Wirtschaft
anders denken.

Röhrendes Kommunizieren

24.08.2019
Getty Images/ Dariusz Paciorek

Wenn früher die Linkspartei im Osten so stark war, wie es nun die rechtsradikale AfD ist – dann muss das doch irgendwie zusammenhängen, oder? 

»Warum geben im Osten mehr Menschen der AfD ihre Stimme als im Westen?« Das ist die Frage der Stunde, gestellt in aberdutzenden Artikeln vor den Landtagswahlen, ein Teppich von Antwortversuchen wird da bisweilen ausgerollt – einen, unter den man auch kehren kann, was nicht zu sehen sein soll.

Ja, es könnte durchaus schon ein Teil der Ursachenerklärung sein, darauf hinzuweisen, dass der Osten meist erst dann ein bundespolitisches Hauptthema ist, wenn dort etwas schief läuft. Es könnte auch sein, dass die Art und Weise, in der auf den Osten geblickt wird, einberechnet werden müsste. Manchmal sind es die kleinen, symbolischen Dinge, zum Beispiel, wenn ein großes Magazin einen Text bringt, der »versucht, aus dem Osten heraus, den Menschen, vor allem im Westen, ihre Landsleute zu erklären« – dieser Versuch aber sogleich vom eigenen Titelcover dementiert wird, das vom Klischee redet, an diesem aber doch irgendwie hängenbleibt. Man wird in diesen Tagen im Osten anders an den Kiosken mit ihren Aufstellern vorbeigehen als im Westen.

Eine der häufigeren Antworten auf die Frage, warum im Osten mehr Menschen der AfD ihre Stimme geben als im Westen, hat mit der Linkspartei zu tun und läuft auf eine ziemlich einfache Plus-Minus-Operation hinaus: die Rechtsradikalen haben in der Rolle der Ostpartei, der Protestpartei die demokratischen Sozialisten abgelöst; ergo liege es nicht zuletzt an der Linkspartei, dass die AfD jetzt so stark ist.

Aber sind es die richtigen?

Der dahinterstehende Gedanke gründet auf einer Oberflächenempirie, die letzten Endes auf den Hinweis zusammenschrumpft, dass früher die PDS im Osten so (für den Westen irritierend) stark war, wie es nun die AfD ist – und also muss das doch zusammenhängen, oder? Man liest da mitunter sogar einen Ton der fürsorglichen Betrachtung und es soll hier auch gar nicht bestritten werden, dass da wirklich nach Gründen gesucht wird. Aber sind es die richtigen?

Das Schema »Linkspartei wird schwächer, AfD wird stärker« wird dort zu einem röhrenden Kommunizieren, wo sie anderes zum Verschwinden bringt. Es ist schon richtig, dass die 2007 mit der WASG fusionierte Linkspartei nicht mehr bloß als ostdeutsches Regionalphänomen daherkommt. Es stimmt schon, dass aus ihrer Volksparteirolle in den »neuen« Bundesländern inzwischen Regierungsverantwortung erwuchs, die manche mit Etabliertsein verbinden mögen.

Aber was wird alles nicht gesagt oder befragt, wenn es über die Ostdeutschen heißt, »früher hätten viele von ihnen die PDS/Linke gewählt. Heute sammle die AfD diese Enttäuschten ein«?

In Brandenburg steht die Linke heute vier Prozentpunkte schlechter da als bei der Landtagswahl von 2014. Bei dieser Abstimmung war die Partei deutlich eingebrochen, als ein wesentlicher Grund dafür wurde ihre Beteiligung an der rot-roten Landesregierung seit 2009 angegeben. Weniger als ein Fünftel der AfD-Stimmen von 2014 kamen von früheren Linkspartei-Wählern. Niemand wird das wegreden können, aber für die Betrachtung der politischen Lage im Spätsommer 2019 scheint doch mindestens ebenso relevant, dass die SPD, in Brandenburg bisher mit einem Dauerabo auf die Regierung ausgestattet, seit 2014 mindestens zehn Prozent eingebüßt hat – in dem Zeitraum also, in dem die AfD fast zehn Prozent zulegte.

