Wirtschaft
anders denken.

Umwälzung von unten

10.01.2023
Solarstrom Produktion an einer Straße mit SolarpanelsFoto: Andreas GücklhornSo sieht Demokratie aus.

Solarstrom ist von vornherein die demokratietauglichste Energie. Aus OXI 12/22.

Es beginnt damit, dass jeder Haushalt sich eine passende Solaranlage besorgen kann und sie dann einfach in die Steckdose einstöpselt. Anmelden und irgendjemanden um Erlaubnis fragen – das gehört ab jetzt der Vergangenheit an. Die Stabilität des Stromnetzes gefährdet das nicht. Das ist ein beliebtes Märchen der Netzbetreiber. Die brauchen einfach nur den Wetterbericht zu schauen, um ausreichend kalkulieren zu können, wie viel Sonnenstrom eingespeist werden wird. Zudem sortieren die Netzbetreiber die Haushalte schon jetzt in verschiedene Profile ein – je nach Personenanzahl, Wohnlage und Ausstattung –, um dann den Lauf der täglichen Verbrauchskurve voraussagen zu können. Experten sind schon lange der Ansicht, dass auch für Haushalte mit Solaranlagen spezielle Lastprofile eingerichtet werden können. Das blockieren die Netzbetreiber bisher aus durchsichtigen Gründen.

Damit sich auch jeder Haushalt eine Solaranlage leisten kann, wird deren Anschaffung durch die öffentliche Hand gefördert. Am besten so gut, dass einkommensschwache Haushalt die Anlage quasi zum Nulltarif bekommen und dann auch sofort mit dem eigenen Solarstrom ihre Stromkosten senken können. Mit 500 Euro Förderung pro Haushalt ließe sich nach heutigen Preisen schon eine 300-Kilowatt-Balkonanlage anschaffen. Würde beispielsweise das Dienstwagenprivileg abgeschafft und die frei werdenden drei Milliarden Euro in die Solarförderung privater Haushalte gesteckt, könnten mehrere Millionen Haushalte mit Solaranlagen ausgestattet werden.

In kurzer Zeit würde sich die Zahl privater Solaranlagen vervielfachen. 2020 erzielten erst 1,4 Millionen Haushalte in Deutschland Einnahmen aus Solarstrom – dabei gibt es hierzulande rund 40 Millionen Haushalte. Selbst bei Ein- und Zweifamilienhäusern sind die allermeisten Dächer bis heute solarenergetisch noch ungenutzt.

Entscheidend für die solare Umwälzung ist aber nicht die reine Zahl von Anlagen oder die Menge des so erzeugten Stroms. Die Energiewende von unten beginnt erst dort, wo der grüne Strom problemlos weitergereicht, beispielsweise mit dem Nachbarn geteilt oder der Netzanschluss für eine Hausgemeinschaft dann sogar »nach außen« verlegt werden kann. Ein Haus bekäme quasi einen gemeinsamen Stromzähler und die Haushalte tauschten untereinander ihren grünen Strom, was seine Ausnutzung erhöht. Ist eine Familie tagsüber nicht da, können eben die Nachbarn im Home Office den Strom nutzen oder einen Stromfresser anwerfen – wie auch umgekehrt. Da die Überschussenergie sonst – heute noch zur Freude der Netzbetreiber – kostenlos ins Netz abgegeben würde, kann dieser ungenutzte Strom hausnachbarlich eigentlich zum Nulltarif abgegeben werden. Ein Win-win-Effekt für alle.

Die so eingesparten Stromkosten lassen sich dann, sind sich die Menschen darüber einig, auch investiv einsetzen. Hausgemeinschaften und ganze Mietshäuser und Quartiere können anfangen, darüber nachzudenken, ob sie mit dem Strom nicht mehr anfangen wollen – einen Speicher installieren für sonnenlose Zeiten oder sich eine Wärmepumpe zulegen.

Entscheidet man sich für einen Speicher, lässt sich beispielsweise auch ein Vertrag machen mit einem Netzdienstleister, der das Haus dann als »flexibles« Element in seine Stromgeschäfte einbaut. Das bringt der solaren Gemeinschaft neues Geld ein – und wenn das Millionen solcher Gemeinschaften machen, wird ein »Blackout« noch unwahrscheinlicher.

So kann es Stück für Stück weitergehen. Immer neue Elemente der Versorgung mit Strom, Wärme und Kälte könnten in Eigenregie geregelt werden. Und je mehr Haushalte, desto effizienter und zuverlässiger wird das System.

Das Ziel ist aber nicht, autark zu werden. Der dazu erforderliche Aufwand ist im Verhältnis zum ökologischen Nutzen viel zu hoch. Auch wenn Energie von außen eher nur noch als Reserve benötigt wird – ohne ein regionales und überregionales Netz geht Energiewende nicht.

Und die Menschen müssen gar nicht alles selber machen. Seit Langem sind sogenannte Contracting-Verträge möglich, wo seriöse Dienstleister das Installieren, Warten und Abrechnen übernehmen. Sie finanzieren sich dann aus einem Teil der eingesparten Kosten.

