Wirtschaft
anders denken.

Rot-Rot-Grün will »Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem«

17.01.2020
Gender Pay GapCrreated by Melissa Schmitt from the Noun Project

Rot-Rot-Grün will in Thüringen weitermachen – als Minderheitsregierung. Was sagt der Koalitionsvertrag zur Wirtschaftspolitik? Ein erster Überblick.

Nach den Landtagswahlen im vergangenen Oktober hat es für eine »normale« Neuauflage von Rot-Rot-Grün in Thüringen nicht gereicht. Danach konnte man gut beobachten, wie schwierig das Betreten neuer politischer Pfade hierzulande mitunter ist. »Gemeinsam neue Wege gehen« lautet nun der Titel des Koalitionsvertrages von Linkspartei, SPD und Grüne, die sich in dem am Donnerstag vorgestellten Papier überzeugt zeigen, »dass die Wählerinnen und Wähler keine Übergangslösung wünschen, die unweigerlich zu schnellen Neuwahlen führt, sondern eine stabile, dauerhafte und handlungsfähige Landespolitik«. Wie das unter Bedingungen fehlender Mehrheit im Landtag aussehen kann, wird man im »Labor Thüringen« nun weiter beobachten können.

Was der DGB zum Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün sagt: hier

»Unsere Wirtschaft ist erfolgreich. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig«, heißt es in der Präambel, in der sich die Partner der Minderheitsregierung auf kommende Aufgaben einschwören. Was heißt das für die Wirtschaftspolitik? Einerseits prägt Kontinuität den Tenor des Vertrags, die Fortsetzung von Rot-Rot-Grün unter neuen Bedingungen will nicht zuletzt das in der vergangenen Legislatur Erreichte verteidigen. Neuerdings geht es auch darum, Brücken in Richtung der nötigen Mehrheiten jenseits der drei Parteien zu bauen. Hinzu kommt, das Koalitionsverträge immer auch politische Prosa enthalten, Kompromisse haben ihren eigenen Ton, die von den Mehrheitsverhältnissen mitdiktierte Vagheit tut das ihre.

Andererseits verlangen neue Zeiten auch nach neuen Klängen. Was die Wirtschaftspolitik in einem weiteren Sinne angeht werden eine Reihe von progressiven Akzenten gesetzt. Ein Beispiel: War im Regierungsvertrag von 2015 noch die Mietenbremse ein Ziel, wollen Linkspartei, SPD und Grüne nun »wohnungsbaupolitische Instrumente wie die Einführung eines Mietendeckels prüfen«. Ein solcher geht in seiner Wirkung weiter, hier zeigt sich auch die bundesweit veränderte Debattenlage.

Zugespitzt haben sich ebenso die gerechtigkeitspolitischen sowie Diskussionen über die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie – und auch das merkt man dem neuen Koalitionsvertrag durchaus an. Da ist der durch die Folgen der Klimakrise beschleunigte Strukturwandel unter anderem in der Autobranche, die in Thüringen eine wichtige Rolle spielt. Da ist die Agrarwende, da sind für Transformation offene industriepolitische Überlegungen, da ist eine Haltung, die ökologischen Umbau will, auch wenn die Hebel dazu auf landespolitischer Ebene kürzer sein mögen.

»Die globale Erderwärmung als Klimakrise ist bereits Realität«, schreiben sich die Koalitionspartner noch einmal ins eigene Gewissen. Das Bekenntnis zu diversen Klimazielen wird dabei nicht nur in die Dimension »Umbau« fortgeschrieben, sondern auch versucht, mit sozialen Rahmensetzungen also gerecht zu gestalten. »Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Bereitschaft, den ökologischen Umbau als positive Veränderungen zu sehen, ist die soziale Sicherheit zu garantieren«, heißt es unter anderem.

Rot-Rot-Grün wird sich in den kommenden Jahren daran messen lassen, wie es gelungen ist, die Thüringer Wirtschaft dabei zu unterstützen, »durch energie- und ressourceneffiziente Produktion und Dienstleistungen dauerhaft wettbewerbs- und zukunftsfähig zu werden«. Dies soll unter anderem durch die Förderung von »sozialen, ökologischen und technischen Innovationen« sowohl im Hochschul- als auch im Unternehmensbereich geschehen. Linkspartei, SPD und Grüne haben sich auch auf die Unterstützung von »Initiativen zur sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft« verständigt. Hier hatte die Linkspartei mit der Forderung nach einer Professur für Plurale Wirtschaftswissenschaft an einer Landes-Uni und der Gründung eines heterodox ausgerichteten ökonomischen Forschungs- und Beratungsinstitut mehr gewollt, zugeschlagen ist die Tür in diese Richtung mit dem Koalitionsvertrag aber auch nicht.

Den strukturellen Bedingungen der Thüringer Wirtschaft mit vielen kleinen, kleinsten und mittleren Unternehmen entsprechend soll nach dem Willen der Minderheitsregierung vieles regional, auf lokale Wertschöpfung hin orientiert werden. Beim Bund will man sich für Regionalförderung und einen Pakt für strukturschwache Regionen einsetzen. Ein weiteres Vorhaben: »die aktive Förderung von Produktivgenossenschaften im ländlichen Raum, um so kleine Betriebe erhalten und mit den Beschäftigten fortführen zu können«. Hier wären also auch Modelle möglich, die wirtschaftsdemokratische Entwicklungen fördern.

