Schnaps und Frauen – mit Dijsselbloem am Stammtisch
Die Südländer der Eurozone werden vom Vorsitzenden der Eurogruppe öffentlich beschimpft. Auf Deutsch: Sie feiern viel, arbeiten wenig, wollen auch noch unser Geld. Die SPD schweigt dazu.
Jeroem Dijsselbloem ist Vorsitzender der sogenannten Eurogruppe, ein informelles Gremium der Finanzminister der Eurozone. Dieses Gremium hat zwar keine politische Legitimation, aber faktisch viel Macht. Insofern haben auch diese Worte von ihm Gewicht: Er halte als »Sozialdemokrat Solidarität für äußerst wichtig«. Aber wer sie einfordere, der habe auch »Pflichten«. Dazu gehöre, dass man das »ganze Geld nicht für Schnaps und Frauen ausgeben und anschließend um (…) Unterstützung bitten« könne. Es ist offenkundig, dass er mit diesen Worten die Gesellschaften im Süden der Eurozone beleidigen und sie als Schmarotzer darstellen wollte. Dijsselbloem repräsentiert die holländische Sozialdemokratie (PvdA), die soeben bei den Wahlen in den Niederlanden auf 5,7 Prozent der Wählerstimmen abgestürzt war; ein politisches Desaster, das sich diese Partei verdient hat, weil sie sich jahrelang als Regierungspartei an einer harten Sparpolitik beteiligt hatte.
Es ist Dijsselbloem positiv anzurechnen, dass er offen ausspricht, was die regierenden Parteien in den Euro-Nordländern über die Südländer denken. Peinlich, wie sich der niederländische (Noch-)Finanzminister im Ton vergreift. Aber politisch viel interessanter sind die Reaktionen auf sein FAZ-Interview. So lässt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble umgehend die Arbeit von Dijsselbloem in der Eurogruppe loben. Das ist verständlich, handelte dieser doch bei allen Konflikten der Eurozone in den vergangenen Jahren als treuer Laufbursche für Schäuble. Andere Politiker stoßen sich an der Flapsigkeit dieser Sprüche, aber das war es dann. Und: Die europäische Sozialdemokratie schweigt.
Die Überschuss-Gesellschaften
Welches ökonomische Problem steckt hinter den Beleidigungen des Eurogruppen-Vorsitzenden? Mit Lohnzurückhaltung und sogar realen Lohnsenkungen im Niedriglohnsektor haben die Exportüberschuss-Gesellschaften alle anderen Länder an die Wand gedrängt, indem sie faktisch ihre Produkte möglichst billig gemacht haben. Und wer sind diese Überschuss-Gesellschaften? An der Spitze stehen die Niederlande und Deutschland; der niederländische Exportüberschuss ist relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar noch höher als der deutsche. Diese Tatsache, dass die Niederlande und Deutschland den anderen Ländern wirtschaftlich das Leben sehr schwer machen, wird umgedreht und es wird ihnen von Dijsselbloem offen ein Leben in Saus und Braus vorgehalten.
Das Märchen geht so: Die Nordländer verhalten sich vorbildlich, die Südländer leben, freundlich gesagt, über ihre Verhältnisse, arbeiten wenig und feiern viel. Was der Eurogruppen-Vorsitzende offen und primitiv ausspricht, das sagen viele Ökonomen so, zuletzt der deutsche Sachverständigenrat in seiner aktuellen Konjunkturprognose; der Keynesianer Peter Bofinger legte ein Minderheitenvotum vor. Das sagen auch die meisten deutschen Politiker, geben damit vor und plappern damit nach, was an den deutschen Stammtischen verhandelt wird. Und das schreiben auch die meisten deutschen Medien.
Die europäische Sozialdemokratie schweigt.
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Neu ist, dass sich der renommierte Politik- und Rechtswissenschaftler Fritz Scharpf, bis 2003 viele Jahre Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung und immer noch wichtiger Berater der SPD, an dieser verhängnisvollen Deutung beteiligt – und ausgerechnet auf dem euro- und wirtschaftskritischen Blog Makroskop (Artikel im Bezahlbereich) von Heiner Flassbeck dafür Platz eingeräumt bekommt. Scharpf verteidigt in seinem Makroskop-Beitrag zwar diese Politik des »Beggar thy neighbour« (Schädige deinen Nachbarn) nicht. Aber er bezeichnet diese Politik, trotz der Schäden, die sie bei den Nachbarländern Deutschlands anrichtet, für potentiell erfolgreich. Diese Sicht markiert das ökonomische Alltagsbewusstsein in Deutschland und vermutlich auch in anderen Überschussländern wie den Niederlanden.
