Wirtschaft
anders denken.

Mobilisierte Unternehmen, schwache Wirtschaft

30.05.2022
Aus einem Portemonnaie ragt eine Rubelnote (die Währung von Russland) heraus.Foto: Evgeny GoTown.ruAuswirkungen der Sanktionen bekämpft Russland monetär.

Bei den russländischen Unternehmen scheint es trotz Krieg zu laufen, dennoch schwächelt die Volkswirtschaft. 

Trotz sinkender Nachfrage bleibt der Optimismus in der russländischen Wirtschaft stabil  – auch wenn dieser Optimismus für den Beobachter schwer nachzuvollziehen ist. In der Industrie betrachten die Unternehmen ihre Bestände an fertigen Erzeugnissen als weitgehend normal, nur in einigen Bereichen, wie der Erzförderung und -verarbeitung werden Überbestände konstatiert. Schwieriger ist die Angelegenheit in Bezug auf die Vorräte an Rohstoffen und Materialien, auch wegen der Sanktionen. Es wird die Frage gestellt, ob man nicht aus der Konzentration auf die Bildung von Gold- und Währungsreserven auf die Bildung von Warenreserven übergehen sollte. Dies würde tatsächlich nach der Einführung von Elementen einer Devisenzwangswirtschaft, der Schaffung von Möglichkeiten faktischer oder tatsächlicher Enteignung ausländischer Unternehmen und der Umgehung von Schutzrechten ein weiterer Schritt zu einer Kriegswirtschaft im traditionellen Sinne sein. In diese Richtung gehen auch Versuche der Preisregulierung, wie sie jetzt von der Regierung bezüglich Baumaterialien und Metallen vorgenommen werden sollen.

Vorerst scheint aber der Schwerpunkt weiter auf dem Versuch zu liegen, über monetäre Hebel die Anpassung der Wirtschaft an die aus den Sanktionen resultierenden Problem zu erreichen. Auf der einen Seite wird die Stabilität des Rubel begrüßt, die etwa auch durch den hohen Leitzins gewährleistet wird, auf der anderen Seite wird gleichzeitig dessen Senkung gefordert, weil der Zugang zu Krediten für einheimische Unternehmen ein wichtiger Faktor für den Umbau der Wirtschaft sei. Der Import aus neutralen Staaten übe zudem Druck auf die einheimischen Produzenten aus und gefährde in dieser Konstellation deren Konkurrenzfähigkeit auch im Inland. Der Staat stützt dabei weiterhin von außen betrachtet wenig systematisch verschiedene Bereiche.

Zudem bleiben die außenwirtschaftlichen Risiken hoch. Da die ausländischen Investoren nach einem entsprechenden Verbot durch das US-Finanzministerium keine Zahlungen auf russländische Staatsanleihen mehr erhalten dürfen (technischer Zahlungsausfall) könnte es zu umfangreicheren Beschlagnahmen russländischen Eigentums überall auf der Welt kommen, da ja das Schuldverhältnis weiter besteht. Zwar sei keine direkten Wirkungen auf die inländischen Wirtschaftskreisläufe zu erwarten, aber indirekte, die nicht weniger gefährlich sein könnten. Insoweit ist der anhaltende Wirtschaftskrieg ein Faktor des Übergangs zu einer echten Kriegswirtschaft. Zudem muss man immer in Rechnung stellen, dass durch die Sanktionen, Enteignungen usw. das internationale Rechtssystem, die Zuverlässigkeit von Verträgen und Regeln bereits in erheblichem Maße untergraben ist. Seit Mitte März liegt bereits ein Gesetzentwurf zum Austritt Russlands aus der Welthandelsorganisation vor. Das Problem besteht darin, dass dieser Schritt den Handel auch mit den freundlich gesinnten Staaten damit komplizierter machen würde, weshalb dieser Schritt von Ökonomen abgelehnt wird.  Zur Erinnerung: Der Beitritt zur WTO war damals mit großen Ängsten vor einer Überflutung der Märkte mit billigeren und besseren Produkten und dem Ruin ganzer Wirtschaftsbereiche verbunden. Das ist nicht eingetreten – aber auch nicht der erhoffte belebende Effekt. Ein Austritt würde bedeuten, dass Russland praktisch von einem Tag auf den anderen vor allem mit den Wunschpartnern China und Indien neue Handelsverträge nicht nur ausarbeiten, sondern auch in Kraft setzen müßte.

All dies vollzieht sich vor dem Hintergrund großer Unsicherheit. Das Wirtschaftsministerium hat Mitte Mai eine weitere (konservative) Prognose vorgelegt, die als realistisch angesehen wird. Im Falle schärferer Sanktionen, ungünstiger Preisentwicklung sowie verzögerter Realisierung von Maßnahmen der Importsubstitution und der wirtschaftlichen Umstrukturierung könnte das GDP in diesem Jahr um 8,8 Prozent fallen. Im nächsten Jahr sei dann mit einem Absinken um 2,9 Prozent zu rechnen, bevor in den beiden Folgejahren dann ein Wachstum um 2,6 bzw. 2,1 Prozent zu erwarten sei. Das Ministerium rechnet mit sinkenden Einkommen und entsprechend sinkender Nachfrage, sinkenden Exporten und Investitionen. Auch wenn letzteres bereits in den Vorannahmen dieser Prognosevariante vorausgesetzt war bestätigt sich, dass in der Verbindung von Investitionen und Importablösung der wunde Punkt der russländischen Wirtschaft liegt. Dazu liegen aus den letzten zwei Wochen zwei im Gegensatz zueinander stehende Aussagen vor: Senator Andrej Klišas, selbst eng mit der Wirtschaft verbunden, erklärte, dass die Strategie der Importsubstitution bis jetzt völlig gescheitert sei. Außer gut klingender Berichte der Behörden gäbe es nichts. Demgegenüber behauptet die Zentralbank, dass der Umbau bereits begonnen habe und im Verlaufe der nächsten 1,5 bis 2 Jahre abgeschlossen sein könnte.

Allerdings wird gegenwärtig weniger von Zukunftsinvestitionen berichtet, sondern eher von Versuchen, die Verluste zu begrenzen. Zwar wurde der Leitzins von 20 wieder auf 11 Prozent gesenkt, aber ob davon Impulse für eine Belebung des Investitionsgeschehens ausgehen, ist offen. Die letzten beiden Monate hatten durch die stark gestiegenen Zinsen auch den Wohnungsbau und die damit verbundenen Bereiche in Mitleidenschaft gezogen. Angesichts der erwarteten Einkommensverluste könnte das langfristige Wirkungen haben, selbst wenn nun die Zinsen wieder sinken. Auch die Regelung, dass Exporteure nun wieder 50 Prozent ihrer Deviseneinnahmen behalten dürfen (zuletzt waren es nur noch 20 Prozent) scheint das Investitionsgeschehen nur wenig zu beeinflussen.

Sei es die Bitte der »Handelszentren« (Malls) nach Aussetzen der Steuern wegen der Verluste, die mit dem Abzug ausländischer Handelsketten verbunden sind oder die der fischverarbeitenden Industrie nach Kreditvergünstigungen für den Bau von eigenen Fischereifahrzeugen oder seien es die Probleme, die die Hersteller alkoholischer Getränke bei der Umstellung ihrer Kooperationsbeziehungen nach China und Indien haben – die Unternehmen mögen mobilisiert sein, aber die Wirtschaft scheint es noch nicht.

Geschrieben von:

Lutz Brangsch

Ökonom

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