Wirtschaft
anders denken.

Ärger nach 12.45 Uhr: Die sachgrundlose Befristung, die GroKo und grollende Unternehmer

08.02.2018
Artem / gemeinfrei

Was hat die SPD beim Thema sachgrundlose Befristung erreicht? Wichtige Änderungen im Entwurf des Koalitionsvertrags tauchten erst ganz am Ende auf. Die Unternehmer zeigen sich entsetzt, in der CDU wird der Kompromiss verteidigt. Auf der Spur einer »Nachbesserung«.

Bei der SPD galt das bis eben noch als eine Gretchenfrage: ein Stopp der sachgrundlosen Befristung. Das Thema spielte im Wahlkampf eine hervorgehobene Rolle. Es wurde nach der Sondierung zu einer der zentralen sozialdemokratischen Forderungen nach Nachbesserungen. Und noch auf den letzten Metern vor der Einigung über einen Entwurf des Koalitionsvertrages änderten sich die Formulierungen zur Überraschung unter anderem von Unternehmensvertretern.

Was aber wurde denn nun genau vereinbart? Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten sollen nur noch höchstens 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen. Für ei­nen Be­trieb mit 76 Be­schäf­tig­ten liegt die Gren­ze da­mit bei ei­ner Per­son. Was unterhalb der 75-Grenze passiert, bleibt offen, was man so interpretieren kann: In kleineren Firmen wird die sachgrundlose Befristung nicht eingeschränkt.

Auf der anderen Seite würde die Große Koalition etwas gegen Kettenbefristungen tun – »eine Befristung soll nicht zulässig sein, wenn mit dem Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse von fünf oder mehr Jahren bestanden haben« – und die Dauer der Befristung einschränken – auf nur noch 18 statt wie bisher 24 Monate. Das kann eine problematische Folge haben, geht man davon aus, dass nicht automatisch aus befristeten unbefristete Stellen werden: Die Betroffenen sind dann früher als bisher von Erwerbslosigkeit bedroht. Eine Eindämmung prekären Lebens ist das nicht.

Hat die SPD also ihr Ziel erreicht?

Hat die SPD also ihr Ziel erreicht? Wurde im Sinne des Beschlusses vom Sonderparteitag nachgebessert? Die Delegierten hatten dazu beschlossen: »Befristete Arbeitsverhältnisse müssen die Ausnahme sein; gerade für Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger muss das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder zur Regel werden«. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die Einschränkung der Sachgründe für Befristungen sowie die Begrenzung von Befristungsketten seien »geeignete Maßnahmen, um insbesondere für junge Menschen für mehr Sicherheit beim Start ins Berufsleben zu sorgen und sie damit in der Phase der Familiengründung zu unterstützen«.

Jüngere, Frauen und Ostdeutsche sind öfter von sachgrundlosen Befristungen betroffen. Insgesamt sind rund drei Millionen Jobs befristet. Mit den unsicheren Jobs müssen vor allem Neueinsteiger und öffentlich Beschäftigte leben. Ganz schlimm ist es im Wissenschaftsbereich. Die Folgen: höhere Armutsrisiko, mehr Unzufriedenheit. Deshalb, so die SPD, müssten im Vergleich zum Sondierungsergebnis, in dem das Thema gar nicht genannt worden war, »konkret wirksame Verbesserungen erzielt werden«.

Alles auch eine Frage der Sichtweise

Eine Veränderung hat es nun gegeben, aber steckt darin auch eine »wirksame Verbesserung«? Das hängt von einigem ab. Und ist auch eine Frage der Sichtweise. Interessant ist daher die Geschichte der betreffenden Passage des Entwurfs der Koalitionsvereinbarung: Zunächst kursierte in der Öffentlichkeit eine Fassung mit Stand vom 5. Februar, in der es auf Seite 45 zu den Themen »sachgrundlose Befristung, Kettenbefristung« hieß: »Offene Punkte, keine Vereinbarung«.

Als am Mittwoch dann die Meldungen über eine Einigung zwischen den drei Parteien die Runde machte, hieß es in einem bald darauf öffentlich gewordenen Entwurfspapier zum Koalitionsvertrag im Einleitungsteil: »Wir haben einen wirklichen Durchbruch bei den Verhandlungen über die sachgrundlose Befristung und Kettenverträge erreicht: Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung werden reduziert. Sachgrundlose Befristungen werden wieder zur Ausnahme, das unbefristete Arbeitsverhältnis soll wieder zur Regel werden in Deutschland. Endlose Kettenbefristungen werden abgeschafft.«

Wer weiter hinten nach genaueren Angaben suchte, fand eine Passage auf Seite 52, in der die Einigung zu den Kettenbefristungen schon formuliert war, mehr aber nicht. Dieser Entwurf machte die Runde, und entsprechend fielen die Reaktionen aus. Die »Frankfurter Allgemeine« schreibt, die Fassung von 11.45 Uhr habe den Eindruck erweckt, »die Pläne würden vor allem den öffentlichen Dienst treffen – der das umstrittene Instrument der befristeten Verträge besonders exzessiv nutzt«.

