Wirtschaft
anders denken.

Hebel zur Flexibilisierung, Folge öffentlicher Sparpolitik: OXI-Überblick zur Befristung

24.01.2018
Umweltschützen / Gemeinfrei

Jüngere, Frauen und Ostdeutsche sind öfter von sachgrundlosen Befristungen betroffen. Mit den unsicheren Jobs müssen vor allem Neueinsteiger und öffentlich Beschäftigte leben. Ganz schlimm ist es im Wissenschaftsbereich. Die Folgen: Höhere Armutsrisiko, mehr Unzufriedenheit. Hilft eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung?

Ein Streitpunkt der nun beginnenden Koalitionsverhandlungen wird das Thema »Befristung« sein: Die SPD will Änderungen bei den gesetzlichen Regelungen zur so genannten sachgrundlosen Befristung erreichen. Die Union zeigt sich hier einerseits ein wenig offen, wie Signale von Kanzleramtschef Peter Altmaier von der CDU in Richtung DGB-Vorstand gedeutet werden können.

Andererseits pochen die Lobbyverbände der Unternehmen auf die Beibehaltung der bestehenden Regelungen, die sie als Hebel zur Flexibilisierung der Aneignung fremder Arbeit nutzen. Etwas polemisch ließ sich der so genannte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer ein: Wenn Union und SPD bei dem Thema Handlungsbedarf sehen würden, könnten sie die Befristungen im öffentlichen Dienst reduzieren.

Damit spielt Kramer auf einen Knackpunkt der Debatte an: Befristet wird vor allem im öffentlichen Dienst und in der Wissenschaft, dort werden auch weniger befristete Beschäftigte später übernommen. Das liegt nicht zuletzt in der Natur der geltenden Regelungen, die 1985 »ursprünglich als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedacht« waren, inzwischen aber »zu einem Massenphänomen geworden« seien, wie es die Gewerkschaften formulieren. »Arbeitgeber entlasten sich von Risiken, mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat dies Verhalten nichts mehr zu tun.«

»Es sind dies aber eben nicht zuletzt öffentliche »Arbeitgeber«, die Frage ist also nicht bloß eine der gesetzlichen Schranken der Befristung, sondern auch der finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand. Anders gesagt: Der hohen Zahl von Befristungen in Wissenschaft und öffentlichem Dienst geht der Druck der Austerität voraus, der zu einer Ausgabenbeschränkungspolitik führt, die selbst eigentlich gesellschaftlich viel zu »teuer« ist, wenn man sich die Folgen ansieht.

Im Gesetz gibt es sogar eine eigene Klausel für den öffentlichen Bereich, die sich verhängnisvoll auswirkt: Befristungen werden dort ausdrücklich dann erlaubt, wenn »der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird«. Genau das aber geschieht oft: dass Mittel nur befristet eingestellt werden. Das führt vor allem in der Wissenschaft zu einer erheblichen Schwächung der Beschäftigten, wie die hohen Befristungsquoten zeigen.

Die SPD hat auf ihrem Sonderparteitag beschlossen, in den Koalitionsverhandlungen zu erreichen, dass befristete Arbeitsverhältnisse »die Ausnahme sein« sollen, dies aber konditioniert: »gerade für Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger muss das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder zur Regel werden«. Es geht also der Sozialdemokratie vor allem um die Jüngeren. »Deshalb sind die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die Einschränkung der Sachgründe für Befristungen sowie die Begrenzung von Befristungsketten geeignete Maßnahmen, um insbesondere für junge Menschen für mehr Sicherheit beim Start ins Berufsleben zu sorgen und sie damit in der Phase der Familiengründung zu unterstützen.«

Merke: Die SPD zählt hier eine Reihe von »geeigneten Maßnahmen« auf, die sie als »weitere Fortschritte« in den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen erreichen möchte. Eine Bedingung für einen Eintritt in die Regierung ist damit aber nicht verbunden. Die Frage freilich ist, was ein Erfolg überhaupt bringen würde. »Sachgrundlose Befristungen abzuschaffen, ändert daran zunächst einmal nichts«, wird der IAB-Experte Christian Hohendanner beim Sender ntv zitiert. Er nannte es zudem »naiv« zu glauben, dass Unternehmen wegen des Wegfalls des Instruments der Befristung »automatisch mehr Beschäftigte gleich dauerhaft anstellen«. In der Privatwirtschaft könnten die Firmen dagegen dann mehr Leiharbeiter einsetzen, Arbeitsbereiche auslagern oder Mitarbeiter frei auf Honorarbasis beschäftigen. Im öffentlichen Bereich müsste eine Änderung wohl eher dadurch erreicht werden, dass die Finanzierung von Stellen dauerhafter gesichert ist.

