Wirtschaft
anders denken.

Strukturkonzentrationen in der Schlachthofbranche und die Rolle von Ökonomen

21.01.2022
Maibaum-Figur: Ein Rind steht voFoto: PixabayHandwerksbetriebe, die selbst schlachten, findet man kaum noch

Dieser Text erschien in der gedruckten OXI-Ausgabe 1/2022 unter einer anderen Überschrift. Dies wurde von der Autorin Katrin Hirte als inakzeptabler Eingriff kritisiert. Ihrer Forderung, den Beitrag in der Online-Version mit der von ihr vorgeschlagenen Überschrift zu versehen, kommen wir gern nach.  

Wie im Namen von Unternehmenseffizienz und nationalen Interessen Märkte zerstört werden und dies mit gezielter Planung – ein Lehrbeispiel aus OXI 1/22.

Als sich ab Mai 2020 Schlachthöfe zu Corona-Hotspots entwickelten und für ganze Regionen der Shutdown erfolgte, war die Empörung groß. Gleichzeitig erfuhr man, dass eine Ursache dieser Hotspots die unwürdigen Bedingungen waren, unter denen Arbeitsmigrant:innen in dieser Branche arbeiteten: oft bezahlt unter Durchschnittslohn, mit dubiosen Werkverträgen von Subunternehmen angestellt und häufig in prekären Verhältnissen in Massenunterkünften untergebracht. Dementsprechend geißelte nun die Presse Unternehmen wie z. B. Tönnies, das größte Schweineschlachtunternehmen in Deutschland, denn im Juni 2020 hatten sich 2.117 Mitarbeiter:innen von Tönnies und deren Angehörige infiziert. 15.000 Menschen mussten daher in Quarantäne und über 640.000 Bürger im Kreis Gütersloh und im benachbarten Kreis gingen in den »Tönnies-Lockdown«.

Während sich die öffentliche Entrüstung über das Unternehmen Tönnies entlud, war für aufmerksame Beobachter:innen die Kritik an diesen Vorgängen allerdings überfällig. Denn mit Reportagen wie »Lohnsklaven in Deutschland« (2013), »Die Schlachtordnung« (2014), »Die Fleischmafia. Das geheime Netzwerk der Schlachthöfe« (2015) wurden schon Jahre zuvor die skandalösen Missstände in dieser Branche offengelegt, ohne dass sich etwas nennenswert geändert hatte: Zur »heimischen« Landwirtschaft gehörte die Ausbeutung von Arbeitsmigrant:innen in Deutschland, seit dies die Regierung unter Gerhard Schröder ab 2003 mit ihrer Arbeitsmarktpolitik ermöglicht hatte.

Gleichzeitig wurde ebenso überdeutlich, dass in dieser Branche nur noch sehr wenige Unternehmen existieren: Tönnies, Vion, Westfleisch und Danish Crown teilen sich über 60 Prozent des Schweineschlachtmarktes in Deutschland und verdienen dort Milliarden. Denn der Bereich Schlachten und Fleischverarbeitung ist innerhalb der gesamten Ernährungsindustrie Deutschlands mit 44,5 Milliarden Euro der umsatzstärkste – vor dem Bereich Milchverarbeitung mit 29,5 Milliarden Euro und der Back- und Teigwarenherstellung mit 20,6 Milliarden Euro.

Waren es also die geänderten Arbeitsmarkt-Regelungen ab 2003 im Zuge der damaligen Arbeitsmarktreformen, die solche Strukturkonzentrationen ermöglichten? Indem über fast zwei Jahrzehnte in den deutschen Schlachthöfen eine prekäre Niedriglohnpolitik über Subunternehmen zulasten osteuropäischer Arbeitsmigrant:innen umgesetzt wurde?

