Wirtschaft
anders denken.

Ein Krimi, der zugleich ein ökonomischer Exkurs über die »Griechenlandkrise« ist

14.05.2018
Ggia,Lizenz: CC BY-SA 4.0

Wolfgang Schorlau hat einen Kriminalroman geschrieben, der zugleich ein ökonomischer Exkurs über die »Griechenlandkrise« ist. »Der große Plan« könnte jeder mittleren und höheren Bildungsanstalt dieses Landes als sinnvoller Inhalt dienen.

Alle Ingredienzen sind da: der Privatermittler in finanzieller Notlage und vorerst ohne eigenes Büro, stattdessen in der Sinnkrise, der Fall, an dem die staatlichen Organe scheitern und der ein heißes Eisen ist, die Geheimnisse hinter den Geheimnissen, das auf den ersten Blick völlig fehlende Motiv, die Tat, von der noch gar nicht klar ist, ob es sie überhaupt gab, die internationalen Verwicklungen, die politischen Turbulenzen, die dunkle Vergangenheit und die völlig verworrene Gegenwart, das Team, das sich aus der Not geboren zum geradezu genialen Ermittlertrio wandelt, die vielen Leichen in den vielen Kellern, die Unmöglichkeit, Gut und Böse auf den ersten und zweiten Blick zu erkennen.

Schorlau hat mit »Der große Plan« einen klassischen Krimi geschrieben, dem sowohl gutes Handwerk als auch ein spannender Plot zugesprochen werden kann. 

Nun mag nicht jede und jeder Kriminalromane, was ob der Schwemme, der sich dieses feine Genre erwehren muss, auch verständlich ist. Trotzdem sei »Der große Plan« empfohlen, denn wie jeder wirklich gute Krimi bietet er den Mehrwert des Wissenszuwachses. Nennen wir es in dem Fall Wissensexkurses. Die Kunst besteht sicher darin, das, was auch Gegenstand eines umfangreichen Proseminares sein könnte, so zu verpacken, dass es im guten Fall die Handlung nicht stört und im besseren Fall geradezu Teil der Handlung ist beziehungsweise Grund für Mord und Totschlag.

Schorlau hat den besseren Fall geschrieben. Zum einen führt er in einer den Roman durchziehenden Rückblende ins Griechenland unter der NS-Besatzung. 

2015 bezifferte die griechische Regierung ihre Forderung nach Entschädigung für während der Besatzungszeit durch Deutsche begangene Verbrechen auf 278,7 Milliarden Euro. Die Diskussion ist nicht beendet, obwohl Deutschland seit jeher »Basta!« sagt. Mörderische Gewalt, blutige Massaker, vollständige wirtschaftliche Ausplünderung des Landes, 1942 zwangen die Deutschen der griechischen Notenbank einen Kredit in Höhe von 476 Millionen Reichsmark auf, alles in allem fraßen die Besatzungskosten und Staatsausgaben 90 Prozent des realen Volkseinkommens. Die Menschen in Griechenland verhungerten. Für Deutschland ist das heute alles keiner Rede, war aber immerhin mal einer verbalen Entschuldigung wert.

Wer diese historische Ebene einbezieht, kommt nicht umhin – und dies ist der zweite Exkurs, den Schorlau unternimmt –, die aktuelle Griechenland-Politik Deutschlands unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten und sich vielleicht noch mal zu vergegenwärtigen, was Schäuble so alles über die Griechen zu sagen wusste. 

Über diese aktuelle Politik wird, dafür findet der Autor einen gut funktionierenden Dreh, ausführlich erzählt. Jakob, der Sohn des Ermittlers, ein studierter Volkswirt, fasst für die Ermittelnden im Fall einer entführten Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes und Beraterin der »Troika« aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission in Sachen Griechenland die Sachlage zusammen. Das scheint dringend geboten, denn es mangelt bis dahin an einem Motiv, die ehrgeizige Mitarbeiterin in zweiter oder dritter Reihe verschwinden zu lassen.

Grundthese des Exkurses: Nicht die Griechen, die Banken sollten gerettet werden. »Ein ehemaliger griechischer Finanzminister hat einmal erklärt, die vielen Milliarden europäischer Steuerzahler würden über die Europäische Zentralbank geradewegs an deutsche und französische Banken durchgereicht. Ich bin gar nicht einmal sicher, ob das viele Geld zumindest für ein paar Stunden in Athen auf griechischen Konten war, bevor es zurück nach Frankfurt und Paris floss, oder ob es direkt an die Banken floss. Nur ein sehr, sehr kleiner Teil gelangte in den griechischen Staatshaushalt. Nicht einmal zehn Prozent. Den Rest kassierten Banken und private Investoren. Die Kosten wurden dem griechischen Staat aufgehalst, wodurch das griechische Defizit von Rettungsaktion zu Rettungsaktion stieg. Und diese Operation wird nun bezahlt, indem in Griechenland die Renten und Löhne bis auf die Hungergrenze gekürzt und Staatseigentum billig an Investoren aus dem Norden verkauft wird. Hier bei uns wurde das alles mit einer gewaltigen und erfolgreichen Medienkampagne begleitet, die uns erzählt, die Faulheit und Gerissenheit des griechischen Volkes seien schuld an dem Chaos. Das, liebe Leute, ist die Griechenlandrettung.«

Jakob der Volkswirt lädt die Ermittelnden zuvor noch zu einem Grundlagenkurs über Schulden, Bar- und Buchgeld ein, von dem zu Beginn niemand überzeugt ist, dass der für die weiteren Ermittlungen nützlich sein könnte. Ist er dann doch. Und könnte zugleich jeder mittleren und höheren Bildungsanstalt dieses Landes als sinnvoller Inhalt dienen. Schön gemacht, muss man sagen. Auch, weil die so erworbenen ökonomischen Kenntnisse im Roman tatsächlich dazu dienen, den Fall um die entführte Troikafrau zu lösen. 

Wolfgang Schorlau: Der große Plan, Kiepenheuer & Witsch 2018.

Foto: GgiaCC BY-SA 4.0

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