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Soziale Fassade

22.04.2017
Marine Le Pen im EU-ParlamentFoto: European Parliament / flickr CC BY-NC-ND 2.0 Um ArbeiterInnen und Angestellte zu gewinnen, verspricht Le Pen ein »neues patriotisches Wirtschaftsmodell für Frankreich«.

Marine Le Pen nennt den Front National »weder rechts noch links«. Die politische Front verlaufe zwischen »Patrioten« und »Globalisten«. Was steckt hinter dem Versprechen eines »neuen patriotischen Wirtschaftsmodells« für Frankreich?

Lange Zeit hat der Front National (FN) wirtschaftliche Themen bestenfalls als zweitrangig behandelt. Unter ihrem Gründer Jean-Marie Le Pen punktete die Partei vor allem mit einer klassisch rechten Agitation für den starken Sicherheitsstaat und gegen EinwandererInnen, garniert mit mehr oder weniger offenem Antisemitismus. Das gefiel ihrer Kernwählerschaft aus dem katholischen Großbürgertum und der unteren Mittelschicht. Beide Gruppen stehen hohen Steuern und staatlicher Umverteilung ablehnend gegenüber. Dementsprechend war der FN wirtschaftspolitisch im Zweifelsfall liberal und unternehmerfreundlich. Dieser Flügel ist heute noch präsent, prominent vertreten mit Jean-Marie Le Pens Enkelin Marion Maréchal-Le Pen.

Ihre Tante, die heutige Parteichefin Marine Le Pen, setzt aber schon länger auf einen anderen Kurs, der in der Partei unverändert umstritten ist. Bei ihr rücken Wertedebatten in den Hintergrund. So beteiligte sich Marine Le Pen beispielsweise nicht an den Großdemonstrationen gegen die »Ehe für alle«, weil sie solche familienpolitischen Kontroversen als nebensächlich begreift. Zentral für sie sind ökonomische Fragen. Dies hat nicht zuletzt strategische Gründe: Le Pen will eine breitere Wählerbasis an den FN binden und zielt dabei vor allem auf ArbeiterInnen und kleine Angestellte. Dabei stützt sie sich auf ihren Vizevorsitzenden und Chefstrategen Florian Philippot. Dieser hat maßgeblich den protektionistischen Kurs des FN in allen Wirtschaftsfragen geprägt. Beeinflusst ist er unter anderem vom Linksnationalisten Jean-Pierre Chevènement, einst Minister unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand.

Bis zu 43 Prozent der französischen ArbeiterInnen wollen laut einer jüngsten Umfrage Le Pen wählen.

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So verspricht Le Pen in dem offiziellen Programm des FN zu den Präsidentschaftswahlen im April und Mai ein »neues patriotisches Wirtschaftsmodell«, das die französische Wirtschaft vor der Globalisierung schützen soll. Dazu sollen Importe mit Zöllen belegt werden. Vor allem aber soll der Staat steuernd in die Wirtschaft eingreifen und große Investitionsprogramme auflegen. Überdies will Le Pen gesetzlich eine »nationale Priorität« verankern. Konkret: Französinnen und Franzosen sollen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und Sozialwohnungen bevorzugt werden. Zudem will sie das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre absenken, auch den Mindestlohn erhöhen. Die EU-Mitgliedschaft begreift der Front National als Fremdbestimmung – auch in Fragen der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Daher sollen die BürgerInnen in einem Referendum über den Ausstieg entscheiden dürfen, zumindest aus dem Euro, um wieder eine eigene Währung einzuführen. Diese Auflistung klingt nicht zufällig nach einer Mischung aus Forderungen, die in der öffentlichen Auseinandersetzung als links und rechts charakterisiert werden. Das ist schlüssig, denn Le Pen präsentiert sich als »weder rechts noch links«. Für sie verläuft die wahre Spaltung heute »zwischen Patrioten und Globalisten«.

Bislang ist Marine Le Pen mit diesem Kurs erfolgreich. So konnte ihre Partei bei den letzten Regionalwahlen im traditionell links geprägten Nordosten des Landes Rathäuser erobern. Dabei spielt der Partei die hohe Arbeitslosigkeit im dortigen Kohle- und Stahlrevier in die Hände. Bis zu 43 Prozent der französischen ArbeiterInnen wollen laut einer jüngsten Umfrage Le Pen wählen.

Unklar bleibt, wie sich eine Präsidentin Marine Le Pen wirtschaftspolitisch dann tatsächlich verhalten würde. Denn ähnlich wie in den USA bei Donald Trump würde sich auch bei ihr erst im Amt erweisen, wie ernst die antiliberalen und protektionistischen Parolen gemeint sind. Da ein Sieg von Le Pen aber sehr unwahrscheinlich ist, zeigt ihr Aufschwung etwas anderes: Er verweist auf die Schwäche der Linken, die sich wirtschaftspolitisch von ihren einstigen Kernmilieus entfernt hat. Le Pen kann bei diesen enttäuschten WählerInnen punkten, indem sie klassisch linke Forderungen teilweise einfach übernimmt und in ihr Programm einpasst. Zudem gibt es auch bei Sozialisten und Linkspartei stark europakritische Tendenzen, an die Le Pen andocken kann.

Dabei gibt es einen Unterschied: Anders als die Linke kritisiert der Front National die EU nicht primär, weil Brüssel eine marktradikale Politik betreibt. Vielmehr stört sich der FN hauptsächlich an den offenen Grenzen in Europa: Zuwanderung gilt der Partei als ein Übel. Sie argumentiert antiuniversalistisch und rassistisch. Spätestens an dieser Stelle erweist sich der Front National als typische Rechtsaußen-Partei.

 

KapitalismuskritikerInnen und soziale Bewegungen wie Occupy, Attac oder die Weltsozialforen weisen seit Jahren darauf hin, dass globaler »Freihandel« und entfesselte Finanzmärkte der Demokratie und Millionen Menschen schaden, die zu den mittleren und unteren Schichten zählen. Nun scheint es, als stoppe ausgerechnet die autoritäre Rechte die weitere Globalisierung. Was kennzeichnet die neue nationale Wirtschaftspolitik von rechts? Was unterscheidet Theresa May, Donald Trump und Marine Le Pen? Die Beiträge dieser Reihe erschienen unter dem Titel »Vier Wege zum Volk« in der OXI Aprilausgabe.

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