Russland fern fernOst: Rubel spielen keine Rolle
Russland – ein Sehnsuchtsort, den kaum jemand besucht. Ist er es am Ende genau deshalb? Russland – so weit und doch so nah. Russland – Energie- und Großmacht. Stimmt das überhaupt? Russland – das größte Land der Erde. Die Föderation besteht aus neuerdings 84 plus eins Subjekten und tatsächlich mehr als zwei Städten. Russland – reich und arm. Die durch die verheerende Wirtschaftslage und Korruptionsvorwürfe ausgelösten Demonstrationen haben bisher kein Ausmaß erreicht, das die Kremlelite einschüchtern würde. Russland – erklärungsbedürftig.
In dieser Artikelserie sollen einige Schlaglichter auf verschiedene gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Phänomene und Entwicklungen in der Russländischen Föderation geworfen werden. Die Serie versucht nicht, eine Antwort auf die ewige Frage Quo vadis? zu geben, wohl aber einige Hintergründe zu beleuchten.
Teil 3
Neuausrichtung und Bestimmung der russischen Massenmedien
Ein Satz, der alarmiert: »Die besten Autoren der 2000er-Jahre sind heute marginalisiert, sie arbeiten in anderen Berufen oder schreiben für die wenigen verbliebenen – in aller Regel kleinen und randständigen – unabhängigen Publikationen; viele verlassen das Land.« So bündeln es die russischen Medienexperten Gleb Morev und Marija Stepanova in ihrem Artikel Im Würgegriff.
In der russländischen Verfassung ist Medienfreiheit verankert. Es wirkt naiv, sich auf ein so wichtiges Dokument wie die UN-Menschenrechtskonvention zu berufen, die Russland ratifizierte. Putin würde wohl verschmitzt lächelnd sagen: »Das ist eine Wahrheit« und eine andere Wahrheit, die Rangliste der Pressefreiheit – Russland auf Platz 148 von 180 – ungerührt im Kamin verbrennen.
Begonnen hat er seinen Medienkrieg, den er nie überstürzte, kurz nach Amtsantritt. Das erste Ziel war das Fernsehen, das er in der ersten Amtszeit in ein Staatsmonopol überführte. Die Enteignungen der damals so verhassten Oligarchen Vladimir Gussinskij und Boris Berezovskij waren der Urknall eines Paralleluniversums. Der Journalist Oleg Kašin, der einem Eintrag in die Statistik der Journalistenmorde nur knapp entging, soll der unter Oppositionellen verbreiteten Meinung auf einer Demonstration freien Lauf gelassen haben: »Den Fernsehturm Ostankino, dieses Sprachrohr der Regierung, werden wir den Kremlleuten früher oder später in ihre Ärsche schieben«.
Andere Anstalten konnten in der Folge innerhalb eines relativ breit abgesteckten Korridors schreiben und senden. Einigen privaten Investoren gelang es noch, Medien auf dem Markt zu halten; etwa lenta.ru. Unter dem in dieser Hinsicht tatsächlich liberaleren Dmitrij Medvedev etablierten sich gar neue Verlage. Parallel dazu nahm die von Putin ins Leben gerufene Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor 2008 ihre Arbeit auf. Sie ist mit zahlreichen Waffen der Willkür ausgestattet und befugt, Geldstrafen zu verhängen sowie Medien zu »ausländischen Agenten« zu erklären. Auch ansonsten erinnert die Funktionsweise stark an das NGO-Gesetz.
Die verdammte Kette
Die nächste Welle galt den Print- und Internetmedien. In Russland gibt es den Ausdruck grjobanaja zep. Übersetzen wir ihn anstandshalber mit »verdammte Kette«. Ab 2011 ist diese Kette geknüpft worden. Zerschlagenes Medium gliederte sich an kastrierte Redaktion. Beispiele sind Vlast, dessen Chefredakteur wegen eines veröffentlichten, Putin beleidigenden Wahlzettels durch den Milliardär Alischer Uzmanov gekündigt wurde, und gazeta.ru, dessen Chefredakteur eine Kooperation mit den Wahlbeobachtern von Golos es gewagt und Werbung von der Kreml–Partei abgelehnt hatte.
Gleichzeitig schnürte die sich verlängernde »Kette« die übrigen Periodika weiter ein. Das Muster war stets das gleiche: Da der Kreml keinen direkten Einfluss auf die Verlage hatte, übte er Druck auf die Eigentümer aus. Uzmanov und seine Kollegen mussten zu dieser Zeit einsehen, dass Loyalität zum Kreml und ein unabhängiger Medienkonzern unvereinbar sind. Häufig wurden plötzlich ökonomische Gründe vorgeschoben, was – angesichts der Vermögen im Hintergrund – unglaubwürdig ist. Zutreffender ist, dass Geld niemals eine Rolle spielte, sondern die Medienstatthalter des Kremls die Pflicht haben, den Schein einer pluralistischen Medienlandschaft zu wahren.
Das Ausschalten der Unliebsamen
Was mit einer »Loyalisierung« durch Personalpolitik begann, setzte sich mit dem Ausschalten der staatlichen Medienagentur RIA-Novosti im Dezember 2013 fort. Die Nachfolgerin der sowjetischen Agentur Pečati Novosti war vom Kaliber einer dpa. Noch stärker erschüttert das Substitut Rossija Segodnja die russischsprachige Medienwelt. Zu ihm gehören die polyglotten Propagandaschmieden Sputnik und RT (Russian international television network).
