Türsteher im »Museum des Neoliberalismus«: Kommentar zum Sachverständigenrat
Es liegt an Medien – aber auch am Sachverständigenrat selbst, dass die Berichterstattung über das Jahresgutachten von einem Tenor der Einheitlichkeit dominiert wird. So panzert sich »eine Bastion alten ökonomischen Denkens« gegen eine plurale Debatte darüber ab, was wirtschaftspolitisch alternativ möglich und sinnvoll wäre. Ein Kommentar.
Wer an diesem Donnerstag Zeitung liest, bekommt in den meisten Fällen ein Bild wirtschaftspolitischen Sachverstandes geliefert, das erstens nicht der Wahrheit entspricht, das zweitens mit der Idee des Gremiums nichts zu tun hat, über das da geschrieben wird und das drittens mutwillig herbeigeführt wird. Vier Wirtschaftsweise haben »eine Neujustierung der Wirtschaftspolitik« empfohlen, der Apparat des Sachverständigenrates hat das in eine Pressemitteilung gegossen – und die umfangreichen Widerworte des auf Gewerkschaftsticket ins Gremium gekommenen Peter Bofinger dabei unterschlagen.
So gelangte ein Tenor der Einheitlichkeit in Umlauf, der sich bis in die Nachrichtenagenturen reproduzierte. Die Deutsche Presse-Agentur weiß in ihrem Hauptprogramm nicht einmal etwas von einer Minderheitenmeinung; der Deutschlandfunk behauptet, »die fünf Weisen … sprechen … sich für eine allmähliche Abschaffung des Solidaritätszuschlags aus«. Die AFP ergänzte erst am Nachmittag, dass »die fünf Mitglieder des Sachverständigenrates … in vielen Punkten keine Einigung finden« konnten. Warum und um welche Punkte es geht, bleibt auch da weitgehend im Dunkeln, lediglich der Widerspruch Bofingers zur Forderung nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags wird genannt, ebenso sein Plädoyer für einen höheren Mindestlohn und eine Senkung der Sozialbeiträge von Geringverdienern.
Zum Glück gibt es Ausnahmen, wie etwa hier beim NDR. Aber noch in den meisten Kommentaren und Zeitungsberichten ist von dem schiefen Pluralismus, der erst dann ein echter wäre, wenn er als Vorteil, als Wesen, als etwas, das man nicht versteckt auch vom Apparat des Sachverständigenrates anerkannt würde, nicht einmal die Rede. Man fragt sich, ob manche Kollegen die Expertise überhaupt gelesen haben, wenn da fröhlich von den Forderungen der »fünf Wirtschaftsweisen« die Rede ist, wo ein Blick ins dickleibige Papier ja jedem zeigt, dass es sich hier um 4 plus 1 Sachverständige handelt.
Als vor zwei Jahren wieder einmal etwas ausführlicher über Arbeitsweise, politische Ausrichtung und Auftrag des Sachverständigenrates diskutiert wurde, schrieben dessen Vorsitzender Chrisoph M. Schmidt und der damalige Generalsekretär Benjamin Weigert eine Verteidigung gegen die Kritiker – und hoben darin unter anderem auf den Pluralismus ab. Bereits im Gesetz über den Sachverständigenrat werde anerkannt, »dass es trotz des vorgegebenen Zielkanons und der wissenschaftlichen Basis keinen ›objektiven‹ oder ›neutralen‹ Bewertungsmaßstab für die Begutachtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen geben kann«. Und weiter: Es handele sich bei den Gutachten um eine »Expertenmeinung«, die, sofern es abweichende Positionen gibt, »eine entsprechende Beratungsvielfalt abbildet«. Das stimmt für die Expertise. Das stimmt schon nicht mehr für die dazugehörige Pressemitteilung. Und so setzt es sich in der hauptsächlichen Berichterstattung fort.
Erleichterung der Urteilsbildung?
Man darf annehmen, dass nur wenige wirklich Kenntnis vom gesamten Inhalt des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates nehmen, ein Papier also, das für viele so klingen dürfte wie: da reden die Experten, die »Wirtschaftsweisen« eben. Dennoch spielt die Veröffentlichung eine gewisse Rolle bei der wirtschaftspolitischen Meinungsbildung der Öffentlichkeit. Wenn diese aber sich gar keine Meinung durch Auswahl aus unterschiedlichen Positionen bilden kann, weil eine dieser Positionen praktisch unsichtbar bleibt, müsste man eher von Meinungsdurchsetzung sprechen.
Es geht nicht darum, ob Peter Bofinger mehr Recht hätte oder die besseren Forderungen stellt. Es geht darum, dass ein Gremium, das von öffentlichen Geldern ausgehalten wird und die demokratisch gewählte Regierung »sachverständig« berät, seine Aufgabe nicht erfüllen kann, wenn die Art, wie die Gutachten in die Öffentlichkeit gelangen, und sei es durch Pressemitteilungen, eben nicht »zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit« beitragen, wie es das Gesetz verlangt; sondern die Urteilsbildung eher behindert wird.
Gustav M. Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung betrachtet »das Gutachten als einen intellektuellen Spaziergang im Museum des Neoliberalismus« und hat den Sachverständigenrat »eine Bastion alten ökonomischen Denkens« genannt, »das keine Zukunft hat«. Solange ein Gremium aber derart ausgerichtet ist und so arbeitet, dass eben dieses ökonomische Denken als das allein sinnvolle inszeniert wird, wird sich dessen Zukunft verlängern.
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