Spielraum trotz Schuldenbremse: Berliner Ökonomen-Papier unterstützt Schulbauoffensive
Die Berliner Schulbauoffensive steht in der Kritik – es laufe auf Privatisierung hinaus. Ökonomen und Wirtschaftspolitiker der Linkspartei halten nun dagegen: Man müsse die real existierenden Spielräume der Schuldenbremse in den Bundesländern nutzen.
Was tun, wenn die Schuldenbremse öffentliche Investitionen erschwert? Und können Öffentlich-Öffentlichen-Partnerschaften beim Umgehen von austeritätsgetriebenen Blockaden helfen? Die Frage stellt sich gerade in Berlin am Beispiel des Schulbaus. Kritiker sehen hierin »eine massive Schulprivatisierung«. Warum?
Was die Kritiker sagen
Neubauvorhaben sollen an die Wohnungsbaugesellschaft Howoge übertragen werden, die zwar im Landeseigentum stehe, aber als GmbH dem Privatrecht unterliege, weshalb man von einer »formellen Privatisierung« reden müsse. Kritiker sprechen sogar von einem »rot-rot-grünen Präzedenzfall«, in Lokalzeitungen ist von einem »Taschenspielertrick« die Rede. Eine Volksinitiative »Unsere Schulen« hat Unterschriften gesammelt, aktuell wird ein Antrag auf Anerkennung als Volksinitiative nach Abstimmungsgesetz geprüft. Und im »Tagesspiegel« wurde schon vor einigen Monaten »für eine öffentliche Debatte darüber, was des Staates (und also der Schulen) ist – und was nicht« plädiert.
Die Debatte wird nun mit einer ausführlichen Wortmeldung aus dem Gesprächskreis Wirtschaftspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung fortgesetzt. Sebastian Dullien, Dierk Hirschel, Jan Priewe, Sabine Reiner, Daniela Trochowski, Axel Troost, Achim Truger und Harald Wolf skizzieren in dem Papier »die kontraproduktive Wirkung der Schuldenbremse« und stellen »am Beispiel des Berliner Schulbaus die Vor- und Nachteile einer Kreditfinanzierung außerhalb des Kernhaushalts im Rahmen von Öffentlich-Öffentlichen-Partnerschaften (ÖÖP)« vor.
Der Schuldenbremse Spielräume abtrotzen
Fazit: »Bei Abwägung aller Argumente plädieren wir für eine offensive Ausnutzung der trotz der Schuldenbremse weiterhin vorhandenen Spielräume, insbesondere durch ÖÖP, wohl wissend, dass dies von vielen politischen Akteuren als Aufruf zur Bildung von Schattenhaushalten und als verantwortungsloser Verstoß gegen die Schuldenbremse denunziert wird. Zugleich werden beispielhaft für Berlin konkrete Anforderungen an ÖÖP-Modelle diskutiert, wie Transparenz und parlamentarische Kontrolle.«
Hier wird schon ein wichtiger Unterschied zur Argumentation der Kritiker deutlich – diese sprechen von einem Einbezug von Privatinvestoren, also von ÖPP. »In Berlin wurden ÖPP-Projekte daher 2016 in der Koalitionsvereinbarung von SPD, Linken und Grünen ausgeschlossen«, so das Papier aus dem Gesprächskreis Wirtschaftspolitik.
Öffentlich-Öffentliche-Partnerschaften werden dagegen »als gangbarer Weg« bezeichnet: »Statt ÖPP sollen bei der Sanierung und dem Neubau von Berliner Schulen – wie bereits in Hamburg – ÖÖP-Modelle erprobt werden, und zwar im Umfang von 1,5 Milliarden Euro der in den nächsten zehn Jahren insgesamt für diesen Zweck veranschlagten 5,5 Milliarden Euro. Der entscheidende Unterschied zu ÖPP liegt darin, dass private Investoren außen vor bleiben. Es fließen somit keine Gewinne in deren Taschen.«
Die rechtliche Konstruktion sei zwar »identisch mit sogenannten ÖPP-Mietkaufmodellen«. Private seien »aber nur als Fremdkapitalgeber der HoWoGe involviert. Die Kreditaufnahme der HoWoGe ersetzt die Emission von Landesanleihen bei einer konventionellen Baumaßnahme«, worin die Autoren, darunter in Berlin lehrende Ökonomen wie Dullien und Truger, gewerkschaftliche Wirtschaftspolitiker wie Hirschel und Vertreter der Linkspartei, auch den »Hauptnachteil dieses Modells« sehen: die Zinskostendifferenz zwischen niedrigeren Zinsen der Landesanleihen und den höheren Kreditkosten im Rahmen eines ÖÖP-Mietmodells. Diese Differenz könne zwar vermindert aber nicht gänzlich überwunden werden, das Papier spricht hier von »Kosten der Schuldenbremse«.
Eine Frage von Mehrheiten, die sich ändern können
Eingegangen wird auch auf den Vorwurf von Kritikern, es handele sich hier um eine »Privatisierung durch die Hintertür«, da nach der formalen Privatisierung später auch eine materielle folgen könne, etwa »wenn die HoWoGe verkauft oder private Investoren an den Schulen beteiligt würden«. Dazu schreiben die Autoren, »es stimmt, dass historisch die formelle Privatisierung der materiellen oftmals vorausgegangen ist. Richtig ist aber auch, dass die Berliner Haushaltsordnung schon jetzt Vermögensverkäufen von Landesgesellschaften enge Grenzen setzt. Alle relevanten Verkäufe von Tochtergesellschaften, Vermögenswerten oder Grundstücken unterliegen einem Parlamentsvorbehalt. Letztlich sind aber politische und gesellschaftliche Mehrheits- und Kräfteverhältnisse entscheidend, ob öffentliches Eigentum – egal ob in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts oder GmbH – verkauft wird oder nicht. Mehrheiten können sich immer ändern, unabhängig vom konkreten ÖÖP-Modell.« Je nach dem, wie solche Mehrheiten sich ändern, sei es denkbar, dass auch Schulen in direktem Landeseigentum privatisiert würden; dies stelle so wenig eine absolute Grenze dar wie »eine Privatisierungsbremse in der Landesverfassung, wie sie von der Linkspartei ins Spiel gebracht wurde« – diese könne zwar »für eine Privatisierung eine extreme hohe Hürde darstellen. Aber auch eine solche Verfassungsregelung wäre grundsätzlich wieder aufhebbar«.
