Trotz GroKo: Was heißt eigentlich #SPDErneuern?
Der Ausgang des SPD-Mitgliederentscheids ist nicht das Ende – weder der Sozialdemokratie noch der Debatte um deren Erneuerungsfähigkeit. Die Frage, wie das gehen könnte, wird kaum mit einfachen Merksätzen zu beantworten sein. Die Suche nach besseren Ideen läuft aber auch nach der GroKo-Abstimmung. Ein erster Überblick.
Die Ergebnisse des SPD-Basisvotums waren kaum veröffentlicht, da wussten viele Beobachter schon ganz genau, was die 66 Prozent Ja-Stimmen zu bedeuten haben. Die einen priesen die »staatspolitische Verantwortung« und lobten die Logik »erst das Land, dann die Partei«. Andere wussten nun (abermals), der endgültige Untergang der SPD stehe unmittelbar bevor. Das schloss maue Witzchen a la »Auf zum letzten Gefecht« ebenso ein wie Einladungen aller Art an die GroKo-Kritiker. Vor allem Grüne und Linkspartei twitterten Links zu ihren Eintrittsformularen, und auch das Gespenst einer Sammlungsbewegung stieg einmal mehr über den Köpfen auf. Die Linkspartei, kommentierte der Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi das SPD-Ergebnis, stehe nun »bereit mit all jenen«, die »einen sozialen Aufbruch wollen, etwas Neues zu beginnen«.
Etwas Neues? Das Bedürfnis danach ist zweifelsohne da, was erst einmal ein Urteil über den Zustand, die Exponenten und das programmatische Angebot der bestehenden Parteien ist. Was ist der Grund? Georg Diez hat auf Spiegel online dazu die hier bei OXI und anderswo schon vertretene These des Form-Substanz-Problems noch einmal angesprochen: »Was gerade geschieht, ist eine grundsätzliche Neusortierung des Parteienspektrums, und die wird auch noch eine Weile anhalten. Was viele so unsicher macht, ist der Umstand, dass sie das spüren, aber nicht weit genug nach vorne blicken können, um zu sehen, was kommt.« Das wirft unter anderem die Frage auf, ob sich Erneuerung vor allem oder zuerst innerhalb bestehender organisatorischer Formen abspielen wird oder durch bzw. im Zuge einer Neuzusammensetzung.
Was in- und außerhalb der SPD machbar ist?
Einer der prominentesten GroKo-Kritiker der SPD, der Abgeordnete Marco Bülow, hat vor ein paar Tagen die Gründung einer »Progressiven Sozialen Plattform« angekündigt, im »Freitag« hat er dazu gesagt, »im Augenblick geht’s mir darum, was in- und außerhalb der SPD machbar ist. Ich bin bereit, mit jedem zu sprechen, aber nicht über irgendwelche« Angebote einer Sammlungsbewegung, die zum Teil auch eher als Linkspartei-Aktionen zum Abgrasen der Enttäuschten in SPD und Grünen verstanden werden. »Mir geht es um eine Zusammenarbeit progressiver Kräfte gerade außerhalb des Bundestages und der Parteien. Darum werden wir eine entsprechende Plattform gründen«, sagt Bülow. Kommenden Mittwoch wissen wir mehr darüber – aber es zeigt, wie schwierig die Balance zwischen »im alten Parteiensystem nach Lösungen suchen« und »es wird sich neu zusammensetzen« derzeit ist.
Was Bülow zu den programmatischen Hürden einer Erneuerung sagt, ist schon hundertmal aufgeschrieben: »Ungleichheit bringt Zukunftängste hervor und zerstört Perspektiven. Wenn wir das in den Mittelpunkt stellen, brauchen wir uns vor einer rechten Partei nicht zu fürchten. Und darum kann es jetzt auch nicht einfach um die Erneuerung der SPD gehen, sondern es muss um die Frage gehen, wie wir es schaffen, Ungleichheit, Armut und soziale Gerechtigkeit endlich ins Zentrum zu stellen.«
Und wie formulieren andere nun die aktuelle Herausforderung innerhalb der demokratisch-sozialistisch-ökologischen Matrix?
Warum Kühnert als Parteichef kandidieren sollte?
