Wirtschaft
anders denken.

Haben oder sein?

09.04.2022
Weiße Salzhaufen in einem See. An einem lehnt eine HarkeFoto: Alexander Schimmeck Unter dem Uyuni-Salzsee in Bolivien werden die größten Lithium-Vorkommen der Erde vermutet.

Das Paradox der Rohstoffökonomie: Abhängigkeit ist profitabler als Reichtum. Aus OXI 4/22.

In Sambia befindet sich eine der größten Kupferlagerstätten der Welt. »Und doch ist es eines der ärmsten Länder der Welt», meldet der Deutschlandfunk. »Über 60 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb des Existenzminimums.« Der scheinbare Widerspruch »Arm trotz Bodenschätzen« ist Thema vieler Abhandlungen und Berichte. Als Gründe werden verschiedene Faktoren aufgeführt: schlechte Regierung, Korruption, Kriege, Kapitalflucht oder ein »Rohstoff-Fluch«. Bei all diesen Faktoren bleibt aber stets unklar, ob sie die Ursachen der Armut sind, Begleiterscheinungen oder bloße Folgen der Armut. Klar ist jedoch: Eine Rohstoff-Ökonomie zu sein ist ein schlechter Ausgangspunkt zur Schaffung von Wohlstand.

Ein Land wie Deutschland, so heißt es vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), sei abhängig von Rohstoffen. Denn Öl, Gas, Industriemetalle und anderes »bilden die Basis unserer industriellen Wertschöpfung. Ohne sichere Rohstoffversorgung droht Deutschland bei wichtigen Zukunftstechnologien wie der Elektromobilität, der Digitalisierung und der Energiewende an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren«. Allerdings sei man vor allem bei Energierohstoffen, Metallen und zahlreichen Industriemineralen stark von Importen abhängig. Die Rohstoffpolitik der Bundesregierung trage daher dazu bei, die Versorgung der Wirtschaft langfristig sicherzustellen.

Laut BMWi »stehen Rohstoffe am Anfang der industriellen Wertschöpfung und haben damit einen großen Einfluss auf nachgelagerte Wirtschaftsbereiche«. Ganz anders sieht es dagegen in jenen Staaten aus, die das Ministerium als »rohstoffwirtschaftlich interessante Länder« ins Visier nimmt. Denn dort steht die Produktion von Bodenschätzen und Cash Crops am Anfang und am Ende der Wertschöpfung, »nachgelagerte Bereiche« oder eine Industrie fehlen. Solche Länder haben keine Rohstoffökonomie. Sie sind eine. Und es gibt viele von ihnen.

Rohstoffabhängigkeit sei ein »Merkmal« von Ländern des Globalen Südens, insbesondere in Sub-Sahara-Afrika und Lateinamerika, schreibt Bernhard Tröster von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) auf dem Blog »Makronom«. Bei mehr als 100 Ländern — also rund jedem zweiten – betrage der Anteil von fossilen, mineralischen und agrarischen Rohstoffen an den gesamten Güterexporten mehr als 60 Prozent.

Diese Rohstoffe werden oft »Bodenschätze« genannt. Lithium firmiert unter »weißes Gold«, Erdöl unter »schwarzes Gold« und der »Spiegel« entdeckt in Lateinamerika »gleich mehrere El Dorados« – als läge in der Erde des Globalen Südens purer, reiner Reichtum. Dass dem nicht so ist, erkennt man schon am zentralen Problem, mit dem die Rohstoffökonomien zu kämpfen haben: Der Preis ihres Schatzes schwankt extrem. Während Preise von Industriegütern meist relativ stabil sind, können sich Rohstoffpreise in kurzer Zeit drastisch verteuern oder verbilligen. Tröster nennt »die Dynamiken von Rohstoffpreisen als grundlegende Faktoren für negative Effekte für die betreffenden Länder«.

Bestimmt werden die Preise im Wesentlichen an den internationalen Rohstoffbörsen des Globalen Nordens, also in den Ländern der Nachfrager. Für die Produzentenländer seien die Preise und damit ihre Einnahmen aus dem Export eine »exogene Größe«, erklärt Tröster: »Sie können das Niveau und die Schwankungen von Rohstoffpreisen und damit die Terms of Trade nicht aktiv beeinflussen – Fiskal- und Geldpolitik können lediglich deren Effekte abfedern, was aber allein schon durch das Ausmaß und die Kurzfristigkeit der Preisschwankungen erschwert wird.« Nicht nur die Bildung der Preise, auch die Gründe für ihre Schwankungen liegen außerhalb des Einflusses der Rohstoffexporteure: die globale Angebotsmenge sowie die Nachfrage, die sich aus den Konjunkturen der Industrieländer ergibt.