Hier zeigt ein Blick in die Geschichte, dass die Strukturkonzentrationen schon ab den 1970er Jahren erfolgten, als die Privatisierung der ehemals kommunalen Schlachthöfe in den Städten begann. Das Kennzeichnende bei diesen Vorgängen war, dass dies unter aktiver Beteiligung der Ökonomik erfolgte. Denn in diese Zeit hinein fiel auch der Beginn gezielter Strukturplanungen. Anfänglich erfolgten diese Planungen noch auf jeweiliger Landesebene. Von den Agraruniversitäten wurden dazu von Agrarökonomen entsprechende Arbeiten mit strukturplanerischem und zugleich gutachterlichem Charakter vorgelegt. Ziel war aus Sicht der Agrarökonomen die Beseitigung von Wettbewerbsnachteilen durch konzentrationsfördernde Maßnahmen. Diese wurden wiederum durch die »öffentliche Auftragspolitik« unterstützt, welche in der Förderpolitik innerhalb der EU verankert war. Das heißt, die Strukturplanungen erfolgten vorbereitend zur Umsetzung von »Fördermaßnahmen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Vermarktungs- und Verarbeitungsunternehmen landwirtschaftlicher Produkte«. Die in den Strukturgutachten vorgeschlagenen Förderungen waren größtenteils Komplementärförderungen. Dies hieß erstens: Nur wenn ein Standort als förderwürdig angesehen wurde, war es möglich, Fördergelder zu erhalten. Und zweitens kamen bei großen Fördervolumen auch nur finanzstarke Bewerber infrage.

Ab 1989 sollte dies ausschlaggebend werden. Denn nun wurde für die Schlachthöfe der gesamten neuen Bundesländer solch ein »Gutachten« vorgelegt, das dann 1990 von der Politik als Sektorplan umgesetzt wurde. Die Strukturplanungen erfolgten unter maßgeblicher Federführung von Prof. Ewald Böckenhoff von der Universität Hohenheim. Daher wird dieser Strukturplan auch kurz Böckenhoff-Plan genannt. Der Kerninhalt des im April 1990 – also noch vor dem Beitritt der DDR zur BRD – von der damaligen Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Zukunft der Schlachthofstruktur in den Neuen Bundesländern (NBL) bestand darin, die DDR-Schlachthöfe, die bis dahin versorgungsorientiert flächendeckend bestanden, von 76 Schlachthöfen auf 19 zu dezimieren. Gleichzeitig bedeutete dies, dass ausnahmslos alle förderwürdigen Schlachthöfe letztlich an finanzstarke Schlachthofunternehmen aus Westdeutschland gingen, welche die geplanten Komplementärförderungen in Millionenhöhe aufbringen konnten.

Im Sektorplan vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1991), der auf Grundlage des Gutachtens von Prof. Ewald Böckenhoff erstellt wurde, ist die Vorstellung der Dezimierung der Standorte weitgehend übernommen worden. Finanziell wurden für diesen Strukturwandel 816 Millionen DM veranschlagt. Realisiert wurden bis 1996 dann ca. 880 Millionen DM, von denen ca. 305 Millionen DM Zuschüsse aus öffentlichen Haushalten waren. Die Differenzsumme (575  Millionen DM) wurde als Komplementärförderung von den beteiligten Unternehmen erbracht. So übernahm die NFZ die Schlachthöfe in Anklam, Perleberg und Nohra (bei Weimar). Die Moksel AG übernahm Neustrelitz, Tönnies übernahm Weißenfels. Dresden und Dessau gingen an Löblein, Altenburg an Südfleisch, Eberswalde ging an Plumrose. Arnstadt, Mühlhausen, Berlin, Chemnitz und Heiligenstadt gingen an Gausepohl, Teterow an Annuss und Neuruppin, Luckenwalde sowie Torgau übernahm die Färber GmbH & Co. KG.

Zeitnah nach Umsetzung des Planes erfolgten dann weitere Änderungen. Die Anzahl der Standorte wurde von 19 auf 12 gesenkt und es folgten Stilllegungen, Konkurse sowie weitere Konzentrationsprozesse durch Übernahmen. Diese Entwicklungen standen im engen Zusammenhang mit dem Problem von Überkapazitäten, die seit der Umsetzung des Böckenhoff-Planes bestanden – zum einen, weil nach 1990 ein Einbruch der Tierbestände in Ostdeutschland erfolgte, zum anderen, weil die einzelnen Unternehmen ab 1990 nun in Konkurrenz zueinander und unterstützt mit Millionen an Fördergeldern »aufrüsteten«. 1996 wurde dann mittels eines Strukturkrisenkartells versucht, der fehlenden Kapazitätsauslastung der Unternehmen gegenzusteuern. Per Absprache sollte unter den damals 17 dominierenden Unternehmen vereinbart werden, wer welche Überkapazitäten abbaut. Aber das Vorhaben scheiterte an den divergierenden Einzelinteressen. So kam es zu weiteren Übernahmen bzw. Aufgaben von Standorten, so dass in den neuen Bundesländern seit 2017 nur noch drei Unternehmen an fünf Standorten betrieben werden: Von Tönnies Berlin und Weißenfels, von Vion Altenburg und Perleberg und von Danish Crown Teterow.