»Etwas fehlt – nämlich eine Idee, wie es mit der SPD weitergehen kann«, schreibt Stefan Reinecke in der »Tageszeitung«, und sucht eine Antwort innerhalb der bestehenden Form: »Der einzige, der derzeit eine Gegenentwurf verkörpern kann, ist Kevin Kühnert. Deshalb wäre es folgerichtig, wenn Kühnert als Parteichef kandidierte«, so Reinecke. »Das würde die Schwäche des linken Flügels nicht kurieren. Es würde die SPD nicht zu dem machen, was sie werden muss: eine energische Kraft für Umverteilung. Aber man sollte auch die Wirkung von Symbolen nicht unterschätzen.«
Reinecke glaubt zudem, dies »ist die Stunde der SPD-Linken. Die ist in einem kläglichen Zustand. Sie ist nach außen nicht kampagnenfähig und zieht intern bei Postenvergaben regelmäßig den Kürzeren gegen den lauten, gutorganisierten, rechteren Seeheimer Kreis. Viele moderate SPD-Linke sind nur noch in Details von dem Rest der Partei zu unterscheiden, die Radikaleren, Entschlossenen haben eine Neigung zum Einzelkämpferischen und zum Kleingärtnertum.« Dennoch meint Reinecke: »Aber nur dieser trümmerhaft anmutenden Truppe kann der Balanceakt gelingen, der nun nötig ist: Die SPD nach links zu rücken, während sie mit Seehofer regiert.«
Die Frage bleibt aber immer noch: Was heißt das eigentlich – die SPD nach links rücken? Man kann natürlich mit Parolen um sich werfen a la »wieder die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner vertreten« (man fragt sich, was mit den Interessen der anderen ist, aber das ist eine andere Debatte). Man hat damit aber noch nicht beantwortet, was die programmatischen Eckpfeiler sein müssten und wie diese (also: durch welche Gegenwartsanalyse) überhaupt aufrecht stehen.
Keine SPD-Antworten auf die zentralen Zukunftsfragen
Joachim Bischoff hat in »Sozialismus« einen Hinweis gegeben: »Keines der Probleme der SPD wird gelöst, wenn die Partei jetzt in die Regierung eintritt und als Juniorpartner der Union die Kanzlerschaft von Angela Merkel um weitere vier Jahre verlängert. Nicht die programmatische Orientierungslosigkeit, nicht die Vertrauenskrise der SPD-Führung und auch nicht die fehlende sozialdemokratische Zielsetzung bei der Gestaltung des Kapitalismus«, schreibt er.
Das sagen viele. Bischoff kommt dann aber auf den entscheidenden Punkt: »Die SPD hat keine Antworten auf die zentralen Zukunftsfragen der krisenhaften kapitalistischen Gesellschaft. Die Parteiführung müsste den Aufbruch wagen und ausgetretene programmatische Wege verlassen. Es geht zunächst um mehrheitsfähige Antworten einer Regulation und Transformation des finanzgetriebenen Kapitalismus in der Partei, und dann um die Erweiterung der Perspektive der Umgestaltung auf die gesamte Gesellschaft.« (Bischoff glaubt übrigens nicht, dass diese Antworten woanders besser vorliegen würden: »Auch von Links, dem Spektrum neben der Sozialdemokratie, wird es nur wenig Impulse geben. Die Pulverisierung der kapitalismuskritischen Kräfte und deren Ideenlosigkeit bilden kein Unterstützungspotenzial. Die Linkspartei verkriecht sich hinter der blassen Fiktion einer linken Sammlungsbewegung.«)
Diese Erweiterung der Perspektive der Umgestaltung müsste aber beginnen mit einer Analyse des Wegs bis hierher, in diesen Kladderadatsch hinein: »Die SPD steckt seit Jahren in einer strategischen Sackgasse. Wie der Großteil der europäischen Sozialdemokratie (Blair-Schröder-Papier) ging auch die Partei in den 1990er Jahren auf eine Position des Neoliberalismus light über – Deregulierung, Privatisierung, Entfesselung der Subjektivität – mit der Konsequenz der Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zugunsten des Kapitals«, so Bischoff. »Seit Jahren verfolgt die SPD eine Strategie der Korrekturen der Macht- und Verteilungsverhältnisse durch Einzelprojekte: Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse. Diese Politik eines systemimmanenten Gemischtwarenladens überzeugt allerdings offenkundig immer weniger.«
Müsste die SPD ihre eigene Tradition hinter sich lassen?
Also eine neue große Erzählung? Aber woher soll die kommen und wer soll sie tragen? Alfred Pfaller hat bereits vor dem Bekanntwerden des Ergebnisses des SPD-Mitgliederentscheids auf ein paar schwierig zu knackende Nüsse hingewiesen. Eine lautet: »Sozialdemokratische Politik ist, bei aller Gerechtigkeitsrhetorik, nicht darauf angelegt, die sozial polarisierenden Dynamik des post-Wohlfahrtskapitalismus wirklich zu entkräften. Sie betreibt Gerechtigkeitspolitik ›mit Augenmaß‹ und ist letzten Endes doch auf die etablierte Arbeitnehmermitte hin orientiert, die auch ohne Sozialdemokratie zurecht kommt.«
Daraus kann man aber kaum einfach den Schluss ziehen, die SPD müsste »bloß« wieder zurück zu einer Partei, die das Bestreben der gesamten Arbeiterklasse nach angemessener Teilhabe in der kapitalistischen Lohnarbeitsgesellschaft wirksam verkörpert. Erstens, weil aus der Klasse eine vielgestaltige Menge geworden ist, Pfaller spricht von »unterschiedlichen Interessengemeinschaften und unterschiedlichen Subkulturen«. Zweitens lässt sich in eine Frage kleiden: »Möglich, dass die Mechanismen der heutigen, auf Lohnarbeit basierenden Erwerbsgesellschaft grundlegend zu erneuern wären«, so Pfaller, aber ist die Sozialdemokratie auch die Partei, die »als Avantgarde einer solchen, ihre eigene Tradition entschlossen hinter sich lassenden Erneuerung« tätig werden kann?