Parlamentarische Kontrolle und Transparenz
Auf den Einwand der Kritiker der Schulbauoffensive, der den Verlust an parlamentarischer Kontrolle und Transparenz betrifft, gehen die Autoren des Papiers ebenfalls ein. »Auch dieses Argument ist gewichtig«, heißt es da mit Blick auf Erfahrungen, nach denen »die Steuerung von Landesbeteiligungen, egal ob privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich aufgestellt«, gezeigt haben, wie hoch die Hürden in der Praxis liegen – durch Gesetze, gesellschaftsrechtlich Regelungen, Geheimhaltungskulturen. »In einem ÖÖP-Modell stellt sich die Vertraulichkeit jedoch anders dar als beispielsweise bei der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg, die im Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht«, heißt es dazu in dem Papier. Hier könne mehr Transparenz und Öffentlichkeit möglich werden, dafür sei »unter Umständen eine Änderung der Landeshaushaltsordnung und des Gesellschaftervertrags der HoWoGe« nötig. »Solche Transparenzklauseln wären eine hilfreiche vertrauensbildende Maßnahme der Politik, um deutlich zu machen, dass es um die Eröffnung von Handlungsspielräumen geht und nicht um die Privatisierung der Schulinfrastruktur.« Die Autoren verweisen auf die Offenlegung der Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, die durch den massiven Druck eines erfolgreichen Volksbegehrens erfolgte. Dies habe »aufgezeigt, dass mehr Transparenz gewagt werden kann und sollte«.
Für die Autoren des Papiers stellt sich auch das Argument des Berliner Senats als überzeugend dar, »dass eine Zentralisierung des Schulbaus und auch die Einbindung von Generalunternehmern nötig sind, um durch modulare Systembauweise und Typisierung Skaleneffekte und eine Beschleunigung der Bauverfahren zu ermöglichen. Wie bereits für den Übergang geplant, würde das Land Berlin die HoWoGe mit dem Bau beauftragen und aus dem Kernhaushalt die Mittel zur Verfügung stellen.«
Weiter heißt es dann: »Auf das Mietmodell und die Übertragung der Grundstücke könnte jedoch verzichtet werden, da die HoWoGe keine eigenen Kreditmittel aufnehmen und somit auch die Schulen nicht im Anlagevermögen buchen müsste. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass der bauliche Unterhalt und das Facility Management bei den Bezirken verbleiben sollen.«
Schuldenbremse »ökonomisch gar nicht zu rechtfertigen«
Die Position der Autoren des hier referierten Papiers stehen sozusagen zwischen den Fronten. Auf der einen Seite die Kritiker, die hier von einer Privatisierung sprechen, auf der anderen Seite jene, denen die Ausnutzung von Spielräumen im Zeitalter politisch betonierter Schuldenbremsen schon zu viel ist. Die zu erwartende Kritik aus dem Kreise der letztgenannten Gruppe wird in den Papier zurückgewiesen: »Die Kreditaufnahme bei der HoWoGe stellt keine Umgehung der Schuldenbremse dar, vielmehr steht sie vollkommen im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes.«
Der entscheidende Punkt ist ein politischer, ist, was bei diesem Modell herauskommen kann, was sonst nicht möglich wäre: umfassender Schulneubau. »Die negativen Konsequenzen der Schuldenbremse werden neutralisiert oder wenigstens abgemildert«, schreiben die Autoren und weiter: »Es ist sinnvoll, die Nutzung des Spielraums, den die Regelung im Grundgesetz bietet, politisch offensiv zu kommunizieren. Denn die Vorteile überwiegen. Durch die vorgeschlagenen ÖÖP-Regelungen können in Berlin trotz Schuldenbremse Zukunftsinvestitionen in großem Stil realisiert werden.« Auf dem skizzierten Weg würde es nicht zu einem langfristigen Anstieg der Verschuldung Berlins kommen (da die Kredite der HoWoGe innerhalb von 25 Jahren zurückgezahlt werden müssen). Und auch das Nettovermögen des Landes würde wachsen (da die reale Nutzungsdauer weit über dem bilanziellen Abschreibungszeitraum liegt).
Auch die »Berliner Zeitung« hat das Papier aufgegriffen: »Die eher links ausgerichtete Gruppe«, heißt es da mit Blick auf die Zusammensetzung der Autoren, stehe »mit ihren Zweifeln an der Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse nicht allein. Auch Ökonomen aus ganz anderen Lagern haben sich für andere Modelle ausgesprochen. In der Politik wird diese fachliche Debatte so gut wie nicht aufgegriffen.« Und das, obwohl sich die Einführung der Schuldenbremse »ökonomisch kaum oder gar nicht rechtfertigen« lasse. Die bisherige Bilanz der Schuldenbremse zeige, »dass es seinen Preis hat, wenn die Politik sich derart über fachliche Bedenken hinwegsetzt«.
Foto: Joachim Müllerchen / CC BY 2.5
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