Was fehlt, ist der Respekt
Nicht alle Berufe im Sozialsektor werden wegen Corona plötzlich gefeiert. Es fehlt immer noch an Anerkennung. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…
Felix Zimmer studierte von 2005 bis 2009 an der Fachhochschule Potsdam Soziale Arbeit und Sozialpädagogik. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet er an einer Sekundarschule in Berlin. Das Gespräch führte Paula Hansen.
In den vergangenen Wochen wurden Menschen plötzlich als Alltagshelden gefeiert, deren Berufe zuvor kaum Wertschätzung erfuhren. Gehörte die Schulsozialarbeit dazu?
Zunächst nicht. Im Blick waren tatsächlich nur Polizisten, Feuerwehrleute, medizinisches Personal, Pfleger und Pflegerinnen, auch Erzieherinnen. Die Schulsozialarbeit, überhaupt die Sozialarbeit, war außen vor, alles hatte dicht gemacht. Erst Ende März wurde aufgrund öffentlicher Diskussionen hinterfragt: Was passiert eigentlich mit den Kindern, wenn sie dauerhaft zu Hause sind? Wenn zwei, drei, vier Geschwister in beengten Wohnverhältnissen leben? Wenn nicht klar ist, dürfen die überhaupt raus? Wie sieht die Tagesstruktur der Kinder aus? Dieses öffentliche Nachdenken war ein großes Glück. Noch vor Ostern setzte die Schulsozialarbeit dann auch wieder ein. Aber es ist schwierig, unter Kontaktbeschränkungen nah an den Schülerinnen und Schülern dran zu sein.
Wie sah der Kontakt aus?
Am 17. März 2020 wurden die Schulen in Berlin geschlossen. Schon am Tag danach hat sich unser Team – wir sind sechs Schulsozialarbeiter plus Bereichsleiter – hingesetzt und überlegt, wie können wir auf diesen Lockdown reagieren. Fazit war: Wir müssen unbedingt mit den Klassenleitern und -leiterinnen und der Direktorin in Kontakt gehen. Wir müssen wissen, welchen Plan sie verfolgen. Und wir haben uns, was relativ untypisch für Sozialpädagogen ist, vermehrt in den sozialen Medien gezeigt. Einen Instagram-Account eröffnet, auch die Homepage genutzt, denn die meisten sind in den sozialen Medien unterwegs. Wir produzierten Filme für die Kinder und Jugendlichen, auch ein Hörspiel. Wir haben Sportangebote gemacht, Spielideen für die ganze Familie entwickelt und Informationen aus den Schulen weitergegeben. Darauf gab es ein gutes Feedback. Im Videochat mit dem Klassenrat konnten wir dann direkt Probleme erfragen. Wie die Schülerinnen und Schüler allein zurechtkommen, wo es Probleme gibt. Und alle hatten unsere Telefonnummern, damit sie sich im Fall des Falles unmittelbar an uns wenden konnten.
Der digitale Kontakt ist den Umständen geschuldet. Was fehlte?
Das direkte Zusammensein mit den Schülern habe ich sehr vermisst. Ich war richtig froh als wir sie – natürlich unter den hygienischen Vorgaben – wieder real in der Schule sehen und sprechen durften. Das war vorher alles ganz nett, aber soziale Arbeit über Videochat ist nicht das Gleiche.
Hat die Sozialarbeit öffentlich an Wert gewonnen?
Nebeneffekt dieser Krise ist ja, dass Berufsgruppen wie Erzieher, Lehrkräfte, überhaupt der soziale und Gesundheitsbereich als wichtig wahrgenommen wurden. Auch die Erkenntnis, dass wir schon gute und verlässliche Strukturen haben. Aber wenn einige Bausteine rausfallen – wie zum Beispiel Kita und Schule –, dann spüren auch alle, wie der Alltag auseinanderbricht. Mir geht es gar nicht um Systemrelevanz. Ich finde, jeder Beruf ist in seiner Art wichtig. Was fehlt, ist der Respekt, die Anerkennung. Auch über Lehrer und Erzieher meckern Eltern häufig. Krankenschwestern und Pfleger haben zu Recht gesagt, hört auf zu klatschen, schätzt unseren Beruf, auch finanziell. Geld für seine Arbeit zu bekommen, das dann auch gut zum Leben reicht, wäre schön.
Wie sieht das bei Sozialpädagogen aus?