Unternehmer-Ärger über den »Linkskurs der Union«

Doch bald darauf wurde die endgültige Fassung des Entwurfs bekannt, sie trägt den Zeitstempel 12.45 Uhr – und in dieser einen Stunde ist noch einiges beim Thema sachgrundlose Befristung passiert. Zuerst meldete der Sender BR, die Befristungsmöglichkeit werde in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße eingeschränkt – danach, so der Stand am Mittag, sollten angeblich bei bis zu 250 Mitarbeitern bis zu fünf sachgrundlos befristet werden dürfen, ab 250 Mitarbeitern bis zu zwei Prozent der Belegschaft. Das war zwar nicht ganz richtig, wies aber in eine richtige Richtung.

In der endgültigen Entwurfsfassung war nun nicht mehr bloß von Kettenbefristungen die Rede, sondern auch eine Betriebsgrößen-abhängige Höchstzahl und die Minderung der Befristungsdauer. »Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen.« Und: »Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich.«

Der Zusatz hatte Folgen: Im Unternehmerlager sei die ohnehin schon bestehende Enttäuschung über das Verhandlungsergebnis insgesamt wegen der Befristungspassage »in ei­ni­gen Fäl­len bin­nen Stun­den blan­kem Är­ger« gewichen. Von einem »Linkskurs der Union« schreibt die FAZ, der in »Arbeitgeberkreisen« für Empörung sorgte.

BDA-Lobbyisten sehen Agenda zu Grabe getragen

Die Kapitallobby BDA zürnte, »die weitgehende Abschaffung von sogenannten sachgrundlosen Befristungen unterstreicht den wirtschaftsfeindlichen roten Faden, der sich durch diesen Koalitionsvertrag zieht«. Es handele sich um eine »Phantomdiskission«, da es in der Privatwirtschaft keine massenhaften Befristungen gebe.

Nun, wenn dies so wäre, müsste sich eigentlich auch niemand aufregen, jedenfalls nicht in der Privatwirtschaft. Zumal ein beträchtlicher Teil der Beschäftigten in Firmen arbeitet, die kleiner sind als 75 Mitarbeiter. Die Unternehmen wollen aber generell dieses »Instrument für Flexibilität« nicht preisgeben und verweisen auf »Beschäftigungschancen gerade von Menschen mit Vermittlungshemmnissen«. Diese würden nun die Betroffenen sein und »für die als Missstand empfundene übermäßige Nutzung befristeter Arbeit und Kettenbefristungen durch die öffentliche Hand in Haftung genommen«. Oder in den Worten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, die hier auch gern die große Pose macht: »Die Agenda 2010 wird dadurch von dieser Koalition endgültig zu Grabe getragen.«

In der CDU suchte man daher, die Einigung zu verteidigen, indem man ihr eine bestimmte Interpretation mitgab: Es sei ja das »Ziel der Union« gewesen, Missbrauch bei Befristungen abzuschaffen – »der Kompromiss bekämpft zielgerichtet die arbeitnehmerfeindliche Kettenbefristung«, wurde Karl-Josef Laumann vom CDU-Arbeitnehmerflügel zitiert. Und er erwarte nun, »wesentliche Änderungen bei der Befristungspraxis im öffentlichen Dienst«. Und nicht so sehr in der Privatwirtschaft.

Eine eigene Klausel für den öffentlichen Bereich

Und in der Tat: Befristet wird vor allem im öffentlichen Dienst und in der Wissenschaft, dort werden auch weniger befristete Beschäftigte später übernommen. Das liegt nicht zuletzt in der Natur der geltenden Regelungen, die 1985 »ursprünglich als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedacht« waren, inzwischen aber »zu einem Massenphänomen geworden« seien, wie es die Gewerkschaften formulieren. »Arbeitgeber entlasten sich von Risiken, mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat dies Verhalten nichts mehr zu tun.«

Es sind dies aber eben nicht zuletzt öffentliche »Arbeitgeber«, die Frage ist also nicht bloß eine der gesetzlichen Schranken der Befristung, sondern auch der finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand. Anders gesagt: Der hohen Zahl von Befristungen in Wissenschaft und öffentlichem Dienst geht der Druck der Austerität voraus, der zu einer Ausgabenbeschränkungspolitik führt, die selbst eigentlich gesellschaftlich viel zu »teuer« ist, wenn man sich die Folgen ansieht.

Im Gesetz gibt es bisher sogar eine eigene Klausel für den öffentlichen Bereich, die sich verhängnisvoll auswirkt: Befristungen werden dort ausdrücklich dann erlaubt, wenn »der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird«. Genau das aber geschieht oft: dass Mittel nur befristet eingestellt werden. Das führt vor allem in der Wissenschaft zu einer erheblichen Schwächung der Beschäftigten, wie die hohen Befristungsquoten zeigen.

Man wird also erst einmal abwarten müssen, was die »Nachbesserungen« der SPD für konkrete Änderungen an der gesetzlichen Lage zur Folge haben werden. Einige Pfeiler sind im Entwurf des Koalitionsvertrages genannt: die Einschränkung von Kettenbefristungen, die Begrenzung der Befristungshöchstdauer und die Deckelung der Zahl sachgrundlos befristeter Beschäftigter ab einer bestimmten Betriebsgröße. Ob damit sachgrundlose Befristungen wirklich »wieder zur Ausnahme« werden, wie es im Koalitionsvertrag auch heißt, wird man dann sehen. Und vorher muss abgewartet werden, was die SPD-Mitglieder sagen – auch und nicht zuletzt zu dieser »Nachbesserung«.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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