Des Kremls liebstes Haustier Dmitrij Kisiljov gibt seitdem den halsbrecherisch-inadäquaten Papagei. »Donald Trump – second; Dmitrij Kisiljov – first«: Wer die Erfindung postfaktischer Fakenews dem US-Präsidenten zuschreibt, irrt. Kisiljov hetzt das Volk seit Jahren gegen erfundene Feinde im In- und Ausland auf. Und zwar in einer Manier, wie sie hierzulande unvorstellbar ist. Trump steckt er allemal in die Tasche. »Keine Diffamierung ist zu abwegig, um sie nicht zu senden«, so der ehemalige ZEIT-Journalist Johannes Voswinkel in Zynismus mit journalistischem Antlitz.
Weitere medienpolitische Highlights sind die Fälle Dožd (tvrain), vKontakte, lenta.ru: Der unabhängige Fernsehsender tvrain kann seit 2014 nur noch online im Aboformat senden. Er verlor einen Großteil seiner Zuschauer. Eine kritische Umfrage war der Vorwand für die umfangreichen Repressionsmaßnahmen. Das russische Facebookäquivalent vKontakte musste ebenfalls seinen Eigentümer und damit seine Gesinnung wechseln. Entwickler Pavel Durov hatte nicht mit dem Inlandsgeheimdienst FSB gegen Oppositionelle kooperieren wollen. Mittlerweile ist er emigriert. Das Nachrichtenportal lenta.ru stellt ein Unikum dar. Es weist eventuell einen Ausweg für in die Enge getriebene Leidensgenossen. Während unter dem Erfolgslabel lenta.ru nun kremltreu berichtet wird, floh die gesamte Redaktion im Oktober 2014 ins Rigaer Exil. Dort wurde Meduza gegründet und erneut kritischer Journalismus in russischer Sprache angeboten.
Dass Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielt, beweist das rentable lenta.ru. Sobald sich eine Gelegenheit bietet, politisch unliebsame Redaktionen zu reißen, schlägt Roskomnadzor an. Wie zuvor openspace.ru, das zu colta.ru wurde, und tvrain musste Meduza neue Geldgeber finden. Investigativer russischer Journalismus ist inzwischen crowdfundingbasiert.
Russlands Medien im Würgegriff
Geld aus dem Ausland wird auch in der Medienwelt zum Strafdelikt. Das »Gesetz zur Begrenzung ausländischer Tätigkeit im Medienbereich« regelt, dass Ausländer keine Medien gründen und nicht mehr als 20 Prozent der Aktien halten dürfen. Der Springer-Verlag musste deshalb seine Anteile an den russischen Forbes veräußern. In diesem Zusammenhang imaginierte die damalige Vizepräsidentin des Medienkonzerns RBK, Elena Mjasnikova, »ein großes Verlagshaus«. RBK gehört seit Mai 2017 ebenfalls mehrheitlich einem Kremlfreund.
Die Säuberung ist abgeschlossen, die annektierte Krim brachte man innerhalb weniger Monate auf identischen Stand. Die wenigen geduldeten Medien mit Berufsethos arbeiten in engem Rahmen. Sie sind Teil einer »Feigenblatt-Strategie«, wie Boris Reitschuster es in Putins verdeckter Krieg nennt. Radio Echo Moskvy ist ein bekanntes Beispiel. Noch in der Zeit von Glasnost gegründet, ist der Kultsender ein Leuchtturm freier Berichterstattung, allerdings seit 2005 zu zwei Dritteln Eigentum der Gazprom-Media-Holding. An der kurzen Leine darf Echo Moskvy bis heute ein Auffangnetz für Freidenker sein. Hinter vorgehaltener Hand sagt man, der Kreml höre selbst Echo.
Millionen für die Propaganda
Gänzlich irrelevant wird der Aspekt der Wirtschaftlichkeit derweil bei Auslandsmedien. Alleine RT (Russian international television network) erhielt in den letzten Jahren durchschnittlich 250 Millionen Euro vom Staat. Seit 2017 fließen zusätzlich 17 Millionen für »eine Reihe von Sprachaufgaben«, wie The Moscow Times berichtete. Verständlich, denn RT berichtet das Nichtberichtete – so der die Propaganda kaum verhehlende Slogan – in über dreißig Sprachen.
Diese ungeheuren Investitionen müssen ebenso wenig Rendite abwerfen wie die inzwischen salonfähigen Trollfabriken. Cyber- und sonstige Informationskrieger – in Russland kein martialischer Begriff – müssen als Vertreter einer modernen Medienindustrie politische Arbeit leisten: Nachrichtenenten wie die dreißigstündige Vergewaltigung durch acht Flüchtlinge »unserer Lisa« in die Welt setzen; apokalyptische Mythen, ob Lügenpresse oder Islamisierung des Abendlandes, einreden; desinformieren und lügen. Das ist ihr Zweck. Aussteiger bestätigen dies. Der Russland-Experte Peter Pomerantsev spricht in seinem Buch Nichts ist wahr und alles ist möglich von einer »groß angelegten Realityshow russischer Politik«. Wer das nicht versteht, braucht sich nicht mit Russland zu beschäftigen, meint auch Boris Schumatsky in Der neue Untertan. Anderenfalls mache man sich zum »nützlichen Idioten«.
Mit Fakenews lässt sich auch Geld verdienen. Denn das System verselbstständigt sich: Im mazedonischen Veles lebte ein halbes Städtchen vom Verbreiten verschwörungstheoretischer Informationen und Klicks generieren, wie DIE ZEIT berichtete. Da kann Putin noch etwas lernen.
Weiterführend:
Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2017.
Gleb Morev, Marija Stepanova: Im Würgegriff. In: Zeitschrift Osteuropa 3/2015. DGO
Boris Reitschuster: Putins verdeckter Krieg. Econ Verlag, Berlin 2016, 336 Seiten, 19,99 €
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