Was ist sachgrundlose Befristung?

Das Gesetz über Teilzeitarbeit nennt die Befristung eines Arbeitsvertrages »zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist«. Als solche Gründe werden insgesamt acht aufgezählt – darunter, dass »der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht«, dass »die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern« oder »der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird«.

Befristet werden kann ohne »sachlichen Grund« derzeit für eine Dauer von zwei Jahren, Verträge können binnen dieses Zeitraums maximal drei Mal verlängert werden. Tarifverträge können diese Regeln zur Anzahl der Verlängerungen oder zur Höchstdauer der Befristung abweichend regeln. Weitere Ausnahmemöglichkeiten gelten für neugegründete Unternehmen oder Beschäftigte im Alter über 52 Jahren. Eingeführt wurde die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung 1985 mit der Begründung, die Hürden für Neueinstellungen so zu senken.

Wie viele Menschen arbeiten sachgrundlos befristet?

Die Bundesregierung hat 2017 der Linksfraktion gegenüber in einer Antwort auf eine Anfrage erklärt, in der Bundesrepublik hätten 2,8 Millionen Beschäftigte befristete Jobs. Laut dem Statistischen Bundesamt wurden im Mikrozensus für das Jahr 2015 rund 3,2 Millionen Beschäftigte mit einem befristeten Arbeitsverhältnis gezählt – das sind 9,3 Prozent aller abhängig Beschäftigten.

»Befristete Beschäftigungen nehmen immer mehr zu. Inzwischen haben 3,2 Millionen Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis«, hieß es denn auch in einer Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom Sommer 2017. Danach betrifft dies vor allem Neueinstellungen und damit viele junge Leute. »Inzwischen sind 42 Prozent aller neu abgeschlossenen Einstellungen befristet«, so der DGB, der darauf verweist, dass 2001 nur 32 Prozent der Neueinstellungen befristet war.

Laut der gewerkschaftsnahen Böcklerstiftung hat fast jeder fünfte abhängig Beschäftigte unter 35 Jahren nur einen befristeten Arbeitsvertrag, das heißt, »mehr als 60 Prozent aller befristet Beschäftigten in Deutschland sind jünger als 35«. Sie seien »in der Berufseinstiegs- und Familiengründungsphase auch besonders stark von den Nachteilen dieser atypischen Beschäftigungsform betroffen« – haben also »deutlich niedrigere Nettoeinkommen als gleich alte Arbeitnehmer mit unbegrenztem Vertrag. Dementsprechend sind sie trotz Arbeit doppelt so häufig von Armut bedroht. Junge Beschäftigte in befristeten Arbeitsverhältnissen sind zudem seltener verheiratet und haben deutlich weniger Kinder als unbefristet Beschäftigte.«

Interessant sind auch die regionalen Unterschiede: »Während Mecklenburg-Vorpommern mit 55 Prozent befristeter Einstellungen an der Spitze liegt, sind es Bayern mit 32 Prozent die wenigsten«, fasst das eine Nachrichtenagentur zusammen. Neu abgeschlossene Arbeitsverhältnisse von Frauen werden zu 47 Prozent befristet, bei Männern nur zu 38 Prozent. »Hier wirkt sich aus, dass Befristungen vor allem im Dienstleistungsbereichen, im Gesundheitswesen und im öffentlichen Sektor stärker verbreitet sind«, so der DGB.