Dass die Preise für Öl, Metalle und Baumwolle an den internationalen Börsen festgelegt werden und sie stark schwanken, ist zum einen eine schlechte Ausgangslage für die Rohstoffexportländer. Es ist aber auch ein Ergebnis der Stoffe selbst, die da angeboten werden, sowie der Art und Weise, wie die Exportländer in das globale System integriert sind.

Zum Stoff: Bodenschätze wie Öl oder Cash Crops wie Kaffee und Kakao verdanken sich den natürlichen Gegebenheiten eines Landes. Im Produktionsland selbst sind sie oft von geringem ökonomischen Nutzen, der nationale Markt braucht die Rohstoffe nicht oder er verfügt nicht über die nötige Kaufkraft. Zur Ware im eigentlichen Sinn werden die Rohstoffe erst durch die Nachfrage des Auslands, also durch den Export in den Norden, wo sie als Inputfaktoren für die Industrie dienen oder als Handelswaren für den Konsum. Damit ist bereits klar: Die materielle Basis eines Rohstoffexportlandes wie auch seines Staatsapparates liegt jenseits seiner Grenzen. Anders als beispielsweise beim Exportweltmeister Deutschland, dessen Ausfuhren eine – wesentliche – Ergänzung der nationalen Produktion sind, ist für große Teile des Globalen Südens die Verschiffung ihrer Bodenschätze die einzige Quelle von Dollar oder Euro.

Zum Preis: Im Allgemeinen heißt es, der Preis eines Gutes bestimme sich in der Marktwirtschaft durch Angebot und Nachfrage. Das ist nur eingeschränkt richtig. So kauft ein Konzern wie Volkswagen Produktionsmittel und Arbeitskräfte ein, lässt produzieren und hat am Ende ein Auto, das einen Produktionspreis hat. Das Gleiche bei seinen Wettbewerbern. Aus der Konkurrenz der Autobauer um zahlungsfähige Nachfrage ergibt sich ein Marktpreis für das Auto, und die Konzerne versuchen, ihre Kosten möglichst niedrig zu halten, um einen hohen Profit zu erwirtschaften. Der Profit ist der Zweck, die Senkung der Kosten das Mittel.

Anders bei den Rohstoffen: Hier treten keine Produzenten mit inländischen Produktionspreisen an und vergleichen sich in der Konkurrenz. Stattdessen bildet sich der Preis unabhängig von den Produktionskosten, allein durch die Nachfrage und die Konjunkturen im Globalen Norden, also dort, wo die Rohstoffe erst zu Waren werden und wo sich konsequenterweise die Rohstoffbörsen befinden. Die Handelsplätze in Chicago oder London sind nicht die Orte, wo die Produzenten antreten mit ihren Kalkulationen mit Preis und Produktivität, sondern bloß die Orte, wo die Käufer für sie lohnende Preise aushandeln. Aufseiten der Rohstoffproduzenten zählt nur eins: ihr Bedürfnis nach Geld.

Dieses Bedürfnis wird mal besser, mal schlechter bedient. Reich wird ein solches Land durch den Rohstoffverkauf aber so gut wie nie. Denn schließlich handelt es sich bei ihrem Gut lediglich um einen Basis-Input ganz am Anfang der Wertschöpfungskette, die sich durch die Industrieländer zieht, wo der Reichtum nicht abgeholt, sondern wirklich produziert wird. Wenn die Exporte Afrikas in die EU zu 65 Prozent aus unverarbeiteten »Primärgütern« bestehen und die EU zu 68 Prozent verarbeitete Güter nach Afrika verkauft, ist klar, wer hier das profitablere Geschäft macht.

Dass Rohstoffe zu Waren werden, verdankt sich also allein der Bereitschaft des reichen Auslands, für sie zu zahlen, und dem Willen des Landes, sich für die Bereitstellung der Rohstoffe bezahlen zu lassen. Bei den Rohstoffländern handelt es sich daher um sogenannte »Rentier-Staaten«. Denn ihr Reichtum entsteht nicht vor Ort durch Investition, Herstellung und Verkauf. Stattdessen erhalten die Länder einen Anteil am Verkaufserlös, dessen Höhe an ganz anderen Orten verhandelt wird. Der »Schatz« einer Regierung im Globalen Süden besteht daher im Wesentlichen in deren Verfügungsgewalt über den Boden, die sie zu Geld macht.

