Wirtschaft
anders denken.

Sigmar Gabriel, der Klassenkampf, die Geschichte und Thyssen-Krupp: ein paar Anmerkungen

21.07.2018

Der frühere SPD-Chef will im Fall Thyssen-Krupp die »soziale Marktwirtschaft« gegen Finanzinvestoren verteidigen. Dabei demonstriert Sigmar Gabriel vor allem, wie er über Kapitalismus und Geschichte denkt. Eine Kritik.

Man kann nicht gerade sagen, Sigmar Gabriel hätte sich nach seinem Verzicht auf Kanzlerkandidatur und SPD-Vorsitz in der Öffentlichkeit groß zurückgehalten. Inzwischen hat er unter anderem beim Holtzbrinck-Konzern angeheuert und schreibt Gastbeiträge wie nun diesen im »Handelsblatt«: »Anschlag auf die Marktwirtschaft«, lautet die Schlagzeile in der Printausgabe.

Es geht um den Fall Thyssen-Krupp, es geht um Finanzinvestoren, für Gabriel »Heuschrecken« und »Feinde der Demokratie«. Beteiligungsgesellschaften wie Elliott »fressen die Grundlagen unseres wirtschaftlichen und sozialen Erfolges auf«, schreibt Gabriel dort. Und er legt in der »WAZ« nach: »Heuschreckenüberfälle sind eine Plage. Sie fressen schnell, ziehen weiter und hinterlassen Wüsten. Das darf und kann man bekämpfen.« Investoren wie der US-Hedgefonds seien »Gegner unserer Wirtschafts- und Sozialordnung. Deshalb sind sie Gegner unserer Verfassung«.

Nun ist der Fall Thyssen-Krupp das eine. Aus einer Perspektive von oben wird betont, dass es hier »erneut ausländischen Investoren gelungen« sei, »die Spitze eines deutschen Unternehmens abzusetzen«. Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner sind gegangen – auf Druck des US-Hedgefonds Elliott und des aktiven Investors Cevian, die »von dem Unternehmen eine höhere Rendite« fordern, wie es der »Spiegel« formuliert. »Sie setzten das Management mit der Forderung nach einem schnelleren Konzernumbau extrem unter Druck.«

Aus einer Perspektive von unten steht die Frage nach den Folgen für die Beschäftigten im Falle einer möglichen Aufspaltung der Konzerns. Interimschef Guido Kerkhoff sagt zwar, »kurzfristige Renditemaximierung auf Kosten der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ist nicht unser Ziel«. Die Frage ist, wie weit das Management darüber noch bestimmen kann, wenn die Anteilseigner eine andere Strategie fahren wollen. Gabriel will deshalb das Außenwirtschaftsrecht in Stellung bringen – bisher gibt das die Möglichkeit, ausländische Investitionen oder Kapitalbeteiligungen zu unterbinden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet ist. Für Gabriel zu wenig: »Das ist zurzeit sehr eng geregelt. Aber das kann man auch erweitern« – etwa auf »aggressiven Finanzinvestoren«.

Im Nebel des angeblichen Gemeinschaftsinteresses

Darüber ließe sich diskutieren, allerdings sind vier Anmerkungen zu Gabriels Argumentation nötig. Erstens befremdet seine Aufteilung in gute einheimische Unternehmen und böse ausländische Investoren, mit der sich zwar an politische Ressentiments anknüpfen, die aber außer Acht lässt, dass die Aneignung fremder Arbeit auch unabhängig davon Rendite- und Profitlogiken folgt, die negative soziale und gesellschaftliche Folgen haben. Und die durchaus notwendige Kritik an der durch neoliberale Finanzialisierung verstärkten Rolle von Hedgefonds und Investoren wird nicht dadurch gründlicher, dass man sie mit Tiervergleichen emotionalisiert.

Entscheidender aber sind andere Punkte: Gabriel steht zweitens mit dem Kopf völlig im Nebel einer gesellschaftlichen Selbstbeschreibung, in der »die Stabilität unserer Gesellschaft« auf der »Fähigkeit von Wirtschaft und Politik« beruhen soll, »das berechtigte Gewinnstreben von Unternehmen und die Gemeinwohlorientierung des Eigentums immer wieder erneut in der Balance zu halten«. Es war durchaus einmal sozialdemokratischer Common Sense, dass das Gewinnstreben von Unternehmen dem, was Gabriel Stabilität unserer Gesellschaft nennt, in antagonistischer Weise gegenübersteht.

Guter Klassenkampf, böser Klassenkampf?

