Schadet die Mitbestimmung den Arbeitnehmern?
Als Aufsichtsräte in großen Unternehmen haben Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter exorbitante Managergehälter und andere Fehlentwicklungen mitzuverantworten. Ingrid Kurz-Scherf über Nutzen und Schaden der betrieblichen Mitbestimmung.
Ist es nützlich für die jeweiligen Belegschaften und die Öffentlichkeit, dass in den Aufsichtsräten der großen Konzerne Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sitzen? Was können sie bewirken?
Kurz-Scherf: Studien attestieren der Mitbestimmung in den Aufsichtsräten überwiegend eine wichtige Funktion im deutschen Modell der Sozialpartnerschaft. Es gab Zeiten, in denen die Arbeitgeber aus der Mitbestimmung aussteigen wollten. Mittlerweile gilt die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten auch auf Arbeitgeberseite als wichtige Ressource der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Es gab auch Zeiten, in denen die Mitbestimmung innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften von links als Etikettenschwindel und als Instrument der Disziplinierung von Belegschaften, Betriebsräten und Gewerkschaften kritisiert wurde. Aber auch diese Grundsatzkritik ist mittlerweile weitgehend verstummt.
Welcher Seite nützt die Mitbestimmung mehr?
Das kommt auf die aktuellen Machtverhältnisse an und darauf, wie entschieden die Gewerkschaften die Mitbestimmung nutzen. Es kann belegt werden, dass in mitbestimmten Betrieben eher Rücksicht auf die Belange der Beschäftigten genommen wird als in Betrieben ohne Mitbestimmung. Unterm Strich dominieren aber in der heutigen Mitbestimmung die Dominanz – zumindest im Falle der Großunternehmen – die Interessen der Kapitaleigner. Verglichen mit den Interessen der Beschäftigten, aber auch denen der jeweiligen Kommunen und Regionen und der Gesellschaft insgesamt.
Die überwiegend männlichen Aufsichtsratsmitglieder der Gewerkschaften sind durchaus auch beeindruckt von der gobal business masculinity der Manager.
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Manager verdienen immer mehr. Martin Winterkorn etwa, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der VW AG, verdiente in einem Jahr mehr als 16 Millionen Euro. Die Gehälter und die gewinnabhängigen Boni werden im Aufsichtsrat festgelegt. Warum stimmen die Arbeitnehmervertreter nie gegen diese enormen Managergehälter?
Zum einen könnten sie aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in den Aufsichtsräten die Einkommensentwicklung bei den Managern gar nicht verhindern. Und zum anderen hat der Aufsichtsrat in dieser Frage nur formal eine starke Position. Und die Kapitalvertreter wollen der Selbstbedienungsmentalität der Manager offensichtlich nicht wirkungsvoll entgegentreten.
Kann beim Schweigen der Arbeitnehmervertreter auch eine Rolle spielen, dass mit der Erhöhung der Managergehälter meist auch die Bezüge der Aufsichtsratsmitglieder steigen?
Ich glaube nicht, dass das der entscheidende Grund ist. Ich glaube eher, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Frage der Managerbezüge nicht als ihr vorrangiges Terrain betrachten. Sie überlassen diese Frage in einer Art stillen Aufgabenteilung der Kapitalseite. Im übrigen darf man sich über eines nicht täuschen: Die überwiegend männlichen Aufsichtsratsmitglieder der Gewerkschaften sind durchaus auch beeindruckt von dem, was der skandinavische Sozialwissenschaftler Jeff Hearn die gobal business masculinity der Manager vom Schlage Winterkorn oder auch einst Middelhoff nennt. Eher heimlich als offen geht mann vielleicht doch davon aus, dass die von diesen Managern gepflegte Gier nach Macht und Geld letztendlich auch dem Unternehmen und seinen Beschäftigten zugute kommt. Nicht dass man das gut findet. Aber man akzeptiert eben, so funktioniert nun mal der Kapitalismus.
Die wichtigsten Gewerkschaftsvorsitzenden sitzen in Aufsichtsräten bedeutender Unternehmen: Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, im Aufsichtsrat von VW. Es wäre doch ein starkes Signal, wenn die sich nicht nur in Sonntagsreden, sondern in ihren Aufsichtsräten gegen diese enormen Managergehälter wenden würden.
