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Abgasskandal? Sprechen wir lieber vom Autoskandal

25.04.2016

Abgasbetrug, Elektromotor, Auto als mobiler Computer oder fahrender Roboter – immer steht das Auto im Mittelpunkt. Dabei gibt es nur einen Fortschritt: Das Auto muss abtreten.

Nur ein Mobilitätssystem ist vernünftig und taugt für die Zukunft, in dessen Mittelpunkt leistungsfähige, komfortable öffentliche Verkehrsmittel stehen, sowohl für die Ballungsräume als auch für den Fernverkehr. Alle Energien sollten deshalb in den Ausbau und die Digitalisierung des öffentlichen Verkehrs gesteckt werden.

Natürlich spielen Busse, Kleinbusse und Großraumautos auch darin eine Rolle: für den kleinräumigen Verkehr, für den Verkehr in ländlichen Regionen. Effizient gesteuert mit allen Möglichkeiten, welche die Digitalisierung bietet: Ich bestelle ein Auto für heute, 14.30 Uhr, und erhalte kurz danach Bescheid, wann es genau kommt und wann ich meinen Zielort erreiche. Das wird dann ein Kleinbus sein oder ein Großtaxi, für das ständig die jeweils effizienteste Strecke berechnet wird. Die künftige Rolle des Auto: dienend und nicht herrschend, randständig und nicht zentral. Ein Konzept, mit dem wir uns von dem Wahnsinn von 44,4 Millionen zugelassenen Autos in Deutschland (2016) befreien könnten. Im Jahr 2008 waren es noch 41 Millionen.

Bürgerticket – einsteigen und losfahren

Was alles getan werden könnte und müsste, zeigen diese wenigen Beispiele: Bürgerinitiativen haben zusammen mit dem Trierer Verkehrsforscher Heiner Monheim das Konzept eines Bürgertickets erarbeitet. Jede Bürgerin, jeder Bürger zahlt pro Jahr 400 Euro und erhält dafür ein Jahresticket, bundesweit für alle Busse und Bahnen. Einsteigen und losfahren. Das wäre eine Art Zwangsabgabe für alle; unklar ist noch, inwieweit das Ticket sozial gestaffelt werden würde. Mit weiteren Abgaben, beispielsweise einer Nahverkehrsabgabe für Unternehmen, wie es sie in Frankreich bereits gibt, würden, so der Plan, insgesamt 100 Milliarden Euro pro Jahr mobilisiert, um den öffentlichen Verkehr deutlich auszubauen. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat das Konzept 2014 untersucht und als machbar qualifiziert. Vergleichbare Modelle eines attraktiven ticketlosen Nahverkehrs haben beispielsweise in Berlin im vergangenen Jahr die Grünen, die Linke und die Piraten vorgeschlagen.

Vorbild Wien, Vorbild Schweiz

Dass in Deutschland noch einiges getan werden muss, belegen Zahlen des Hamburger Beratungsunternehmens SCI: Danach investierte Deutschland in den vergangenen Jahren zwischen 50 und 60 Euro pro EinwohnerIn in die Bahn. In der Schweiz sind es in der Regel 350 und in Österreich 250 Euro. Die Stadt Wien ist ein Beleg dafür, wie systematisch über viele Jahre hinweg ein komfortables und leistungsfähiges Nahverkehrssystem aufgebaut werden kann. Ein Jahresticket kostet dort gerade noch 365 Euro. 700.000 WienerInnen besitzen eines – 700.000 von 1,8 Millionen EinwohnerInnen.

Das alles ist in Deutschland kein Thema. Weder die Politik noch die Autohersteller arbeiten an solchen kollektiven Verkehrsnetzen, nur machtlose Umweltgruppen tun das. Visionen und die Macht, diese in der Öffentlichkeit zu einem Thema zu machen, haben andere. Die Techniksoziologin Sabine Pfeiffer stellt dazu in einem Interview mit OXI fest: »Es ist doch sehr bemerkenswert, dass heute große Visionen, egal wie ich sie bewerte, von den Unternehmensberatungsfirmen kommen und nicht von linken Parteien und Gewerkschaften oder anderen gesellschaftlichen Kräften.« Das Interview zum Thema Industrie 4.0 und zur Zukunft der Autobranche erscheint in wenigen Tagen auf oxiblog.de.

