zur Wettbewerbsordnung überprüft worden.« Dazu gibt es den schönen Satz: »Wirtschaftspolitische Unvernunft ist also noch kein Verfassungsbruch.« Dieser gilt für Neoliberale, für Sozialisten, für Marktfreunde – genauso wie für andere.

Aber zunächst weiter, zu viertens: Zu beantworten wäre vorher aber noch: Sind denn börsenorientierte Wohnungsunternehmen wie die beiden genannten »schlimmer« als andere? Dazu, auch hier lassen wir lieber keinen »Amok laufenden Enteignungspolitiker« zu Wort kommen, der kleine Hinweis auf eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung für das Bundesbauministerium aus dem vergangenen Jahr. 

Wie das BBSR in seiner Studie schreibt, haben börsennotierte Wohnungskonzerne bisher »keine marktbestimmende Position erreicht«. Ausnahmen gibt es freilich, und die wirken sich auch deutlich aus. So dominieren solche Unternehmen einzelne regionale Teilmärkte. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass »sich ihre spezifischen Geschäftsmodelle vermutlich zumindest indirekt auf die übrigen Marktteilnehmer auswirken«.

»Performancedruck« im Sinne des Shareholder Values

Was wirkt da?  Unter anderem dies: »In fast allen Fällen haben sich nach den Börsengängen die Kontrollverhältnisse entscheidend geändert: Die Unternehmen haben sich als Folge der Börsengänge und des nachfolgenden Aktienhandels von inhaberkontrollierten Gesellschaften zu Publikums-Aktiengesellschaften entwickelt.« Der Streubesitz der Anteile liegt bei den wichtigsten börsennotierten Wohnungskonzernen über 80 Prozent. Daraus folge für das Management der Unternehmen »eine Zunahme der unternehmerischen Freiheitsgrade«, also mehr Spielraum, der aber weniger im Sinne nachhaltiger Überlegungen oder der Mieter genutzt wird, sondern wegen des gleichzeitig auch steigenden »Performancedrucks« immer enger im Sinne des Shareholder Values. 

Man könnte dies, ohne deshalb schon ein Anhänger von Enteignungen zu sein, mit folgenden Gedanken verbinden: Der soziale Kern dieser Orientierung läuft darauf hinaus, die Interessen der Aktionäre gegenüber allen anderen zu privilegieren. Oder in den Worten der zitierten Studie: »Gemeinsam ist den börsennotierten Anbietern ihre Neigung, mehrere Werthebel gleichzeitig zu aktivieren und die einzelnen Werthebel zum Teil sehr weitgehend auszureizen. In dieser Hinsicht ist die Gruppe der öffentlichen Wohnungsunternehmen zurückhaltender.« Als Werthebel werden hier unter anderem Mieterhöhungen oder unterschiedliche Investitionsstrategien, etwa geringere Instandhaltung im Bestand.

Dass inzwischen auch von Vertretern solcher Parteien über die Ausweitung der Möglichkeit gesprochen wird, in Eigentumsrechte an Wohnraum einzugreifen, sofern damit dem Allgemeinwohl dienende Ergebnisse erzielt werden können, die früher selbst tatkräftig an Privatisierungen mitwirkten, ist richtig. Oberaktionär Förtsch verkennt hier aber womöglich, dass Politik in einem optimalen Sinne vor allem darin bestehen würde, dass gemachte Fehler nicht ewig wiederholt werden – die Politik also aus Gründen der selbstkritischen Erkenntnis die Richtung ändert. 

Diskutierbare Lösung für das Wohnraumproblem

Das wird man von Beratern für Leute, die zu viel Geld haben, und gern auch auf einem Sektor Kapital anlegen wollen, in dem allen klar ist, dass eine an Private auszuschüttende Rendite dort nur erzielt werden kann, wenn die recht eigentlich aus Grundbedürfnissen bestehenden Belange anderer Privater, der Mieter, nachrangig behandelt werden. 

Wenn Förtsch also gegen Riexinger ins Feld führt, »statt Investoren anzuziehen, die neuen Wohnraum schaffen oder eben alten revitalisieren, machen derartige links­populistische Tweets Berlin und andere Metropolen zur No-go-Area für Immobilieninvestoren«, dann liegt darin nicht nur der Versuch, das Falsche auf Dauer zu stellen, sondern kurioserweise auch schon eine diskutierbare Lösung für das Wohnraumproblem: es einmal ohne Profitorientierung zu versuchen. 

»Der Aktionär« hätte dann freilich nichts mehr über die Aktien von Vonovia und der Deutsche Wohnen zu schreiben. Er müsste womöglich sein Erscheinen einstellen. Ganz ohne Enteignung. Die ist übrigens für sich genommen erst einmal noch gar keine Lösung – sondern bloß ein Eigentümerwechsel. Es käme vielmehr darauf an, das gesellschaftliche Interesse in jenen demokratischen Entscheidungen wirksam werden zu lassen, die dann dafür sorgen würden, dass guter Wohnraum für alle da ist. Wie man das machen kann, das wäre zu diskutieren. 

Geschrieben von:

Svenja Glaser

Tom Strohschneider

Journalist

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