Wirtschaft
anders denken.

Die Verantwortung jenseits von Afrika

Hannah Pilgrim von der Organisation Powershift fordert eine umfassende Rohstoffwende einschließlich höchster ökologischer und menschenrechtlicher Standards entlang der gesamten globalen Lieferkette. Aus OXI 4/22.

24.04.2022
Hannah Pilgrim leitet das Koordinationsbüro des zivilgesellschaftlichen Netzwerks AK Rohstoffe bei bei Powershift e.V. Die deutsche Organisation setzt sich im Spannungsfeld von Rohstoff-, Handels- und Klimapolitik für eine ökologischere und soziale gerechte Weltwirtschaft ein. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Humangeografin.

Der Kontinent Afrika ist historisch besonders geprägt durch die ökologischen und sozialen Folgen der Rohstoff-Ausbeutung. Spielt er in eurer Arbeit eine besondere Rolle?

Ich arbeite bei Powershift im Rohstoffbereich. Da beschäftigen wir uns hauptsächlich mit metallischen Rohstoffen, Eisen, Kupfer, Bauxit und Co. Deutschland bezieht einen Großteil seiner Importe an Erzen und Konzentraten aus Südamerika, aber rund zehn Prozent aus Afrika. Dabei spielt vor allem das westafrikanische Guinea eine Rolle, die Demokratische Republik Kongo und Südafrika. Und da geht es insbesondere um Bauxit als Grundstoff für Aluminium. Außerdem Palladium und Platin, sie spielen vor allem im Automobilsektor bei Katalysatoren eine Rolle. Und im Kongo die sogenannten Konfliktmineralien, zu denen Gold, Wolfram, Zinn,Tantal und Kobalt gehören.

Unsere Perspektive möchte ich gern an einem Beispiel aus Südafrika deutlich machen. Im August 2012 hat in Marikana ein Streik von Bergleuten und Minenarbeitern stattgefunden, der von bewaffneten Streitkräften und Sicherheitskräften, also Personal der britischen Bergbaufirma Lonmin, die dort Platin abbaute, blutig beendet wurde. Bei diesem »Marikana-Massaker« sind 34 Bergarbeiter ums Leben gekommen, mehr als 78 wurden verletzt, viele traumatisiert. Warum sind sie auf die Straße gegangen? Zum einen für bessere Löhne, zum anderen für bessere Unterkünfte, die versprochen worden waren. In Deutschland berichteten die Medien davon, aber der konkrete Zusammenhang mit deutschen Konzernen wurde erst Jahre später thematisiert. Der deutsche Chemiekonzern BASF war zu der Zeit einer der größten Abnehmer des Platins. Auch heute noch importiert der Konzern jährlich Platin im Wert von etwa 600 Millionen Euro aus Südafrika, um Katalysatoren herzustellen. Nachdem das aufgedeckt worden war, beauftragte BASF vor Ort ein sogenanntes Audit, das gravierende Mängel aufdeckte. Aber als Reaktion darauf wurde nur ein Feuerwehrhaus errichtet – die niedrigen Löhne wurden nicht angehoben und die Ausbeutung ging weiter. Bis heute weigert sich BASF, seine Mitverantwortung für dieses Massaker einzugestehen. Das macht deutlich, dass freiwillige Maßnahmen der Unternehmen die Situation der Betroffenen nicht verbessert haben. Deshalb ist es notwendig, deutsche Unternehmen, die einen Großteil der Rohstoffe aus anderen Ländern beziehen, dazu zu verpflichten, dort die Menschenrechte zu wahren.

Gibt es bei dieser Art der Ausbeutung eine historische Kontinuität, die quasi von Kolumbus bis heute ungebrochen ist?

Ich glaube, es ist wichtig, zu schauen, welche kolonialen Kontinuitäten es gibt. Auch wenn die ehemaligen Kolonien des Deutschen Reiches aktuell beim Abbau metallischer Rohstoffe keine bedeutende Rolle spielen, existiert eine koloniale Kontinuität, da es natürlich auch immer um ein Geschäftsmodell ging, das die Unternehmen und die deutsche Vormachtstellung in wirtschaftlicher Sicht absichern sollte.

Man kann auch abstrakter darauf schauen: Da spielt nicht nur die Gewinnung von Rohstoffen eine Rolle, sondern allgemein das Verständnis deutscher Außen- und Entwicklungspolitik. Da muss man fragen, welche Vorstellungen im Kolonialismus vorherrschend waren und weitergetragen wurden. Da spielt beispielsweise die Vorstellung dichotomer Kategorien wie »zivilisiert« versus »nicht zivilisiert« oder »Mensch/Kultur« versus »Natur«, »Wir« versus »Die anderen« eine Rolle. Von gewissen dichotomen Vorstellungen haben wir uns weiterhin nicht gelöst. Das spiegelt sich natürlich auch in Lieferketten wider. Wo werden Material und Rohstoffe gewonnen, wer sagt, dass dies ein Rohstoff ist und weiterverarbeitet werden muss? Wer nutzt es letztendlich und wer profitiert davon, in der Nutzung wie auch finanziell? Da sehen wir Strukturen, die sich hartnäckig halten. Europa wie auch Deutschland sind bei metallischen Primärrohstoffen vollständig abhängig. Die kommen vor allem aus Ländern, die ehemals kolonisiert wurden. Wir konsumieren sie, die Wertschöpfung findet nicht in den Rohstoffländern statt, die aber die negativen Auswirkungen am Anfang der Lieferkette, also im Bergbau, tragen müssen. Für uns ist es normal, hinzunehmen beziehungsweise abzuspalten, dass am Anfang dieser Kette Konflikte sind und Umwelt zerstört wird. Diese hartnäckigen Denkstrukturen, die in der Kolonialzeit gelegt wurden, sind noch nicht dekonstruiert und aufgearbeitet.