In Sachsen steht die Linkspartei heute in Umfragen etwa zwei bis fünf Prozentpunkte schlechte da als bei der Landtagswahl von 2014, bei der sie knapp 19 Prozent erhielt. Ihr Anteil an den Landesstimmen ist auch gegenüber der Wahl von 2009 nicht so dramatisch abgesackt, dass man daraus einen AfD-Aufstieg rechnerisch erklären könnte: Vor zehn Jahren kamen die Sozialisten in Sachsen auf gut 20 Prozent. Ist es nicht eigentlich auffälliger, dass im selben Zeitraum die selbst ernannte Königspartei des Freistaates über zehn Prozentpunkte einbüßte – die CDU?

Ranschmeißerei an als »besorgt« bezeichnete Bürger

In den vergangenen Jahren ist zu Recht immer wieder darauf hingewiesen worden, dass als ein Treibstoff für den Rechtsruck die Normalisierung ausgrenzender, nationalistischer Diskurse vor allem durch die Union gelten muss, die damit vor allem das Original stärkte. Jene Ranschmeißerei an als »besorgt« bezeichnete Bürger also, bei der die Bürgermehrheit und deren Sorgen, die nicht zuletzt wegen des Rechtsruckes wachsen, an den Rand gedrängt wird.

Eine Theorie der angeblich kommunizierenden Röhren AfD und Linkspartei entnennt diesen Zusammenhang genauso wie er davon ablenkt, dass ein gehöriges bundespolitisches Frustmoment im Osten zu wirken scheint, das aber wohl kaum mit der Linkspartei in Verbindung steht, jedenfalls hat die ihre Oppositionsrolle auf Bundesebene ja nicht verlassen in den vergangenen Jahren.

Die hier zur Rede stehende Rhetorik hat auch wenig darüber zu sagen, wie eine im Grunde »westlich tickende«  Bundespolitik im Osten erlebt wird. Wenn stimmt, dass auch im Transformationsprozess seit 1990 eine Ursache für die Andersartigkeit des Wahlverhaltens liegt, dann wäre nach der Verantwortung jener zu fragen, die für einen »Aufbau Ost« Verantwortung tragen, der dort von vielen offenbar nicht als solcher erlebt wurde. Nein, das ist auch nicht bloß eine Frage sanierter Fassaden, es geht hier auch um das kulturelle Innere, um jene Form von erfahrener Zurücksetzung, die sich nicht in Euro ausdrücken lässt.

Betrachtungen darüber, inwieweit zwischen AfD-Hoch und Verlusten der Linken ein Zusammenhang besteht, gründen oft auf Zahlen zur Wählerwanderung. Dass es Fragen aufwirft, wenn sich Menschen »von einer dezidiert antifaschistischen Partei abwenden und eine in Teilen rechtsradikale Partei unterstützen«, ist völlig klar. Und es geht hier auch nicht darum, die Linkspartei aus irgendeiner Verantwortung zu nehmen.

AfD-Stimmen aus dem Lager von Union und FDP

Was aber bedeutet es für die Analyse, wenn man weiß, dass »Enttäuschung über die Entwicklung einer Partei, der man über lange Zeit ›blind‹ vertraut hat«, wie das Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einer ausführlichen Auswertung der Landtagswahlen 2014 bis 2017 formuliert hat, »oft mehrheitlich zur Nichtwahl statt zur Wahl einer anderen Partei« führen. Wie weit will man den Begriff des »Kommunizierens« dehnen, wenn doch zwischen den Bewegungen in den »Röhren« gar kein direkter Weg liegt, sondern eine längere, krumme, manchmal unbekannte Entwicklung? Und wäre nicht viel mehr darüber zu sprechen, dass schon bei den Bundestagswahlen 2013 etwa 35 Prozent der AfD-Stimmen von früheren Wählern der Union und der FDP kamen sowie über 30 Prozent von bisherigen Nichtwählern oder Anhängern »sonstiger Parteien«?