Den im gesamten Osten bestehenden ökonomischen Rückstand aufzuholen, bleibt Ziel, es soll darum gehen, »die bestehende Lohn- und Produktivitätslücke im kommenden Jahrzehnt in allen Regionen unseres Landes zu verringern und perspektivisch zu schließen«. Das wird – zumal angesichts des Strukturwandels auch in der Thüringer Industrie – eine Herausforderung. Rot-Rot-Grün will dies »im Schulterschluss mit den Gewerkschaften« angehen. Vor allem für die Automobil- und Zulieferindustrie werden Innovationen in der Antriebs- und Mobilitätsforschung angestrebt.

Im Abschnitt zur Industriepolitik heißt es unter anderem, man wolle diese »verstärkt hin zu einer Ermöglichung einer klimaneutralen und einer dem Menschen dienenden Wirtschaft ausrichten«. Durch »intelligente  Spezialisierung« soll ein »ausgewogener Dreiklang aus der Vereinbarkeit von Ökonomie, Ökologie und dem Sozialen« erreicht werden, »der sich in allen wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Landesregierung widerspiegelt und regionale Wirtschaftskreisläufe stärkt«. Prüfen will Rot-Rot-Grün die Einrichtung eines »Transformationsfonds zur sozialen Abfederung der Umwandlung von Industriestandorten«.

»Die Stärkung sozialer Gerechtigkeit ist für die Koalitionspartner ein elementares Ziel«, heißt es an anderer Stelle. Man wolle die Tarifbindung unterstützen, »der dynamisierte Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns auf mindestens 12 Euro« sei »ein zentrales Anliegen«. Gemeinsam mit den Gewerkschaften sollen zudem »die Bedingungen und Voraussetzungen für die Errichtung einer Arbeitskammer in Thüringen« geprüft werden. Solche Einrichtungen zur Vertretung der Interessen der Beschäftigten in Wirtschaft und Politik gibt es zum Beispiel bereits im Saarland oder in Österreich.

Auf Bundesebene will sich Rot-Rot-Grün für »Erleichterungen zur Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen und für Arbeitszeitverkürzung« einsetzen. Und: »Überall dort, wo öffentliche Gelder fließen, dürfen festgelegte Standards für Bezahlung und Arbeitsbedingungen nicht unterschritten werden.« Zur Arbeitswelt von morgen heißt es, diese müsse »sich an den Kriterien Guter Arbeit orientieren: Unsere Ziele bleiben gute Bezahlung und gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.« Deshalb habe sich Rot-Rot-Grün auf »die Stärkung der Tarifbindung, die Entwicklung von Schutzstandards und Bedingungen gesunder Arbeit, die Weiterentwicklung der Mitbestimmung« verständigt.

Die Agrarwende will Rot-Rot-Grün mit einem »gesetzlichen Schutz landwirtschaftlicher Nutzfläche vor einem Landraub durch Kapitalanleger (›Landgrabbing‹) regulatorisch begleiten. Dass am Tag der Vorstellung des Koalitionsvertrages die Grüne Woche startet, gab dem amtierenden Landwirtschaftsminister Benjamin-Immanuel Hoff Gelegenheit, im Bundestag zur agrarpolitischen Positionen von Rot-Rot-Grün Stellung zu nehmen. »Landwirtschaftlich genutzter Boden darf nicht länger Spekulationsobjekt marodierenden Kapitals sein. Die Bundesregierung muss einen europarechtskonformen Rahmen setzen, der Share Deals und Spekulationsinteressen bundesweit agierender Strukturen eindämmt«, so Hoff.

Zudem forderte er einen »Rahmen, der die asymmetrische Verhandlungsposition der Erzeuger gegenüber Handelskonzernen wieder so ausgleicht, dass die landwirtschaftlichen Betriebe fair entlohnt werden«. Die »›Geiz ist geil‹-Kultur in unserem Land nimmt den landwirtschaftlichen Betrieben die Luft zum atmen und destabilisiert den ländlichen Raum. Unsere heimische Landwirtschaft möchte nicht länger die Profite für Verarbeitung- und Handelskonzerne erwirtschaften«, so Hoff. Es reiche »nicht, zu sagen, dass es unanständig sei, billige Lebensmittel zu kaufen. Es ist unanständig, nicht nach Wegen zu suchen, die Handelskonzerne daran zu hindern, die landwirtschaftlichen Betriebe zu strangulieren und zu erpressen.«Und: »Das Mercosur-Abkommen muss gestoppt werden.«

Hoffs Äußerungen waren unter anderem mit den Worten kommentiert worden, Hoff mache »die Landwirtschaft geradezu demonstrativ Spaß«. Ein kleiner Hinweis auf die bis zum Freitagnachmittag noch offene Verteilung der Ressorts in der Minderheitsregierung, bei der auch die Zuständigkeit für den Agrarbereich in der Diskussion stand.

Der komplette Koalitionsvertrag findet sich hier. Zum Vergleich: den Koalitionsvertrag von 2015 findet man hier. Zustimmen müssen dem Regierungsprogramm und der Bildung einer Minderheitsregierung noch Parteitage von SPD und Grünen am letzten Januarwochenende. Die Linke startet eine Mitgliederbefragung.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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