Was ist welche Arbeit wert, das war ja schon vor Corona eine Diskussion. Die Frage stellen wir Sozialpädagogen uns immer wieder. Schon im ersten Semester sagte ein Professor: Reich werdet ihr in diesem Job nicht. Es sei eine Aufgabe, die man einfach gern machen muss. Ich mache meinen Job total gern. Aber gerade im System Schule stellt sich die Frage, warum bekommen die Lehrer exorbitant mehr Geld als Erzieher oder Sozialpädagogen? Die Debatte wird seit Jahren geführt, auch im Berliner Haushalt. Dabei geht es um eine mögliche Anlehnung an den öffentlichen Dienst. Es wäre nur gerecht, wenn auch Erzieher und Sozialpädagogen finanziell eine Aufwertung erfahren. Denn wenn es um Bildung geht, um die schulische und außerschulische, dann dürfen diese beiden Berufsgruppen nicht außer Acht gelassen werden.
Sozialpädagogen machen außerschulische Bildungsangebote. Wo beginnen die?
Ich fände es gut, wenn die Stadt Berlin Geld in die Hand nehmen würde, sich die Schulen anschaut und die auf einen guten Stand bringt. Da geht es um saubere Toiletten in ausreichender Zahl, es geht um marode Klassenräume und baufällige Schulgebäude. Die Frage ist doch, was ist uns schon rein äußerlich die Bildung unserer Kinder wert. Digitalisierung ist ein weiteres Stichwort. Kann eine Schule überhaupt, rein technisch betrachtet, Homeschooling machen? Ist tatsächlich jeder Elternhaushalt dafür ausgerüstet? Für mich zählen Sportplätze und Jugendfreizeitzentren dazu. In den letzten Jahren sind so viele Jugendfreizeiteinrichtungen einfach weggespart worden. Damit nimmt man den Jugendlichen einen Platz, um sich gut zu entwickeln.
Aber ist das nicht weniger ein Erkenntnis- als vielmehr ein Umsetzungsproblem? Und dreht sich nicht auch da wieder alles ums Geld?
Was die Ganztagsbetreuung angeht, hat Berlin schon viel Geld in die Hand genommen. Macht das auch weiter. Das Konzept, das die Bildungssenatorin verfolgt, nämlich ähnlich wie im Hortbereich der Grundschule auch in den höheren Klassen Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag anzubieten, finde ich sehr gut. In meiner Schule existieren 35 Arbeitsgemeinschaften. An drei Tagen in der Woche bieten wir den Schülerinnen und Schülern nach dem Unterricht vieles an. Dadurch konnten Jugendliche in Sportvereine vermittelt werden oder auch in die Musikförderung. Es geht um Talente, Begabungen, Interessen. Die zu sehen, die zu fördern, das ist wichtig. Auch schon berufliche Entwicklungen anzudenken. Als ich vor elf Jahren in der Schulsozialarbeit begann, gab es bereits unglaublich gute Konzepte. Manche angelaufenen Projekte wurden dann aber nicht weiterfinanziert. Man hat so viele Ideen, aber das Geld läuft nach zwei, drei Jahren aus. Das ist schade. Mein Wunsch wäre, dass der außerschulische Bereich eine Regelfinanzierung auf lange Sicht bekommt. Berlin ist da schon auf einen guten Weg, stellt in den nächsten zwei Jahren auch 300 Schulsozialpädagogen ein.
Zu Beginn der Jahrtausendwende gab es eher einen Personalabbau. Dahinein fiel Ihr Studium. Das heißt, es war damals gar nicht sicher, in diesem Beruf auch arbeiten zu können?
Ganz ehrlich, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Für mich war nur klar, dass ich nicht im Jugendamt arbeiten wollte. Es gibt diese Quote, ein Sozialpädagoge im Amt muss 100 bis 150 Fälle bearbeiten. Das ist ein Unding. Die Fälle werden immer komplexer, das schafft niemand. Es bleibt zwangsläufig zu viel liegen. Es dauert zu lange, bis es eine Rückmeldung aus dem Amt gibt, ob und was in einem gemeldeten Fall passiert ist. Wir haben jetzt viel über Geld geredet. Wenn man investiert, sollte das ohnehin früher passieren. Sozialpädagogen sind schon in Kitas wichtig, nicht erst in der Oberschule. Die Soft Skills werden in den Jahren null bis sechs gelegt. Wenn man da bei Auffälligkeiten gut hinschaut, kann man noch viel bewegen. Ich arbeite mit Oberschülern zusammen, die sind 12 bis 16 Jahre alt, siebte bis zehnte Klasse. Na ja, die sind in ihrer Entwicklung schon ziemlich fertig. Auch hier mangelt es nicht an Konzepten. Man muss es wollen und sich immer die Frage stellen, was sind uns unsere Kinder und Jugendlichen eigentlich wert.
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