Selbstverständlich müssen Vermieter – öffentliche wie private – für solche gemeinschaftlichen Lösungen gewonnen werden, sie dürfen die Haushalte nicht ausbremsen und blockieren. Aber letztlich haben auch Vermieter ein Interesse daran, ihr Haus und ihre Quartiere in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln – und wenn ihnen die Mieter da zur Hand gehen, warum soll das nicht klappen? Dazu könnte auch der Gesetzgeber sanften Druck ausüben und gemeinschaftliche Versorgungen explizit privilegieren – wie das heute schon mit den erneuerbaren Energien geschieht.

Soll die solare Umwälzung von unten Erfolg haben, braucht sie aber noch eine andere Zutat: Die heute meist noch privaten Netzbetreiber müssen in eine öffentlich-rechtliche Form überführt oder zumindest einer maßgeblichen öffentlichen Kontrolle unterstellt werden. Das muss kein Staatseigentum sein, sondern es könnte das schon lange existierende Konzept aufgegriffen werden, einen Staatsfonds zu bilden, an dem Bürger:innen oder auch gleich die solaren Gemeinschaften Anteile erwerben können. Mit diesem Geld und diesem oder jenem Kredit könnten die Stromnetze nach und nach übernommen werden.

Warum sollten die Bürger:innen da ihre Ersparnisse investieren? Der Grund ist einfach: Derzeit dürfen die Netzbetreiber auf ihre Kosten einen gesetzlich festgelegten Zins von 5 bis 7 Prozent aufschlagen. Ab 2024 sinkt der zwar auf 3 bis 5 Prozent. Das ist aber immer noch eine gute Rate und ihre allerschönste Eigenschaft ist: Sie werden anstandslos von den Stromkund:innen über die Netzentgelte bezahlt. Ein risikoärmeres Geschäft mit einem quasi garantierten Gewinn ist in Deutschland kaum zu finden. Warum soll das aber den meist privaten Eignern der Netze zugutekommen?

Die Netzentgelte machen inzwischen im Schnitt schon ein Fünftel des Strompreises aus und sind der größte Brocken in der Stromrechnung. Um die Kosten für Verbraucher und Wirtschaft derzeit in der Energiepreiskrise zu drücken, will der Bund allein den großen Überland-Netzbetreibern rund 13 Milliarden Euro zuschießen. Das Geld soll zunächst vom EEG-Konto kommen. Das haben die Stromkund:innen in den letzten Monaten gut gefüllt, indem sie hohe Strompreise bezahlten.

Es fragt sich schon lange, warum die Netze in Deutschland weitgehend in privater Hand sind und die Netzbetreiber faktisch wie ein Staat im Staate agieren. Wer entscheidet, ob bei Netzengpässen erneuerbare oder fossile Anlagen abgeschaltet werden? Die Netzbetreiber. Wer hat die Hand drauf beim Ausbau des Ladenetzes für E-Autos? Die Netzbetreiber. Wer besteht auf dem Einbau teurer Zählertechnik, wenn sich eine Familie eine Balkonanlage zulegen will? Die Netzbetreiber.

Überall bremsen sie dank ihres »natürlichen« Monopols, das das Stromnetz nun einmal darstellt. Diese heimlichen Dinosaurier der Energiewende gehören endlich entmachtet und in öffentliche Hände. Stromnetze sind die Achillesferse der Energiewende, meint auch Ralf-Michael Marquardt vom Energieinstitut der Westfälischen Hochschule, und plädiert aus diesem Grund schon länger für eine Vergesellschaftung der Netze.

Das hat aus Marquardts Sicht entscheidende Vorteile. Der dem Gemeinwohl verpflichtete Staat könne auf eine betriebswirtschaftliche Gewinnoptimierung beim Netzbetrieb verzichten, viel besser die Ausbaubelange der Gesellschaft berücksichtigen sowie zur Akzeptanzsteigerung beim Netzausbau beitragen. Vorstellbar ist weiter, den dann öffentlichen Verwaltern der Stromnetze eine ebenfalls öffentliches Aufsichtsgremium an die Seite zu stellen – so könnten die Interessen der sich lokal bildenden Energiegemeinschaften mit den regionalen und denen des ganzen Landes zusammengebracht werden. Erst eine Kombination eines Solarbooms von unten mit einer demokratischen Kontrolle der Netze von oben würde die bisherigen Machtverhältnisse auf dem Energiemarkt kippen können. So eine Machtverschiebung könnte eine Art Initialzündung für eine echte Energiewende werden. Diese ist eben nicht nur eine Frage technischer Machbarkeit oder aufopferungsvoller lokaler Initiativen, sondern muss auch von entsprechenden gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen flankiert werden. Und eine dieser Bedingungen ist, dass die Zivilgesellschaft die Kontrolle über die Netze zurückgewinnen muss.

Solarstrom ist von vornherein die demokratietauglichste Energie – und umgekehrt kann die Demokratie die Verfügbarkeit von Solarstrom nutzen, um die Spielregeln des Marktes zu ändern.

Geschrieben von:

Jörg Staude

Journalist

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