Da kommt die Frage ins Spiel: Die afrikanischen Staaten haben Regierungen. Warum gelingt es so wenig oder manchen Staaten besser, mit Rohstoffen auch zum Reichtum der eigenen Gesellschaften beizutragen? Warum sind die in einer solch schlechten Verhandlungsposition?

Ich spreche aus der Perspektive unserer, meiner Verantwortung als zivilgesellschaftliche Interessensvertreterin. Da schaue ich, welche Rolle Deutschland spielt. Da kann ich meine Stimme erheben und einfordern, dass Strukturen und Gesetze geschaffen oder verändert werden.

Dass natürlich Regierungen vor Ort und einzelne Akteur:innen profitieren, davor darf man nicht die Augen verschließen. Aber die größten Unternehmen im industriellen Bergbau sind beispielsweise die Schweizer Firma Glencore oder britische, australische und chinesische Firmen. Also hauptsächlich Großkonzerne, die ihren Hauptsitz nicht in Afrika haben. Da beharre ich darauf, dass Unternehmen – was in den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrecht festgeschrieben ist – eine Verantwortung dafür tragen, sicherzustellen, dass ihre wirtschaftliche Tätigkeit in anderen Ländern nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung führt. Wir müssen uns davon lösen, zu sagen: Afrika muss sich endlich entwickeln und »die« dürfen nicht so korrupt sein. Stattdessen müssen letztlich wir uns entwickeln, wir im Globalen Norden. Wir müssen überlegen, welche Strukturen immer wieder dazu führen, dass beispielsweise Staaten weiterhin in dieser Abhängigkeit bleiben.

Bergbau birgt eine enorm große Gefahr, weil die Investitionen von jetzt auf gleich sehr groß sind. Das sind Milliardenprojekte, die meist in ländlichen, häufig finanziell schlecht gestellten Regionen stattfinden, wo die Korruptionsgefahr relativ hoch ist. Gerade der Bergbau ist da ein schmutziges Geschäft. Es gibt Gesetzesinitiativen, wie die Konfliktmineralien-Regulierung, die Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette festschreiben. Erste Studien zeigen, dass es dadurch zu einer Verminderung von Konflikten gekommen ist. Die Importeure haben ein größeres Interesse daran, dass die Bedingungen vor Ort sich verbessern, weil sie sonst sagen müssten, wir können nichts mehr von euch beziehen. Das zeigt: Mit dem Prinzip der Freiwilligkeit für Konzerne zu brechen, zugunsten von verbindlichen Verpflichtungen und Vorgaben, zieht Veränderungen vor Ort nach sich.

Brauchen wir also eine noch längere Liste von Konfliktrohstoffen, weil fast alle Rohstoffe in dieser Wirtschaftsweise zu Konflikten führen?

Der Arbeitskreis Rohstoffe, ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Menschenrechts- und Umweltorganisationen, versucht seit fast 15 Jahren deutlich zu machen, dass deutsche Unternehmen eine Verantwortung entlang der Lieferkette haben. Am Anfang wurde man in Bezug auf dieses Konzept der Sorgfaltspflichten von Unternehmen und Politiker:innen belächelt. Es gebe Geschäftsgeheimnisse und es sei völlig utopisch, die Unternehmen in die komplette Verantwortung zu nehmen. Jetzt sind wir aber an einem Punkt, dass in Deutschland bald das Lieferkettengesetz umgesetzt wird und auch auf europäischer Ebene laufen Verhandlungen für ein solches. Das bedeutet, Unternehmen müssen Risikoanalysen durchführen. Dazu gehören menschenrechtliche wie auch umweltbezogene Risiken. Noch wichtiger ist, dass dies auf internationaler Ebene gilt. Da läuft der UN-Treaty-Prozess. Seit Jahren wird darauf gepocht, initiiert durch Ecuador, Südafrika und andere, dass wir uns auf globaler Ebene darauf einigen müssen, Unternehmen in die Pflicht zu nehmen und Standards vorzuschreiben.

Gleichzeitig müssen wir fragen, wer Rohstoffe vorrangig nutzt und wer hauptsächlich unter der Nutzung und dem Abbau leidet. Da müssen wir an die absoluten Zahlen ran. Deutschland ist einer der größten Verbraucher metallischer Rohstoffe. Das wird gern übergangen. Suffiziente Strategien werden bislang nur sehr wenig umgesetzt , also den enorm hohen Verbrauch absolut zu senken.