Die Absurdität des autonomen Autos

Wie absurd die jetzt eingeschlagene Politik ist, zeigen einfache Überlegungen. Die Autobauer preisen den Komfort ihrer künftigen autonomen Elektroautos: Die fahren selbst und finden selbst ihre Parkplätze. Es werde weniger Unfälle geben, weil Computer nicht müde oder unaufmerksam werden wie der Mensch. Es werde weniger Staus geben, weil der Computer die Routen effizienter auswählen kann, deshalb werde auch die Abgasbelastung sinken. Diese Autos seien so gebaut, dass der Fahrgast bequem arbeiten, lesen oder Filme schauen könne. Wenn es dann einmal so weit ist, haben die Autohersteller mit einem gigantischen Aufwand an Geld, Ressourcen und Kompetenz genau das erreicht, was seit langem bereits jede und jeder machen kann, der oder die einen Zug oder eine S-Bahn benutzt. Diese Fortbewegungsmittel sorgen bereits seit vielen Jahren für: weniger Unfälle, weniger Staus, weniger Abgase. Und öffentliche Bahnen schleppen nicht den Rattenschwanz an neuen Problemen mit sich wie das autonome Auto: Wer ist verantwortlich bei Unfällen? Wer speichert (und missbraucht möglicherweise) die Daten zu welchem Zweck?Immerhin kommt die Datenerhebung, die bei der Fahrt mit autonomen Autos betrieben wird, einer Totalüberwachung gleich. Wer haftet und wer versichert wen für was?

Auch sonst bleibt Misstrauen angesagt: So wird auffällig wenig über die möglichen Gefahren der Herstellung der in Elektroautos verwendeten Lithium-Ionen-Batterien gesprochen. Wenn es doch zu Unfällen kommt: Welche Chemikalien werden dann freigesetzt? Wie gefährlich sind sie für Mensch und Umwelt? Fest steht: Es braucht sehr große Strommengen für deren Herstellung. Also ist entscheidend, woher der Strom kommt. Der Elektromotor ist deshalb nur dann umweltfreundlich, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt und nicht beispielsweise aus Kohlekraftwerken.

Alle drei Jahre ein neues Auto kaufen?

Und wie schnell wird das durchdigitalisierte Autos veraltet sein? Ein Mercedes soll heute im Idealfall bis zu 30 Jahre fahren. Nur etwa alle sechs Jahre präsentiert der Hersteller in einer Serie ein neues Modell. Aber wer benutzt schon ein sechs Jahre altes Handy? Die Politik der digitalen Konzerne ist darauf ausgerichtet, dass die KundInnen am besten jedes Jahr ein neues Handy und alle zwei Jahre einen neuen Laptop kaufen. Wie kommt die ständig erneuerte Software in die autonomen Autos? Oder ist es künftig angesagt, alle zwei bis drei Jahre ein neues Auto zu kaufen?

Weltweit stecken die Konzerne Geld und Ressourcen ohne Ende in diese Vorhaben: Apple arbeitet an einem autonomen Auto, ebenso Google, Tesla, Nissan und alle Autofirmen. Sicher: Alles soll ein bisschen effizienter werden. Lastwagen sollen auf Autobahnen künftig untereinander vernetzt (Platooning) fahren. Und es gibt Carsharing. Mit entsprechenden Angeboten, etwa car2go des Daimler-Konzerns, reagieren die Unternehmen wenn auch halbherzig auf einen Trend in jüngeren Generationen. Zumindest bei denen, die in Städten leben, hat der Besitz des Autos seine Bedeutung verloren, es ist kein Statussymbol mehr. Dass es sich hier unverändert um kleine Gruppen handelt, zeigen die ständig steigenden Zulassungszahlen. Die Carsharingangebote sind also allenfalls minimale Schritte der Autokonzerne in die richtige Richtung, um am alten Prinzip festhalten zu können: mit dem Autowahn noch möglichst lange möglichst viel Geld auf Kosten der Gesellschaft zu verdienen.

Die Debatte muss politischer werden

Wie eine neue Technik eingesetzt wird, das ist eine Frage von Macht. In den 1980er Jahren warb die IG Metall dafür, die Autofirmen mögen sich zu Mobilitätsunternehmen weiterentwickeln und Konzepte erarbeiten, in denen Autos eine Rolle spielen, aber eben nur eine und nicht unbedingt die wichtigste. Passiert ist nichts.

Bei der Frage, wie das künftige Verkehrssystem aussieht, geht es um diese Alternative: Setzen sich egoistische Unternehmensinteressen durch oder die der Gesellschaft? Wer in Deutschland heute das Sagen hat, zeigte sich beim Krisenmanagement in Folge der Finanzmarktkrise 2008/2009: Vor allem aufgrund des Einflusses der Autobranche und der IG Metall wurde eine nicht nur ökologisch, sondern auch sozial absurde Abwrackprämie auf den Weg gebracht. Wer ein neues Auto kaufte, erhielt einen Zuschuss. Zur Alternative stand eine Initiative des damaligen Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Dieser hatte vorgeschlagen, dass alle Hartz-4-Haushalte einen energiesparenden Kühlschrank erhalten sollten – sowohl unter sozialen wie ökologischen Aspekten sinnvoll. Er wurde ausgelacht. Wenn die Automobilbranche mit der IG Metall zusammen etwas will, bekommt sie es. Kein Wunder: Die Statistik sagt, jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hänge direkt oder indirekt an der Autobranche.

Geschrieben von:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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