Bei der Europawahl 2014  kamen über die Hälfte der AfD-Stimmen aus dem Lager von Union und FDP, bei der Landtagswahl in Sachsen im selben Jahr waren es über ein Drittel, in Brandenburg über 30 Prozent. Diese Anteile blieben auch bei den seitherigen Wahlen sehr hoch, in Thüringen 2014 schöpfte die AfD mehr aus früheren Unionsstimmen als aus denen der Linkspartei. Die anderen Wahlen fanden zum größten Teil im Westen statt. Bei der Bundestagswahl 2017 verlor die Union fast eine Millionen frühere Wähler an die Rechtsradikalen, fast 1,8 Millionen kamen aus dem Lager der Nichtwähler oder Anhänger »sonstiger Parteien«, fast eine halbe Millionen von der SPD. Erst danach rangierte bei der Wählerwanderung in diese Richtung die Linkspartei.

Dauerton im Hintergrund

Die röhrende Kommunikation a la »Linkspartei verliert, AfD gewinnt« konnte wohl auch deshalb zum Dauerton im Hintergrund werden, weil die Gleichung anschlussfähig ist an eine auch von links geführte Debatte, in der immer wieder behauptet wurde, die Linken hätte das Soziale vernachlässigt und zu viel Identitätspolitik gemacht – deshalb ginge der zornige Arbeiter nach rechts. Vor allem dort, wo die Linkspartei stark war oder ist, also im Osten.

Das ist schon im Lichte von Sozialstudien fragwürdig, die ja gerade zeigen, dass es nicht notwendigerweise die Ärmsten sind, die bereit sind, eine Partei des offenen Rechtsradikalismus zu wählen. Oder jene, die in den strukturschwachsten Gebieten leben – denn es gibt auch solche Regionen, in denen die AfD nicht stark ist. Der Hinweis ist aber auch deshalb merkwürdig, weil eine Rückkehr zu mehr »Ostpartei« ja selbst wieder mehr »Identitätspolitik« wäre: Wir im Osten. Dabei droht, dass soziale und andere Widersprüche eingeebnet werden, die es ja auch in den »neuen« Ländern gibt.

Soll man deshalb darauf verzichten, ostdeutsche Interessen auf der politischen Bühne vertreten? Natürlich nicht, aber hier geht es vor allem um die Wirkung öffentlicher Debatten, darum, was verborgen bleibt, wenn nur Ausschnitte betont werden. Dazu gehört auch, dass der hier diskutierte Kurzschluss nicht selten zur Begründung totalitarismustheoretischer Überlegungen herhalten muss.

Der Mainstream des Westens

Das Münchner ifo-Institut hat dieser Tage eine Studie über den Osten veröffentlicht, in der es unter anderem heißt, dass schon seit den frühen 1990er Jahren »die vier ›klassischen‹ westdeutschen Parteien, CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, im Osten kontinuierlich an Zustimmung« verlieren. Gewinner seien die Parteien am »linken und rechten Rand«, den »neuen« Ländern, dass ist die gewollte Pointe, gehe »der politische Mainstream aus«. Der Osten, das Land der politische Schwererziehbaren, die sich nicht daran halten, was man im Westen als gewohnt betrachtet.