Parallel dazu wurden die Landwirt:innen über die geringen Aufkaufpreise zur Massentierhaltung und ebenso zur Strukturkonzentration animiert. So ist die Anzahl der schweinehaltenden Betriebe allein von 2010 bis 2019 um mehr als ein Drittel gesunken – von 33.400 auf rund 21.600. Gleichzeitig werden aber weiterhin ca. 26 Millionen Schweine pro Jahr produziert. Dies führte dazu, dass Deutschland zum drittgrößten (!) Schweineproduzent der Welt avancierte – nach China und den USA. Das bedeutet aber auch, dass entsprechende Mengen Tierexkremente anfallen – zusammen mit den anderen Tierbeständen über 200 Millionen Kubikmeter Gülle und Jauche im Jahr. Damit wiederum verstößt Deutschland gegen die in der EU geltenden Höchstwerte für Nitratbelastung, so dass seitens der EU Strafzahlungen drohten: Bis zu 860.000 Euro – pro Tag! Eine angestrebte Änderung der Düngeordnung hatte Ende 2019 massive Demonstrationen seitens der Landwirt:innen ausgelöst. Zwei Wochen nach Beginn der Corona-Pandemie hatte dann der Deutsche Bundesrat am 27.3.2020 die neue Düngeverordnung verabschiedet – aufgrund der Corona-Auflagen nun ohne den Demonstrationswiderstand der Landwirte.

Aktuell wird eine neue Strategie umgesetzt, als »Initiative Tierwohl« bezeichnet. Durch die Verleihung eines neuen Tierwohl-Siegels sollen Verbraucher:innen höhere Preise bezahlen, mit denen dann »Innovationen in der Tierhaltung« gefördert werden sollen. Als Problem wird hier auf das Wohl der Tiere abgestellt und suggeriert, dass dieses über weitere Investitionen in die bestehenden Betriebe verbessert werden kann. Von den Vorgängen zur gezielten Strategie von Konzentrationsförderungen hingegen hört man dabei nichts, ebenso nichts zum Wohl der Umwelt und zum Wohl der Arbeitskräfte in dieser Branche.

Wie haben Agrarökonomen die jahrzehntelang praktizierten Sektorplanungen, mit denen immer größere Unternehmen entstanden, überhaupt begründet? Während es hierzu noch in den 1970er Jahren hieß, dass man koordinierend Diskrepanzen zwischen Aufwand und Kapazitäten vermeiden wolle, standen im weiteren Verlauf Argumentationen zur Konkurrenzstärke im Vordergrund: Man wolle – so der Autor des Böckenhoff-Plans – eine »leistungsfähige und konkurrenzstarke Schlachtindustrie in Ostdeutschland« aufbauen. Die Strukturanpassungen seien notwendig, um »international wettbewerbsfähig zu bleiben«. Dabei erhielten die Argumentationen zunehmend eine auffällig nationale Tendenz. So hieß es 2005 in einem Gutachten des Göttinger Agrarökonomen Achim Spiller zur Schweinefleischerzeugung, dass hier hinsichtlich einer Konkurrenz »die größte Gefahr« von Spanien und Dänemark ausgehe und insbesondere Spanien sei dabei aufgrund geringer Kosten und großer Kapazitätsreserven »der bedrohlichere Konkurrent«. Gleichzeitig wird dabei auffällig eine Wettbewerbsmetaphorik bedient, bei der es darum geht, der Erste, der Führende oder gar »Weltmeister« zu sein. Dies gilt nicht nur für die Schweinefleischproduktion, wo Deutschland »Erster« ist in Europa. Auch zum Bereich Käse vermeldete am 12.7.2008 NTV: »Deutschland ist Weltmeister. Deutschland hat die Käsenation Frankreich beim Export abgehängt und ist weltweit Spitze.« Und die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft verkündete 2016 triumphierend: Deutschland ist nun der viertgrößte (!) Spargelanbauer der Welt, der die Anteile des »griechischen, französischen und spanischen Angebots erfolgreich vom Markt verdrängt« hat.