Ein Beispiel für globale Rohstoffungerechtigkeiten: Deutschland bezieht über 90 Prozent des Bauxits, was vorrangig in der Automobilindustrie verbaut wird, aus Guinea. Wenn wir gleichzeitig vergleichen, wie viele Autos in Deutschland und Guinea pro 100 Menschen gefahren werden, sind es hier knapp 70 und in Guinea 0,3. Das Bauxit wird also dort abgebaut, ohne dass die Bevölkerung vor Ort einen tatsächlichen Nutzen vom Endprodukt hat.

Auch für die technische Lösung des Klimaproblems, also den Umstieg auf erneuerbare Energien, E-Autos und Ähnliches, sind große Rohstoffmengen nötig, wenn der Verbrauch gleich hoch bleibt. Welche Folgen wird das für metallischen Bergbau in Afrika und anderswo haben?

Im September 2020 wurde die »EU Raw Materials Initiative« als »Critical Raw Materials Strategy« fortgeschrieben. In welche Richtung geht das? Wir müssen weg von den fossilen Rohstoffen, wir haben zugleich steigenden Rohstoffhunger durch Digitalisierung, Energiewende und Co. Wir müssen die Kreislaufwirtschaft ausbauen, aber auch die Rohstofflieferketten diversifizieren. Also Risiken in der Rohstoffabhängigkeit streuen, strategische Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern ausbauen. Da spielt auch der afrikanische Kontinent eine Rolle. Das Narrativ lautet also: »Wir müssen in Europa die Energiewende vorantreiben, dafür brauchen wir metallische Rohstoffe.« Doch die Hauptnachfrage nach metallischen Rohstoffen kommt nicht unbedingt nur von den Erneuerbaren. Ein großer Teil der sogenannten »Critical Raw Materials« geht in die Verteidigung, in die Luft- und Raumfahrt oder in den Stahlsektor. Man muss also schon differenziert schauen, sonst besteht die Gefahr des Greenwashings, was wir bereits in der Mining-Industrie beobachten. Sie haben in der Vergangenheit teils große Profite mit fossilen Rohstoffen gemacht und behauptet nun: Wir gewinnen jetzt die für die Energiewende notwendigen Rohstoffe. Es ist relevant, da genau hinzuschauen.

Dazu kommt: Auch der europäische Bergbau spielt eine zunehmende Rolle. Spanien, Portugal – einstige Kolonialmächte – werden zunehmend dafür erkundet. Metallischer Bergbau wird uns also in Zukunft weiterhin weltweit, aber auch in Europa sehr stark beschäftigen. Aktuelle Krisen oder Kriege wie in der Ukraine werden ebenfalls zu Verschiebungen führen, da Russland nicht nur einer der größten Nickelproduzenten ist, sondern auch bei Palladium ein wichtiger Exporteur.

In den Ländern des Globalen Südens wehren sich mehr und mehr Menschen gegen Mining-Projekte. Was sind die wichtigsten Forderungen, was eint diese Kämpfe, wo lässt sich da einhaken, um zu verhindern, dass sie wieder zu Lieferanten des nächsten Fortschritts im Globalen Norden degradiert werden?

Es braucht Unterstützung für die zivilgesellschaftlichen Initiativen vor Ort, aber vor allem müssen wir unsere Herrschaftsstrukturen, unsere ökonomischen Strukturen in den Fokus nehmen. Und natürlich braucht es internationale Solidarität. Es gibt Alternativen zum extraktivistischen Modell, die in den Abbauregionen gefordert und gelebt werden, in Argentinien zum Beispiel gibt es die sogenannten »Community Protocols«. Die Bevölkerung vor Ort definiert sie. Es geht darum, dass ihre Territorien im Einklang mit ihren Bräuchen und Lebensweisen genutzt werden und nationale wie auch internationale Gesetzgebungen diese nachhaltige Nutzung beachten müssen.

Es ist wichtig, dass wir im Zusammenhang mit der Energie- und Mobilitätswende, der Klimawende, die Rohstoffwende mitdenken. Aktuell sprechen wir viel über Lithium und Kobalt in E-Autos. Aber die Nutzung metallischer Rohstoffe hat nicht erst mit dem E-Auto begonnen. Wenn wir die Fehler, die mit fossilen Rohstoffen gemacht wurden, nicht wiederholen wollen, müssen wir endlich die materielle Basis unserer imperialen Lebensweise mitdenken. Wir müssen zum Beispiel Windkraftanlagen langlebig machen, sie von Beginn an so konstruieren, dass die enthaltenen Rohstoffe wiederverwendet werden können. Wir müssen zum einen unseren viel zu hohen Rohstoffverbrauch senken. Autos, die ineffizient, groß und schwer sind, gehören der Vergangenheit an. Zum anderen müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass der Bergbau nicht von heute auf morgen enden wird. Rohstoffwende, bedeutet auch, höchste ökologische und menschenrechtliche Standards entlang der gesamten Lieferkette umzusetzen.

Das Interview führte:

Sigrun Matthiesen

Journalistin

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