Wirtschaft
anders denken.

Solidarität macht sich bezahlt

07.01.2017

OXI-Titelthema Verteilungsgerechtigkeit

Mehrere Studien belegen: Dort, wo die Gewerkschaften stark sind, geht es gerechter zu. Solidarität zahlt sich also aus. Und: Dort, wo die Ungleichheit hoch ist, sind die Gewerkschaften schwach.

»Was habe ich davon, wenn ich der Gewerkschaft beitrete?« Diese Frage ist oft vor allem von jungen Leuten zu hören, wenn sie darauf angesprochen werden, warum sie noch nicht Mitglied sind. Viele sind bass erstaunt, wenn sie erfahren, was es früher alles nicht gab, heute allerdings selbstverständlich geworden ist: beispielsweise die sechswöchige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für alle, die Fünf-Tage-Woche oder sechs Wochen Urlaub.

In jüngster Zeit haben mehrere WissenschaftlerInnen unabhängig voneinander nachgewiesen: Wenn viele ArbeitnehmerInnen eines Landes Mitglied der Gewerkschaft sind, ist die soziale Ungleichheit geringer. So haben die beiden ÖsterreicherInnen Susanne Pernicka und Franz Traxler von der Universität Wien für den Zeitraum von 1970 bis 1995 in 19 OECD-Ländern einen Zusammenhang zwischen dem Organisationsgrad der Gewerkschaften und der Lohnquote festgestellt: Je höher der Prozentsatz der Gewerkschaftsmitglieder unter allen ArbeitnehmerInnen ist, desto größer ist in der Regel auch der Anteil der Lohneinkommen am Volkseinkommen. Ihre Befunde sind unter anderem in dem Buch »Ungleichheit und Umverteilung« von 2004 veröffentlicht, herausgegeben von Anne van Aaken und Gerd Grözinger.

Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft muss für Beschäftigte so selbstverständlich sein wie das tägliche Zähneputzen.

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Florence Jaumotte und Carolina Osorio Buitron, zwei Wissenschaftlerinnen des Internationalen Währungsfonds (IWF), legten im Jahr 2015 eine Untersuchung vor, in der sie die Ursachen analysierten, die für die wachsende Ungleichverteilung der Einkommen in den reichen Industrieländern verantwortlich sind. Die Untersuchung, die bis zum Jahr 2011 reicht, wurde im Juli 2015 unter dem Titel »Inequality and Labor Market Institutions« veröffentlicht. Die Autorinnen stützen sich auf verschiedene statistische Quellen und betrachteten 14 beziehungsweise 20 OECD-Staaten. Eindeutiges Ergebnis: Je niedriger der gewerkschaftliche Organisationsgrad, desto ungleichmäßiger ist die Verteilung der Einkommen und desto größer ist der Anteil der obersten zehn Prozent der EinkommensbezieherInnen am Volkseinkommen.

Bereits ein Jahr zuvor war Dierk Herzer, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, in einer empirische Untersuchung der 20 reichsten Industrienationen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen; seine Befunde wurden 2014 in dem Diskussionspapier Nr. 146 der Fächergruppe Volkswirtschaftslehre der Helmut-Schmidt-Universität veröffentlicht. Besonders interessant: Herzer fand heraus, dass das Verhältnis von Gewerkschaftsstärke und Maß an Ungleichheit in beide Richtungen wirkt. Also: Steigt der gewerkschaftliche Organisationsgrad, werden die Einkommen gleicher verteilt. Und umgekehrt gilt auch: Je ungleicher die Einkommen verteilt sind, umso schwächer werden die Gewerkschaften. 2016 konnte Herzer diese Zusammenhänge noch einmal für die Bundesstaaten der USA bestätigen.

Geballte wissenschaftliche Evidenz

Schließlich: In einer Studie, die Sigurt Vitols, Soziologe und Politökonom am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), in 104 börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen in Deutschland durchgeführt hat, kam er zu dem Befund: »Gewerkschaftliche Präsenz« im Unternehmen hat eine dämpfende Wirkung auf die Höhe der gezahlten Vorstandsgehälter und den Anteil der aktienkursorientierten Vergütung an den Managerbezügen. Mit anderen Worten: Sitzen GewerkschaftsvertreterInnen in den Aufsichtsräten großer Unternehmen, verhindern sie in der Regel »Ausreißer« bei den Managergehältern nach oben sowie eine übermäßige Orientierung der Vorstandsvergütungen an den Aktienkursen (Shareholder-Value-Prinzip). So diese Studie, die im Jahr 2008 als Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung erschienen ist.

Die Bilanz dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse: Eine Unternehmenspolitik, die einseitig nur den Kapitalinteressen dient und Arbeitnehmerbelange sowie gesellschaftliche Ziele des Wirtschaftens völlig außer Acht lässt, kann von starken Gewerkschaften ausgebremst werden. Der Kapitalismus wird zwar nicht überwunden, aber an die Kette gelegt.

Deshalb muss für alle ArbeitnehmerInnen die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft so selbstverständlich sein wie das tägliche Zähneputzen. Denn starke Gewerkschaften helfen dem Einzelnen bei seinen Konflikten mit dem Arbeitgeber. Sie tragen auch sehr wesentlich dazu bei, die Auswüchse des Kapitalismus zu begrenzen und seine wirtschaftliche Effizienz für die gesamte Gesellschaft nutzbar zu machen.

Am 10. Januar erscheint die OXI-Printausgabe zu Verteilungsfragen am Kiosk.

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Geschrieben von:

Hermann Adam

Professor für Politikwissenschaft

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