Eine verquere geschichtspolitische Seite kommt bei alledem hinzu: Die höhere Zustimmung zu den Rechtsradikalen im Osten ist schon bei anderen Anlässen in der Vergangenheit gern auf Prägungen aus der DDR zurückgeführt und so auch irgendwie mit der PDS und später der Linkspartei verknüpft worden, die als Erben dieser Zeit gelten. »Die AfD ist in der geistigen Nachfolge der Nazis und der SED-Sozialisten in den Neuen Ländern zu Hause«, musste man unlängst in der »Tageszeitung« lesen. »Sie ist die ehrliche Stimme der aus dem muffigen DDR-Staatsheim immer noch nicht ausgezogenen Ossis.« Und ein paar Tage später heißt es anderswo: »30 Jahre nach der Wende haben sich die Wähler im Osten endgültig vom aufoktroyierten Sozialismus emanzipiert«, die AfD-Zustimmung wird also in die genau entgegengesetzte Richtung interpretiert: »Also wählen sie rechts.« Ja was denn nun?

Die »Raumordnung« öffentlicher Debatten

Mit all dem hier ist nicht gesagt, dass der Wähler-Aderlass der Linkspartei in Richtung AfD egal oder vernachlässigbar sei. Im Gegenteil. Es ist auch überhaupt nichts gegen Selbstbefragung zu sagen, wo – wie es Fraktionschef Dietmar Bartsch formuliert hat -, im AfD-Erfolg »auch ein Stück weit unser Versagen« liege.

Das hier angesprochene Problem liegt eher woanders, auf der Ebene der »Raumordnung« öffentlicher Debatten – und die verdeckt mit jener vereinfachenden Theorie kommunizierender Röhren mehr als sie an differenzierter Auseinandersetzung ermöglicht. Eine solche ist nämlich umso nötiger, als dass die Röhren-Sicht schon deshalb falsch ist, weil man nicht darauf hoffen darf, dass die Strömungsrichtung mal eben einfach umgekehrt werden könnte. Es wird keine einfache Lösungen zum »Zurückholen« von Menschen geben, die jetzt AfD wählen. Die sich nicht auf ihren Frust oder »die da oben« herausreden können, wenn sie eine Partei der verbalen Mordbrennerei, der Spaltung und Ausgrenzung ankreuzen.

Politisch ist es ohnehin ratsamer, sich nicht im Verhältnis zu irgendwem oder zu geglaubten Erwartungen zu definieren, sondern von den eigenen Zielen und Werten aus. Das ist nicht immer einfach, und Antworten gibt es nicht im Sonderschlussverkauf. Das gilt etwa für die Frage, wie langfristige, in der speziellen Parteihistorie begründete Trends wie die Überalterung der Basis im Osten wirken oder die damit einhergehenden Schwierigkeiten, in der Fläche zu organisieren. Oder den Punkt, wie ein Generationenwechsel abläuft, der mitunter auch ein Kulturbruch ist – für alle Seiten. Einmal von den allgemeinen Dynamiken eines Parteiensystems abgesehen, in der die Volatilität zunimmt, alte Bindungen abreißen, sich Verschiebungen abzeichnen, von denen wir noch gar nicht wissen, wo sie einmal hinführen. Auch die schwache Mobilisierung von Nichtwählern und die Erkenntnis, dass sich bestimmte »Wähler-Segmente allein mit den klassischen sozialstaatlichen Verteilungsforderungen« nicht mobilisieren lassen (Kahrs), bleiben eine linke Herausforderung.

Über diese Herausforderung zu reden wird auch heißen müssen, als was sich die Linkspartei im Osten versteht. Nur auf den Nenner »Protest, Kümmerer, Ostpartei« wird man das nicht bringen können. Schon deshalb nicht, weil sich die Basis und die Anhängerschaft aus den verschiedensten Gründen und in den unterschiedlichsten regionalen Dynamiken verändert haben. Schon früher haben viele Menschen die PDS oder dann die Linkspartei im Osten nicht unbedingt wegen, sondern eher trotz ihrer Betonung ostdeutscher Fragen und der historischen Verantwortung für ihre SED-Vorgeschichte gewählt. Weil sie Sinn und Notwendigkeit sahen und sehen für eine demokratisch sozialistische Kraft. Weil da Kandidaten antraten und antreten, die für einen offenen, ökologischen, solidarischen Veränderungsprozess eintreten.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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