Es könnte überdies gefragt werden, was an Gewinnstreben überhaupt »berechtigt« sein soll, wenn man davon ausgeht, dass hier immer die private Reichtumsmehrung auf Kosten gesellschaftlicher Produktion der Antreiber ist, und die allgemeine Hebung des Wohlstands und die paar Steuern, die Konzerne noch zahlen müssen, bloß ein Kollateralnutzen, für den unter anderem die Sozialdemokratie lange gegen »die Wirtschaft« kämpfen musste.

Interessant ist drittens Gabriels Verständnis von Klassenkampf: Wer diesen »von oben sät, wird neuen Klassenkampf von unten ernten. Aber keinen durch Gewerkschaften und Sozialdemokratie gezähmten, sondern einen rücksichtslosen und rüden populistischen von rechts.« Hier nicht zu widersprechen wäre geradezu gefährlich. Dies unter anderem weil ein »Klassenkampf von rechts« keiner ist, sondern sich das nationalistische, rassistische Ressentiment höchstens einen sozialen Mantel umhängt, um Klassenspaltung zu betreiben (oder gleich das Geschäft der anderen Seite, wie man an weiten Teilen der wirtschaftspolitischen Vorstellung der AfD sehen kann). Gabriel markiert auf der anderen Seite nur jene sozialen Auseinandersetzungen der Arbeit gegen das Kapital als gut, die »durch Gewerkschaften und Sozialdemokratie gezähmt« ist. Könnte es sein, dass es zwischen dieser (Über-)Zähmung und sozialer Unsicherheit bzw. ökonomischer Ungleichheit einen Zusammenhang gibt, einen, den man auch in Betracht ziehen muss, wenn man über den Rechtsruck oder die Schwäche der SPD reden will?

»Sinnloses Wort der sozialen Marktwirtschaft«

Viertens und schließlich noch dies. Herr Gabriel möge doch wieder einmal ein Geschichtsbuch zur Hand nehmen. Die SPD hat 1949 in einem Wahlaufruf nicht ohne Begründung vom »sinnlosen Wort der sozialen Marktwirtschaft« gesprochen. Es geht hier nicht darum, reformerische Bemühungen zu diskreditieren, die auf eine Ausweitung des Raumes des gesellschaftlichen Interesse zu Lasten des Raumes des Profitinteresses hinauslaufen. Sondern auf die Überhöhung und Formelhaftigkeit der Phrase von der sozialen Marktwirtschaft, die Gabriel bedient. In Sätzen wie »unser Wirtschaftsmodell steht für langfristigen und dauerhaften Erfolg und nicht für schnelle Supergewinne. Wohlstand für Millionen und nicht Milliarden für wenige ist unsere Idee« kommt diese Sichtweise beim Ex-SPD-Chef zum Ausdruck. »Die deutsche Wirtschaft ist stark geworden, nicht trotz, sondern wegen dieser Idee einer sozialen Marktwirtschaft«, so Gabriel. Ja eben, dämmert’s?

Man darf anmerken: Die Sozialdemokratie würde vielleicht erfolgreicher sein, wenn sie die Sonderperiode des Aufschwungs nach dem Krieg nicht immer zur kapitalistischen Normalität erklären würde, weil ihr dann auffiele, dass man heute andere Strategien der sozialen Integration überlegen müsste. Und  hinzu kommt, was Hans Jürgen Urban den Gewerkschaften ins Merkheft geschrieben hat, was aber für die SPD genauso gilt: »Die Interessen von Kapital und Arbeit materialisieren sich in der kapitalistischen Eigentums- und Aneignungsordnung. Diese Struktur stellt eine Dynamik auf Dauer, die den Reproduktionsinteressen der Arbeit (sowie der Gesellschaft und Natur) entgegensteht und erzielte Erfolge stets zum Gegenstand neuer Kämpfe werden lässt. Sollen die Ideen von sozialer Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Solidarität und Humanität nicht an dieser Struktur zerschellen, muss sie selbst früher oder später zum Objekt normativ orientierter Transformationen werden.«

Der Ratschlag mit dem Geschichtsbuch hat aber noch einen anderen Beweggrund. Gabriel könnte so vermeiden, noch einmal Sätze aufzuschreiben wie »Thyssen-Krupp steht beispielhaft für Unternehmen, die sich seit Beginn der Industrialisierung der sozialen Verantwortung bewusst waren.« Wer angesichts der Vergangenheit der Konzernvorläufer, der Versklavung von Menschen, der Kooperation mit den Nazis, der Profite aus zwei Weltkriegen von sozialer Verantwortung spricht, damit ein Konzern gegenüber Finanzinvestoren besser dasteht, hat dringend Nachhilfe nötig.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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