In einer anderen Studie verweist das IAB 2015 auf die Lage an den Hochschulen. »Das Niveau befristeter Arbeitsverträge in der Wissenschaft liegt deutlich über dem des restlichen öffentlichen Dienstes. Die Zahl sei kontinuierlich angestiegen, sie pendelt je nach Datengrundlage zwischen 27 und 43 Prozent (2014), lag aber 2004 noch zwischen 25 und 37 Prozent. Damit aber nicht genug: »Betrachtet man lediglich die wissenschaftlichen Mitarbeiter im Arbeitnehmerstatus lag der Befristungsanteil laut dem Bundesbericht für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Jahr 2010 bei etwa 90 Prozent.«

Die »Frankfurter Allgemeine« verweist auf Daten zum eu­ro­päi­schen Ver­gleich, danach liege »der An­teil der Be­fris­tun­gen hier­zu­lan­de al­ler­dings nicht be­son­ders hoch, wie Zah­len des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts zei­gen. Be­zo­gen auf die Ge­samt­zahl der Be­schäf­tig­ten, al­so nicht nur die Neu­ein­stel­lun­gen, be­trägt er 8,5 Pro­zent; und dar­in ist der öf­fent­li­che Dienst schon ent­hal­ten. Der EU-Durch­schnitt liegt bei 11 Pro­zent.«

Was sind die Folgen der Befristung?

Sieht man vom grundlegenden Problem ab, dass die Stelle ausläuft und man seine Beschäftigung verliert, gibt es Hinweise auf die daraus resultierenden Folgen für die Gesundheit. »Das Wohlbefinden von Arbeitnehmern wird durch Befristung erheblich beeinträchtigt. Der Grund dafür sei die fehlende Arbeitsplatzsicherheit«, heißt es in einer Untersuchung von Adrian Chadi und Clemens Hetschko von der Universität Trier und der Freien Universität Berlin. Die Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Betroffenen waren bisher umstritten: »Empirische Studien seien bisher nicht zu eindeutigen Ergebnissen gekommen.« Ein neuer Ansatz aber helfe, »die Auswirkungen befristeter Beschäftigung auf die Arbeitszufriedenheit zu bestimmen.

Wie viele befristete Beschäftigte werden übernommen?

Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur ist die Zahl der Übernahmen von befristeter in unbefristete Beschäftigung seit 2009 »merklich« angestiegen: Waren 2009 noch 30 Prozent der zunächst befristet angestellten Beschäftigten anschließend in eine unbefristete Beschäftigung übernommen worden, lag der Anteil im Jahr 2012 bei 39 Prozent. Das IAB: »Beendet wurden 37 Prozent der befristeten Arbeitsverhältnisse im Jahr 2009 bzw. 28 Prozent im Jahr 2012.«

Das Institut schreibt weiter: »Es gibt deutliche branchenspezifische Unterschiede bei befristeten Einstellungen und Übernahmen. In den Bereichen ›Erziehung und Unterricht‹ und ›Öffentliche Verwaltung‹ wird sehr häufig befristet eingestellt: Die Befristungsanteile betragen hier 76 bzw. 60 Prozent. Gleichzeitig sind die Übernahmequoten in diesen Bereichen besonders niedrig: Bei ›Erziehung und Unterricht‹ lediglich 18 Prozent, im Bereich ›Öffentliche Verwaltung‹ 28 Prozent.« Der Grund liege darin, dass in diesen Bereichen »Projekt- und Haushaltsmittel häufig nur für einen kurzen Zeitraum vergeben werden«.

Wie sieht die Lage im privaten Sektor aus?

Laut einer IAB-Studie von 2016 nennt die Privatwirtschaft als wichtigste Befristungsmotive »die Erprobung neuer Mitarbeiter«. Der Befristungsanteil lag hier 2014 um über sieben Prozent niedriger als im öffentlichen Bereich, bezieht man in die Berechnung auch die Wissenschaft mit ein, wächst der Abstand auf über zehn Prozent. Das IAB: »Während öffentliche Arbeitgeber befristete Arbeitsverträge als zentrales Instrument der Personalanpassung einsetzten, nutzten private Arbeitgeber daneben häufiger auch Erwerbsformen wie Leiharbeit oder freie Mitarbeit und sprachen öfter Kündigungen aus.«

Anmerkung der Redaktion: Wir haben eine falsche Angabe über den Anstieg der Befristung herausgenommen. Danke an Holger Schäfer für den Hinweis.

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