Sind der deutschen Sozialdemokratie diese Sprüche ihres Parteifreunds peinlich? Vermutlich schweigt sie jetzt betreten, weil sie ganz ähnlich denkt, aber das so nie öffentlich sagen würde. Trotz Martin Schulz‘ Plädoyer für soziale Gerechtigkeit und Europa hat die SPD nicht verstanden, dass die deutsche Wirtschaftspolitik, ihre Wirtschaftspolitik in hohem Maß für das soziale und ökonomische Blutbad Verantwortung trägt, das im Süden des Euroraums angerichtet wurde. Sie hat auch der Finanzpolitik Schäubles und seiner Schwarzen Null bisher nie hörbar widersprochen.
Die primitive ökonomische Sicht
Es ist nicht zielführend, diese Haltung der Sozialdemokratie damit zu erklären, dass sie moralisch verkommen ist. Es muss in der öffentlichen Auseinandersetzung dargelegt werden, wie widersinnig die Sicht auf die Ökonomie ist, welche Denken und Handeln in den meisten Nordländern prägt. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann wird darauf nicht mit einer offensiven Konjunktur- und Investitionspolitik geantwortet – in Zeiten von Nullzinsen auch öffentlich gut zu finanzieren –, nein, der Staat spart noch härter und es wird alles getan, um die Löhne zu senken. Diese Sicht gilt leider auch weit in die Gewerkschaften hinein. Die SPD beherrscht dieses Denken bereits seit dem Jahr 2000. Seit der Wirtschaftskrise von 1974 und der daraus resultierenden hohen Arbeitslosigkeit wurde diese primitive ökonomische Sicht in der SPD schrittweise populär, um 2000 dann zur herrschenden Doktrin zu werden.
Die wissenschaftliche Revolution in der ökonomischen Theorie war eng mit der großen Depression von 1929 bis 1932 verbunden. John Maynard Keynes, britischer Nationalökonom, und andere (vor allem deutsche) Ökonomen hatten damals erkannt, dass der Staat bei hoher Arbeitslosigkeit öffentliche Kredite aufnehmen muss, um Investitionen zu finanzieren. Nur so gelinge es, die Arbeitslosigkeit wieder zu senken; mit Nichtstun oder gar einer Sparpolitik werde die Krise nur noch schlimmer. Das war und ist das erfolgreiche Gegenkonzept zur ordoliberalen und neoklassischen Sicht, nach der bei Arbeitslosigkeit die Löhne gesenkt werden müssen. Es hängt auch mit einer intellektuellen Schwäche zusammen, dass die SPD bis heute nicht in der Lage ist, sich diese eindeutigen und eindeutig erfolgreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder zu eigen zu machen und sie offensiv zu vertreten. Diese Schwäche der SPD ist auch ein Grund, warum ein rechter Populismus heute aufsteigt.
Die SPD wird in dieser Frage aber auch nicht gefordert. Nicht von der politischen Linken, die lieber am »Sterbebett des Kapitalismus« wartet, bis dieser endlich verendet. Sie wird auch nicht von den Grünen gefordert, weil deren Wachstumskritik sich mit der neoklassischen Einfalt gut verträgt. Ebenfalls wird sie nicht von den Gewerkschaften gefordert. Diese müssten, ausgehend von ihren Interessen, eigentlich Keynes pur fordern. Und die Gewerkschaftsökonomen wissen das auch. Die Industrie-Gewerkschaften IG Metall und IG Chemie blockieren sich selbst, weil sie es nicht wagen, das Exportmodell Deutschland mit seinen hohen Leistungsbilanzüberschüssen in Frage zu stellen. Dabei würde es der Gesellschaft, den ArbeitnehmerInnen und den Gewerkschaften insgesamt besser gehen, wenn ein größerer Teil der hier erwirtschafteten Wertschöpfung auch hier konsumiert statt exportiert werden würde.
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