Dies verweist auch auf die Veränderungen in den ökonomischen Voraussetzungen sozialer Integration unter den Bedingungen eines globalen Kapitalismus, durch den gerade eine neue Welle technologischer Durchdringung zieht. Marc Saxer hat dazu auf Facebook einige Anmerkungen gemacht, was die inhaltlichen Probleme der SPD angeht – und er zeigt, wie tiefgreifend die Erneuerung gehen müsste.
Epistemologisches Update: Weg von Zombieparadigmen?
Der Schlüssel zu einem neuen Aufbruch liege »auf der Ebene der Paradigmen. Es ist Zeit, sich von alten Gewissheiten zu verabschieden, die, obwohl längst als falsch erkannt, noch immer das Handeln der Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anleiten.«
Saxer nennt einige Beispiele, »allen voran das Zombieparadigma, dass freie Märkte zu Wohlstandsgewinnen für alle führen. Wie viele Finanzkrisen braucht es, damit dieser Untote verschwindet? Aber auch die Illusion, dass unbegrenzter Ressourcenverbrauch auf einem begrenzten Planeten möglich sei. Oder dem Irrglauben, dass das Zusammenstreichen der Staatsausgaben zu Wirtschaftswachstum führen könnte. Auf den Müllhaufen der Geschichte gehört auch die Prophezeiung, freie Marktwirtschaft und liberale Demokratie seien rund um den Erdball auf dem Vormarsch. Oder die fixe Idee, Privatunternehmen wirtschafteten effizienter als der öffentliche Sektor.«
Daraus leiten sich zwei Fragen ab. Die erste dreht sich darum, warum »sich diese Paradigmen so hartnäckig, obwohl sie sich vor aller Augen als falsch erwiesen haben«. Saxer findet seine Antwort hier in einem »epistemologischen Update«. Dies müsste dann aber auch politisch »übernommen« werden, also zu Inhalt und Ziel sozialdemokratischer Politik aufsteigen.
Denn laut Saxer beruht die gegenwärtige Programmatik der Sozialdemokraten »auf einer Reihe von Grundannahmen, die sich allesamt als falsch erwiesen haben« – eben diesen, die er da beispielhaft nennt. Daraus kommt man nicht durch das, was Bischoff eine »Strategie der Korrekturen der Macht- und Verteilungsverhältnisse durch Einzelprojekte« nennt. Auch Saxer glaubt daher, »dass die Erneuerung der Sozialdemokratie nicht auf der Ebene der Sachpolitiken gelingen kann, weil diese Ebene sich zwangsläufig innerhalb der angeblichen Sachzwänge des Status Quo bewegen muss. Eine echte Erneuerung muss dagegen an den Grundlagen ansetzen, und die Sachpolitiken daraus ableiten.«
Ein neues Godesberg, diesmal von links her gedacht?
Das läuft auf eine programmatische Neufindung der SPD hinaus, wenn man es »in der alten Form« denkt. Sozusagen: ein neues Godesberg, diesmal von links her formuliert. Sucht man die Antwort dagegen schon in einer neuen Form, bliebe die Herausforderung der Substanz aber ebenso bestehen. Denn: Ganz egal wie man das nennt, was da kommen könnte, wird es sicher nicht dadurch schon neu und wirksam, dass man die verlorenen Möglichkeiten vergangener Zeiten noch einmal bemüht.
An anderer Stelle hatte der Autor das so formuliert: »Auch auf europäischer Ebene wäre die Rückkehr zur guten alten sozialdemokratischen Zeit keine Lösung, wenn nicht gleichermaßen die globalen Folgen der Produktions- und Konsumweisen des Nordens angegangen werden. Denn auch das sozialdemokratische Modell alter, nationalstaatlicher Form basierte auf der Ausbeutung des Südens: seiner Ressourcen, seiner Natur, seiner Menschen. Das muss bei dem heute erreichten Niveau von Produktivität und globalem Reichtum nicht unbedingt Verzicht hierzulande bedeuten. Klar sollte aber sein: Eine solidarische Alternative für die Zukunft wird nicht funktionieren, wenn sie die Fehler der Vergangenheit wiederholt.«
Die Debatte um die Erneuerung von Analyse, Strategie, Realpolitik und utopischem Überschuss in der sozialdemokratischen Matrix hat gerade erst begonnen.
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