Es gibt schon immer mal wieder mehr oder weniger starke Worte über die immer schamlosere Bereicherung der Managerkaste. Aber der Fokus der gewerkschaftlichen Kritik liegt generell auf der Verschiebung der Einkommensverteilung zugunsten der Kapitaleigner einschließlich ihrer Manager. Immerhin tun Manager etwas für ihr völlig überhöhtes Einkommen, während viele Kapitaleigner einfach nur die dabei abfallenden Zinsen und Dividenden einstreichen, also für ihre ebenso enormen Kapitaleinkünfte gar nichts leisten.
Warum wird das nicht einmal in den Gewerkschaftsmedien und auf den Gewerkschaftstagen kritisch diskutiert?
Es wird diskutiert und auch kritisiert – nur oft nicht mehr in den klassenkämpferischen Tönen der Vergangenheit. Das liegt aber auch daran, dass das Klientel der Gewerkschaften zum Teil von den gleichen Mechanismen profitiert wie die Manager und Kapitaleigner – zum Beispiel vom irrsinnigen Exportüberschuss der deutschen Wirtschaft und auch von ihrer enormen Produktivität. Die mit der ständigen Rationalisierung in den deutschen Unternehmen einhergehenden Arbeitsplatzrisiken und die Verdichtung und Beschleunigung der Leistungsanforderungen und deren Entgrenzung – das ist die eine Seite. Sie betrifft aber die Stammbelegschaften oft nur abgemildert, da sie sich mit den Instrumenten der Mitbestimmung schützen können. Wir müssen sehen: Nicht nur zwischen Kapital und Arbeit wächst die Ungleichheit, sondern auch unter den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Was eine qualifizierte Pflegerin verdient und ein qualifizierter Facharbeiter in einer Exportbranche, etwa im Maschinen- oder Automobilbau – da liegen bald Welten dazwischen. Und die Gewerkschaften vertreten nun einmal in erster Linie ihre Stammbelegschaften, die auch immer noch gut organisiert sind, und erst in zweiter Linie die Randbelegschaften, also die inzwischen in die Millionen gehende Leih- und Werkvertragsarbeiter.
Nicht nur zwischen Kapital und Arbeit wächst die Ungleichheit, sondern auch unter den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.
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Nehmen wir die Beispiele Deutsche Bank und VW. Die Bilanz von Analysten und Publizisten ist: Diese Bank wurde über Jahre von Investmentbankern ausgeplündert, sie ist dramatisch unterkapitalisiert, ein Systemrisiko. Die Kritik an VW ist wegen der Dieselaffäre ähnlich harsch. In all den Jahren, in denen diese Unternehmenspolitik betrieben wurde, saßen Repräsentanten der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der beiden Unternehmen.
Wenn wir wollen, dass die Gewerkschaften sich in erster Linie als Gegenmacht verstehen – im Sinne aller, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf Arbeit angewiesen sind, also aller Lohnabhängigen – dann können und dürfen wir ihnen nicht die Inkompetenz und die Amoral des Managements anlasten. Das Beängstigende an den Entwicklungen à la VW und Deutsche Bank ist für mich etwas völlig anderes: Die kapitalistische Ökonomie setzt allem Anschein nach in zunehmendem Maße ihre eigenen Regeln außer Kraft. Dazu gehören durchaus auch Errungenschaften wie Rechtssicherheit und Vertragstreue im Geschäftsverkehr. Nun könnte man das als Indiz dafür werten, dass der Kapitalismus sich selbst zerstört, so wie wir das als gute Marxisten schon lange erwarten. Das Problem ist nur: Als gute Marxistinnen waren wir immer davon überzeugt, dass nach dem Kapitalismus auf keinen Fall etwas noch Schlimmeres kommen könnte. Das scheint ein Irrtum gewesen zu sein.
Wäre es nicht besser, die Arbeitnehmervertreter würden als aufrechte Gewerkschafter aus dem Aufsichtsrat austreten und öffentlich die Ächtung der verantwortlichen Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann, Anshu Jain und Martin Winterkorn verlangen, und mindestens die Rückgabe der Hälfte von deren Bezügen?
Das wäre nur einmal eine wirklich wirkungsvolle Aktion – und vielleicht sollten die Gewerkschaften auch einmal ernsthaft darüber nachdenken. Das Problem ist nur, sie müssten dann konsequenterweise die Mitbestimmung ganz aufkündigen, weil sie ja angesichts des ständigen Fehlverhaltens vieler Manager ständig ihr Aufsichtsratsmandat niederlegen müssten. Die Aufkündigung der Mitbestimmung ist aber meines Erachtens nicht das Gebot der Stunde – sondern eher deren Ausweitung und Qualifizierung zu einer echten Wirtschaftsdemokratie, auf regionaler Ebene, aber auch im nationalen, im europäischen und globalen Maßstab.
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