Wirtschaft
anders denken.

Was die Linke in Deutschland von Sanders lernen kann

19.04.2016
Ein Schild eines Sanders Anhängers mit der Aufschrift: Feel the Bern.Foto: Mark Dixon / flickr CC BY 2.0The United States feel the Bern! Sanders ist mehr als ein Kandidat.

Die Wahlveranstaltungen der demokratischen Präsidentschaftskandidaten Sanders bestimmen das Stadtbild New Yorks. Heute können alle registrierten Bürger über ihren Kandidaten abstimmen. Sanders hat gute Chancen, das Rennen in NY zu gewinnen. Wer kann in Deutschland von Sanders lernen?

Was ist das Besondere am Vorwahlkampf in den USA? Donald Trumps Erfolge? Sie beherrschen die Schlagzeilen, aber auch schon früher haben reiche Populisten das Republikaner-Lager aufgemischt. Ross Perot zum Beispiel, ein Milliardär wie Trump, der 1992 als unabhängiger Kandidat Präsident George Bush um die Wiederwahl brachte. Auch er profitierte schon von der Abneigung vieler US-Amerikaner gegen das Washingtoner Establishment, mobilisierte wie Trump vor allem zornige weiße Männer.

Einen relevanten Angriff von links auf dieses Establishment, wie wir ihn nun in der Person des Demokraten Bernie Sanders erleben, hat es in dieser Form aber noch nie gegeben. Das ist das Neue, das wirklich Spannende. Der Umweltschützer Ralph Nader, der manchem demokratischen Bewerber das Leben schwermachte, konzentrierte sich vor allem auf die Umweltpolitik.

Lassen sich daraus Lehren für die Linken in Deutschland ziehen? Ihre Lage erscheint deprimierend. Die SPD taumelt in bundesweiten Umfragen um die 20-Prozent-Grenze, die Linke fällt unter zehn Prozent und die Grünen zeigen sich als bürgerliche neue Staatspartei, die mit jedem koaliert, der des Weges kommt. Alle, die einmal auf neue Mehrheiten links von der Union, auf einen neuen reformerischen Aufbruch mit Rot-Rot-Grün gehofft haben, stehen plötzlich als hoffnungslose Träumer da. Oder?

Der Rechtsruck blockiert jede Reformpolitik

Der mit der AfD einhergehende Rechtsruck in der deutschen Politik führt zu einem Abwehrbündnis der etablierten Parteien gegen die neue Konkurrenz und damit zum völligen Stillstand gesellschaftlicher Reformpolitik. Um ihre unterschiedlichen Interessen irgendwie auf einen Nenner zu bringen, gehen sie Kompromisse ein, die nur noch den Status Quo sichern, aber keine Entwicklung mehr zulassen. Prototypisch dafür wird der Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU in Baden-Württemberg stehen.

Daran ist vor allem fatal, dass die Parteien eine wesentliche Ursache für die Entwicklung des Rechtspopulismus außer Acht lassen: Die Gerechtigkeitsfrage. Die wachsende Spaltung zwischen Armen und Reichen in Deutschland, zwischen notleidenden und prosperierenden Regionen. Dazu der durch unzählige Sparrunden im staatlichen Sektor vermittelte Eindruck gesellschaftlicher Armut, während der private Reichtum einer kleinen Schicht immer weiter wächst. Das notleidende Bildungssystem und die schwindende Fähigkeit des Staates, für Sicherheit und Ordnung im Land zu sorgen, offenbaren diese Misere. Das macht die Menschen wütend. Die AfD hat keiner Rezepte dagegen, aber sie nimmt diese Stimmung auf und profitiert erst einmal. Die etablierten Parteien mit ihrem „Weiter so“ machen es ihr umso leichter.

In dieser Situation sollten die Reformkräfte in der SPD, den Grünen und der Linkspartei nicht aufgeben, sondern eigene Antworten und – so abwegig das angesichts des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses auch erscheint – eine politische Machtperspektive entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen. Sie erzeugt mit ihrem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zwar keine große Strahlkraft, aber sie zeigt immerhin, dass ein Linksbündnis auch unter schwierigen Bedingungen stabil regieren kann.

Die nächste Chance: Die Wahl in Berlin

Die nächste Gelegenheit, sich als zukunftsfähiges Projekt zu beweisen, bietet sich den drei Parteien bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September. Es ist ein ideales Umfeld, um Modelle für eine fortschrittliche Metropolenpolitik zu entwickeln. Soziale Gerechtigkeit, Bildungspolitik und innere Sicherheit sind entscheidende Themen, die viele Menschen gerade in der Großstadt und erst Recht seit dem Zuzug von Flüchtlingen umtreiben. Dafür überzeugende links-liberale, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Konzepte zu entwickeln, ist aller Mühen wert. SPD, Linke und Grüne sind sich in Berlin politisch vertrauter als irgendwo sonst in Deutschland, und sie sind gemeinsam mehrheitsfähig. Das sind gute Bedingungen.

Sollte Bundespräsident Joachim Gauck keine zweite Amtszeit anstreben, wofür vieles spricht, könnten die drei Parteien auch bundespolitisch eine Machtperspektive entwickeln. Dafür müsste zuerst einmal die SPD eine Kandidatin präsentieren, die auch Grüne und Linke überzeugt – und sich nicht auf fragwürdige Absprachen mit ihrem Koalitionspartner CDU/CSU einlassen.

Es braucht Mut und Risikobereitschaft

All dies setzt allerdings in allen drei Parteien einen entschlossenen politischen Willen voraus, die Republik nicht ganz den bürgerlich-konservativen Kräften zu überlassen und ihnen dafür im Zweifel sogar noch die Steigbügel zu halten. Dafür ist Selbstbewusstsein, Risikobereitschaft und vielleicht auch ein wenig Chuzpe erforderlich. Ob der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel dazu bereit und in der Lage ist? Das wird entscheidend davon abhängen, welchen Druck die Anhänger eines solchen Konzepts angesichts der Erfolglosigkeit der bisherigen Linie der SPD in den kommenden Monaten entwickeln können. Ganz gewiss aber ist depressiver Kleinmut, wie er mancherorts in der SPD zu finden ist, die schlechteste Ausgangsbasis. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat gerade gezeigt, welche Kraft die alte Parole noch heute entfalten kann: Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie. Das Nein der SPD-Minister in Merkels Kabinett zu den Ermittlungen gegen den Kabarettisten Böhmermann könnte ein erstes Zeichen für eine neue, unabhängigere Haltung der Sozialdemokraten sein.

Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.

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Und hier sind wir wieder bei Bernie Sanders und seinen Anhängern. Ihnen dürfte bewusst sein, dass die Aussichten auf die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten verschwindend gering sind. Und doch üben sie mit ihrem Engagement und ihrer Begeisterung, mit ihrem Nicht-Aufstecken im Vorwahlkampf um das Weiße Haus, weiter Druck auf Hillary Clinton und die Mehrheitsdemokraten aus. Sie nehmen damit Einfluss auf die politische Agenda. Solchen Druck kann auch ein Linksbündnis in Deutschland aufbauen. Und weil das politische System hierzulande differenzierter als in den USA ist, lässt sich daraus auch immer wieder eine Machtperspektive ableiten.

Geschrieben von:

Holger Schmale

politischer Autor

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