In einer solchen Wirtschaft ist – abgesehen von einigen ölreichen und dünn besiedelten Staaten im Nahen Osten – die Bevölkerung ökonomisch weitgehend überflüssig. Wo sie der Rohstoffförderung oder den Plantagen im Weg ist, wird sie vertrieben. Der größte Teil lebt als Subsistenzbauern oder im sogenannten informellen Sektor. Den schmalen Reichtum aus dem Rohstoffexport sichert sich die politische Elite, die um Staatsämter und damit um den Zugang zu den Exporterlösen kämpft, zuweilen mit Gewalt. Um ein Minimum an sozialer Stabilität zu erhalten und sich Anhängerschaft zu kaufen, verteilt sie Posten und Gelder, woraus zum einen die grassierende Korruption wie auch die »aufgeblähten« Staatssektoren resultieren: Es sind Mittel der Herrschaftssicherung.

»Korruption, oder allgemeiner schlechte Staatsführung, wird oft als wesentliche Ursache dafür genannt, dass die Staaten in Nahost und Nordafrika wenig wettbewerbsfähig und effizient sind«, schreibt Amr Adly, Politologe an der American University in Kairo. »Ich bin da skeptisch.« Natürlich sei Korruption ein großes Problem, aber nicht die Wurzel aller Probleme. Korruption sei eine Verteilung des nationalen Wohlstands im Interesse der Machthaber. Das Grundproblem sei aber der schlichte Mangel an Wohlstand in diesen Ländern. »Die meisten Ökonomien von Rentier-Staaten sind kaum in der Lage, produktive Sektoren zu entwickeln, die global konkurrenzfähig sind.« Im Grunde seien alle diese Länder in die globale Arbeitsteilung integriert als Empfänger von Renten aus dem Rohstoffverkauf. Die Korruption sei eher eine Folge dieses Rentier-Status als seine Ursache. Nur unter Berücksichtigung von strukturellen ökonomischen Faktoren sei zu erklären, »warum einige asiatische Staaten in der Lage waren, trotz grassierender Korruption inklusives Wachstum zu erzielen, während dies im Nahen Osten und Nordafrika misslang«. So lagen im Korruptionswahrnehmungsindex 2021 von Transparency International Tansania und Äthiopien immerhin gleichauf mit Vietnam und deutlich besser als Indonesien oder Thailand.

Mittel- und langfristig beurteilt Bernhard Tröster von der ÖFSE den Ausblick für viele rohstoffabhängige Länder als »düster«. Zwar sind im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie die Rohstoffpreise deutlich geklettert, was den Exporteuren Mehreinnahmen beschert. Allerdings »stellen die aktuellen Diskussionen rund um die notwendige Senkung des Ressourcenverbrauchs zum Kampf gegen den Klimawandel viele rohstoffexportierende Länder vor eine langfristige Herausforderung«. Auch laut der Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) »reduziert die Elektrifizierung des Energiesystems die Abhängigkeiten von fossilen Rohstoff-Lieferketten«. Und bei Lithium streben die Industrienationen langfristig die Selbstversorgung an, so der chilenische Rohstoffexperte Jaime Alee.

Die Preise vieler Rohstoffe dürften also langfristig unter Druck geraten. Und bei den anderen Rohstoffen bleiben die Schwankungen erhalten – dabei würden stabilere Preise »auch stabilere makroökonomische Rahmenbedingungen in rohstoffabhängigen Ländern ermöglichen«, so Tröster. »Diese sind wichtig, um eine Diversifizierung von Exporten und der Wirtschaftsstrukturen voranzubringen.« Allerdings zeige die dauerhafte Abhängigkeit von Rohstoffen, vor allem in Afrika und Lateinamerika, wie herausfordernd diese Aufgabe sei. Die ökonomischen Debatten der letzten Jahre zeigten zwar Möglichkeiten auf, wie zum Beispiel den Ausbau von Verbindungen zwischen Rohstoffabbau und anderen inländischen Wirtschaftssektoren. »Die Umsetzung dieser Strategien gelingt aber nur sehr wenigen Ländern.«

Geschrieben von:

Stephan Kaufmann

Journalist

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