Im auffälligen Kontrast zu diesem nationalen Gebaren sind führende Unternehmen allerdings international aufgestellt. Dies gilt auch in der Schlachthofbranche für die vier führenden Unternehmen Tönnies, Vion, Westfleisch und Danish Crown. So hat die Tönnies Holding neben ihren 19 Standorten in Deutschland in Dänemark, Frankreich, Polen, Spanien und Großbritannien Unternehmen. Vion, ein Unternehmen mit Firmensitz in den Niederlanden, produziert nicht nur in Deutschland und den Niederlanden (29 Standorte), sondern ist ebenso in Europa und Asien vertreten, u. a. in Frankreich, Griechenland, Schweden, Schweiz, Polen, Rumänien, Slowenien und Tschechien. Westfleisch ist außer in Deutschland ebenso in Polen, Rumänien, Ungarn, Litauen und China aktiv und Danish Crown agiert zu 80 Prozent am dänischen Markt.

Trotz dieser allzu bekannten Globalisierungstendenzen findet man den gleichen national-»heimeligen« Einschlag auch in den politischen Argumentationen. So wurde zu Beginn 2020 zum Ausbruch der Corona-Pandemie appelliert, die Grenzen für die osteuropäischen Arbeitskräfte trotzdem weiter offenzuhalten, und dies wurde von der deutschen Agrarministerin Klöckner begründet mit: Schließlich gehe es um den Erhalt der »flächendeckenden, multifunktionalen heimischen Landwirtschaft«. Was zu dieser »heimischen« Landwirtschaft dazugehört, erfuhr man dann zu dieser Zeit ebenfalls aus der Presse: Für die Landwirtschaft in Deutschland braucht es so viele Arbeitsmigrant:innen, wie es überhaupt Landwirt:innen in Deutschland mit über 5 Hektar Fläche gibt – ca. 280.000.

Die mit einer solchen Strategie vermeintlicher nationaler Stärke einhergehenden Strukturverwerfungen und Folgeschäden zeigen dabei seit der Corona-Pandemie überdeutlich, dass zur Systemrelevanz eines »too big to fail« das Bewusstsein einer Systemrelevanz des »too necessary to discontinue« hinzugekommen ist, denn an den bestehenden Oligopolstrukturen hängt letztlich die Nahrungsmittelversorgung. Ebenso überdeutlich wird das logische Problem solch einer favorisierten Unternehmensökonomik: Denn die anhaltende Förderung von Großstrukturen – gegründet auf dem Selbstverständnis der Überlegenheit dieser Unternehmen aufgrund von Stückkostenvorteilen – führt bei deren bewusster Favorisierung unweigerlich in ein Unternehmensmonopol, wie die derzeitigen Strukturen – und nicht nur in der Schlachthofbranche – überdeutlich zeigen: Märkte werden zerstört, anstatt sie zu erhalten.

Gleichzeitig bleibt bei solch einer praktizierten Unternehmensökonomik die Außenwelt ausgeblendet, das heißt, Folgekosten sind nicht inbegriffen. Zudem wird es immer schwerer, die Frage zu beantworten, wie bei solch einer praktizierten Unternehmensökonomie die Diskrepanz zwischen den Wohlfahrtsversprechen, den enormen Gewinnen weniger Unternehmen und den gesellschaftlichen Folgekosten erklärt werden kann. Eine konzeptionelle Änderung des bisherigen agrarökonomischen Herangehens ist daher überfällig.

Katrin Hirte ist seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) der Universität Linz, einer ihrer Arbeitsschwerpunkte sind die Agrarstrukturen in den neuen Bundesländern.

Geschrieben von:

Katrin Hirte

Agrarsoziologin

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