Moderne Sklaverei – altes Phänomen
Die Neuauflage von »Die schwarzen Jakobiner« könnte die marxistische Debatte um die Sklaverei wiederbeleben. Kommentar aus OXI 12/21.
Im Dietz-Verlag ist eine Neuauflage der deutschen Übersetzung des berühmten Buches von CLR James »Die schwarzen Jakobiner« produziert worden. Das Werk erschien im Original 1938, die erste deutsche Übersetzung 1962 in der DDR. Der schwarze britische Marxist James schrieb eine historische Studie über den erfolgreichen Sklavenaufstand in Haiti. Seine These über diesen Aufstand als erste proletarische Revolution ist jedoch in Bezug auf deren Voraussetzungen nicht unumstritten. In der marxistischen Forschung wurde die Frage, ob die versklavten Menschen in den Amerikas als Arbeiter im kapitalistischen Sinne gelten können oder ob es sich um vorkapitalistische Formen der Ausbeutung handelt, durchaus kontrovers debattiert.
Wir finden auch heute, nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei, eine Reihe von unterschiedlichen Formen der unfreien Arbeit auf dem Weltmarkt. Dieses Phänomen wird unter dem Begriff »moderne Sklaverei« diskutiert. Diese basiert zwar nicht auf dem Recht, einen anderen Menschen zu besitzen, aber auf anderen juristischen Konstruktionen und Schlupflöchern. Der Begriff beschreibt das alltägliche Phänomen der Überausbeutung, der Ausbeutung jenseits des gesellschaftlichen Durchschnitts. Das ist weder alt noch neu, sondern Grundpfeiler kapitalistischer Akkumulation. Heute können wir das in den verschiedensten Branchen, von der Bauwirtschaft über die Pflege bis hin zur industriellen Landwirtschaft, beobachten. So wurden auch in diesem Jahr durch die Proteste der Saisonarbeitskräfte in der Spargelernte sklavereiähnliche Zustände bekannt. Migrantischen Erntearbeiter:innen wurden die Pässe abgenommen, um sie in absoluter Abhängigkeit zu halten.
Der marxistische trinidadische Politiker und Historiker Eric Williams stellt in seinem Werk »Capitalism and Slavery« die These auf, dass zwar die Sklaverei erst den Reichtum in Europa akkumulierte und damit notwendig war, doch deren Abschaffung nicht aus humanistischen, sondern vielmehr aus ökonomischen Gründen erwogen worden sei.
Die Äußerungen von Marx diesbezüglich sind da nicht eindeutig. Während er im ersten Band des »Kapitals« beschreibt, wie der doppelt freie Lohnarbeiter die Voraussetzung der mehrwertproduzierenden Arbeit und damit der Kapitalakkumulation ist, schränkt er diese Charakterisierung in der historischen Einordnung doch wieder ein. So schreibt er: »Während sie die Kindersklaverei in England einführte, gab die Baumwollindustrie zugleich den Anstoß zur Verwandlung der früher mehr oder minder patriarchalischen Sklavenwirtschaft der Vereinigten Staaten in ein kommerzielles Explorationssystem. Überhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal die Sklaverei sans phrase [ohne Hülle] in der neuen Welt.«
Im zweiten Band des »Kapitals« schreibt er dazu, dass, solange die Arbeit Waren produziert, die als solche gehandelt werden, es sich um mehrwertproduzierende Arbeit handelt. Der Denkfehler in der Annahme, dass Sklaven kein variables, also wertproduzierendes Kapital seien, wie alle anderen Arbeiter:innen im Kapitalismus, liegt laut einer Analyse von Christian Frings in der Zeitschrift »Prokla« (Nr. 196) an der Verwechslung der Kategorien konstantes und fixes Kapital und dem daraus folgenden Missverständnis über Marx‘ Einordnung der Lohnarbeit. Laut Frings ging es Marx vor allem darum, die liberale Illusion der freien Lohnarbeit zu brechen, indem er sie auf ihre ausbeuterische Voraussetzung zurückführte – selbst in ihrer am stärksten verschleierten Form. Sklaven produzieren damit Kapital. Die Sklaven in den Amerikas, in der sogenannten neuen Welt, produzierten unter anderem Baumwolle, die Basis der europäischen Textilproduktion in England, dem Geburtsort der Industrialisierung: »Liverpool wuchs groß auf der Basis des Sklavenhandels. Er bildet seine Methode der ursprünglichen Akkumulation.« (MEW 23, 787) Dieser Aspekt der kapitalistischen Produktionsweise ist durch den westlichen Marxismus stets unterbelichtet oder ignoriert worden. Die Neuauflage von »Die schwarzen Jakobiner« könnte die deutsche Debatte dahingehend mindestens differenzierter werden lassen.
Guter Journalismus ist nicht umsonst…
Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.
Zahlungsmethode