Wirtschaft
anders denken.

Strukturwandel und mangelnde Investitionen: Zwei neue Papiere zur Produktivitätsschwäche

11.05.2018
ICAPlants , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Frage, warum die gemessene Produktivität nicht deutlicher steigt, obgleich doch überall die große Erzählung von Digitalisierung und Automatisierung zu hören ist, also von der raschen, folgenreichen technologischen Veränderung in der Produktionsweise, war hier auf oxiblog.de immer wieder Thema. Zwei neuere Papiere dazu sollen hier noch ergänzt werden.

Bereits seit ein paar Wochen in Umlauf ist eine »Wirtschaftspolitische Information« aus dem IG-Metall-Vorstand, in der ganz generell der Strukturwandel in den Blick genommen wird, es geht um den Wandel von der »Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft (Tertiärisierung). Tatsächlich sind heute die Anteile von Wertschöpfung und Beschäftigung der Industrie geringer, die der Dienstleistungen höher als noch 1970«, heißt es da unter anderem. Doch genauer hingeschaut sieht die Gewerkschaft ein differenzierteres Bild: »Gewinner waren die unternehmensnahen Dienstleistungen. In den letzten 20 Jahren war der Anteil der industriellen Wertschöpfung in Deutschland stabil. In wichtigen anderen Industrieländern hat es eine erhebliche De-Industriealisierung gegeben.« Davon könne für die bundesdeutsche Metall- und Elektroindustrie keine Rede sein, hier würden noch immer »fast 60 Prozent der gesamten industriellen Wertschöpfung geschaffen. Über Vorleistungsverflechtungen profitieren auch andere Branchen: Ein Viertel der Vorleistungen kommen von den unternehmensnahen Dienstleistern«, so die Autoren Wilfried Kurtzke und Beate Scheidt.

Die Analyse fragt auch danach, was der Strukturwandel zu einem größeren Dienstleistungsbereich für Folgen für die Produktivitätsentwicklung hat – die Antwort: Er bremst. Zumindest was die üblichen Statistiken angeht. In dem Papier werden Erklärungsversuche kurz vorgestellt: »Die sinkende Kapitalintensität in Deutschland in den vergangenen Jahren als Folge der nachlassenden Investitionsdynamik könnte somit ein Teil der Erklärung für die Produktivitätsschwäche sein«, heißt es da. Auch wird auf die Vermutung verwiesen, »dass sich die Produktivitätseffekte nicht vollständig empirisch messen lassen«. Und: »Abgesehen von Messproblemen kann auch der demografische Wandel hin zu einem geringeren Anteil der Erwerbsbevölkerung Bremsspuren in der Produktivitätsdynamik hinterlassen«, »des weiteren kann sich auch eine zunehmend ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung negativ auf die Produktivität auswirken«.

Produktivitätsdynamik im Dienstleistungssektor schwächelt

Der hier entscheidende Punkt ist aber: »Bei aller Vielfalt der Methoden teilen viele Studien zur Erklärung der schwachen Produktivitätsdynamik jedoch eine gemeinsame Einschätzung: strukturelle Veränderungen haben daran einen maßgeblichen Anteil.« Es zeige sich »ein Zusammenhang zwischen dem moderaten Produktivitätsfortschritt der Gesamtwirtschaft und der schwachen Produktivitätsdynamik im Dienstleistungssektor feststellen. Während das Produzierende Gewerbe, und noch mehr das verarbeitende Gewerbe, seit 1991 vergleichsweise kräftig zulegten, nämlich um 67 bzw. 87 Prozent, liegt der Zuwachs im Dienstleistungsbereich bei plus 34 und in der Gesamtwirtschaft bei 42 Prozent. Der vergleichsweise geringe Produktivitätszuwachs bei den Dienstleistungen lastet somit auf dem Ergebnis für die Gesamtwirtschaft.«

Soweit die IG Metall, die in ihrer »Wirtschaftspolitischen Information« bereits darauf verwiesen hatte, dass die sichtbare Produktivitätsschwäche auch eine »Folge der nachlassenden Investitionsdynamik« sein dürfte. Hier setzt nun eine Untersuchung des gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK bei der Böckler-Stiftung an. Alexander Herzog-Stein und Gustav Horn haben für ihre Studie sechs Länder unter die Lupe genommen, um das Rätsel zu lösen, dass trotz ständiger Prozessoptimierung, kostensparender Rationalisierung und neuer Technik die Produktivität, also die Wertschöpfung je Arbeitsstunde, nicht deutlicher nach oben zeigt. Ihre Antwort: »Ein wesentlicher Grund sind zu geringe Investitionen.«

Ausweg: öffentliche Investitionsprogramme

Das IMK dazu: »Die Wirtschaftsforscher betrachten jeweils den Zeitraum von 1998 bis 2007 und die Jahre von 2007 bis 2016. Dabei zeigt sich eine Gemeinsamkeit zwischen den untersuchten Ländern: Die Investitionsdynamik hat seit der Finanzkrise nachgelassen. Betroffen sind Ausgaben sowohl für klassische Investitionsgüter wie Maschinen, Gebäude oder LKWs als auch für Informations- und Kommunikationstechnologien, worunter auch die neue Digitaltechnik fällt.« Zwar könne der Investitionsrückgang das Erlahmen der Produktivität nicht komplett erklären, es bleibe »eine schwer zu interpretierende Restgröße, die den Fortschritt vielerorts bremst«. Dennoch zeigt die Analyse laut IMK, dass Investitionen »ein entscheidender Ansatzpunkt für Produktivitätssteigerungen sind«.

Herzog-Stein und Horn, die ihren Beitrag ausführlich hier veröffentlicht haben, sehen in Investitionen die »wichtigsten Treiber des Wirtschaftswachstums« – egal ob nun für private oder öffentlich finanzierte Erweiterungen des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks. Zwar kämen die Investitionen ihrer Meinung nach »in Europa inzwischen langsam wieder in Gang«, allerdings reiche das keineswegs aus. »Das beste Mittel für ein dauerhaft hohes Produktivitätswachstum seien öffentliche Investitionsprogramme, am besten auf europäischer Ebene«, so die Sicht des IMK. Den Bedarf kann jeder sehen, der einmal durch seine Stadt läuft: angefangen bei der Infrastruktur über die Energiewende hin zur besseren Ausstattungen für Bildung, Kultur und andere gesellschaftliche Bedürfnisse – es wäre viel Nützliches aufzuholen.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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