Wirtschaft
anders denken.

Sozialproteste in Frankreich

09.04.2018
Foto: Jeanne Menjoulet / flickr CC BY 2.0

Frankreich ist in Bewegung. Seit dem 22.März scheint es, dass die von deutschen Linken so bewunderte französische Protestkultur wieder auferstanden ist. Dabei sah es zunächst gar nicht danach aus, dass eine derartige Dynamik der Sozialproteste in Gang kommen könnte.

Spätestens seit dem Scheitern der Proteste gegen das Arbeitsgesetz »Loi El Khomri« des sozialdemokratischen Staatspräsidenten Hollande im Frühjahr 2016 schien es so, als seien die Gewerkschaften geschlagen. Mit dem Gesetz hatte man mit einem Grundsatz der französischen industriellen Beziehungen gebrochen: Arbeitsrecht gilt höherrangig als Tarifverträge. Die ausgehandelten Verträge durften gesetzliche Standards nicht unterlaufen.

Mit dem »Loi El Khomri« können Unternehmen nun auf Betriebsebene Sonderregelungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit aushandeln. Die sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaften, wie die sozialdemokratische CFDT, waren bereit, sich der Standortlogik zu unterwerfen. Die postkommunistische CGT beharrte auf eine konfrontative Strategie und verlor die Machtprobe.

Macrons Politik trifft nur in der »Privatwirtschaft« auf wenig Widerstand

Diesen Widerspruch innerhalb des Arbeitnehmer_innenlagers machte sich der neue Präsident Macron von Beginn seiner Amtszeit zu Nutze, indem er eine Ausweitung der Rechte der Betriebsrätestrukturen versprach. Die Stärkung des Konsensmodells sorgte dafür, dass die CFTD Macron von Beginn an in seiner Arbeitsmarktpolitik unterstützte und den Widerstand anderer gewerkschaftlicher Akteure, wie der CGT, im Herbst letzten Jahres unterlief. Eine gespaltene Gewerkschaftsbewegung erzeugt nicht viel Druck im Lande.

Dabei waren die Einschnitte eklatant und die Ausweitung der Rechte der Arbeitnehmervertreter_innen fand real gar nicht statt. Statt des Ausbaus gewerkschaftlicher Mitbestimmung wurde diese eingeschränkt, indem einzelne Organe der Mitbestimmung durch Macron abgeschafft wurden. In Zukunft können Beschäftigte ohne die Mitsprache von Gewerkschaftsvertreter_innen faktisch sogar entlassen werden. Werkverträge wurden eingeführt, sowie die Regelung der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen für alle nicht regulär Beschäftigten den »Sozialpartnern« zu überlassen. Da sämtliche Gewerkschaften in den vielen Klein- und Kleinstunternehmen, welche die französische Ökonomie dominieren, kaum verankert und präsent sind, führten Macrons »Reformen« letztendlich zu keinem großen Widerstand.

Doch die aktuellen Reformen betreffen diesmal nicht die Beschäftigten der »Privatwirtschaft«, sondern den öffentlichen Dienst. Hier sollen hunderttausend Stellen abgebaut werden und gleichzeitig die Eisenbahn in eine privatwirtschaftlich geführte Holding überführt werden. Außerdem soll der Fern- und Regionalverkehr »liberalisiert« werden. Im gesamten öffentlichen Dienst soll das Arbeitsregime der Privatwirtschaft eingeführt werden. Dies lehnen selbst die konservativsten Kräfte unter den Beschäftigten ab und können auf die Unterstützung der hier noch starken Gewerkschaften bauen.

Macrons Versuch wichtige »Reformvorhaben« per Verordnungen am Parlament vorbei in Kraft zu setzen, um Fakten zu schaffen und die Gegner_innen seines politischen Kurses zu demotivieren, scheitert dieser Tage an der einheitlichen Front der Aktivist_innen der Gewerkschaften. Gerade die »Bahner« (frz.: cheminots) haben mit ihren ersten zwei Streiktagen, an denen sie den Bahnverkehr im Lande fast komplett stilllegten, und damit für ein Verkehrschaos sorgten, auch anderen Gruppen Mut gemacht. Inzwischen wird die Streikbewegung der »cheminots« durch andere Gruppen des öffentlichen Dienstes unterstützt. Besonders die Müllwerker_innen verschaffen sich dieser Tage Gehör. Auch in den Krankenhäusern brodelt es aufgrund der harten Sparmaßnahmen der Macron-Administration. Jene Milliarden Euro, die dem Staatshaushalt aufgrund der Steuergeschenke für die reichsten Französ_innen fehlen, sollen durch Austerität im öffentlichen Sektor wieder hereingeholt werden.

Die Studierenden begehren auf, die politische Linke reorganisiert sich

Doch auch Schüler_innen und Studierende sind mobilisiert. Reihenweise werden Fakultäten besetzt. Grund ist ein neues Gesetz zur Regelung des Hochschulzugangs. Dieses gibt den Universitäten, im Gegensatz zur aktuellen Situation, die Möglichkeiten Studierende abzuweisen, die die von den Fachbereichen aufgestellte Kriterien nicht erfüllen. Gerade für Abiturient_innen, die Fachoberschulen besucht haben, und häufig nicht aus bürgerlich-akademischen Haushalten stammen, sind diese Hürden kaum zu überwinden und der Besuch einer Universität unmöglich. Schließlich sollen auch nicht alle die Universität besuchen können, wie Staatspräsident Macron schon im Sommer 2017 betonte. Klassenverhältnisse sollen also durch »soziale Auslese« im Bildungssystem zementiert werden. Dies wird von vielen jungen Französ_innen abgelehnt. Schließlich machen heute 80 Prozent eines Jahrgangs in Frankreich ihr »Bac« (Anmerkung: das Baccalauréat ist das Pendant zum deutschen Abitur) nicht, um ihre Bildungskarrieren mit Schmalspurausbildungen enden zu sehen.

Macrons Versuch, in kürzester Zeit Frankreichs sozial- und wirtschaftspolitisches System von Grund auf neu auszurichten, erhält dieser Tage also einen Dämpfer. Selbst der regierungsnahe Fernsehsender BFM.TV musste nach der ersten großen Streikwelle der Eisenbahner_innen einräumen, dass »der erste Satz« an die Gewerkschaften gegangen sei, denn auch die öffentliche Meinung wendet sich aktuell gegen die Regierungspolitik.

Der gefühlte Sieg auf Seiten der Linken ist so groß, dass selbst die in Neuordnung befindliche Linke durch die sozialen Proteste wieder zusammenfindet. So haben Vertreter_innen aller linken Kräfte (die auf wenige Parlamentssitze reduzierte und Macron-affine Restsozialdemokratie hielt sich fern) eine Erklärung unterzeichnet, die ein gemeinsames politisches Vorgehen gegen die Reformpolitik des Präsidenten ankündigt. Eine politische Großdemonstration, welche die sozialen Kämpfe der Gewerkschaften ergänzen soll, ist für den 5. Mai geplant. Macron könnte also ein heißer Frühling ins Hause stehen.

Geschrieben von:

Sebastian Chwala

Politikwissenschaftler

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