Wirtschaft
anders denken.

Wie finanziert sich eigentlich der Staat?

16.08.2021
Eine Auktion an einem HafenBild: Public Domain, LinkStaatsanleihen werden wie normale Waren versteigert

Kaum jemand weiß um die genaue Finanzierung des Staates, doch liegt in Staatsanleihen der Kern unseres Finanzsystems. Über Mythen und Vorurteile der Geldpolitik Teil 1.

Die ideologiekritisch gemeinte Begründung für diesen Text liegt darin, dass es keinen Bereich in der Wirtschaftspolitik gibt, der so von Vorurteilen und verfestigten Mythen geprägt ist, wie die Frage der Finanzierung der Staaten über die Aufnahme von Krediten, anders gesagt die Verschuldung der Staaten auf den Finanzmärkten. Das hat mehrere Gründe. Einmal ist die Mehrheit der deutschen Ökonomen/innen von ordoliberalen Glaubenssätzen oder von der neoklassischen Gleichgewichtsutopie (Märkte tendieren von sich aus zum Gleichgewicht) geprägt, was auch für die große Mehrheit des Wirtschaftsjournalismus gilt. Zweitens gibt es eine spezifisch deutsche Inflationsangst, die gerade bei Eingriffen des Staates in gesamtwirtschaftliche Kreisläufe aktiviert wird. Drittens werden die Zusammenhänge von Geld- und Kreditschöpfung in den meisten Lehrbüchern sachlich falsch dargestellt. Eine Ausnahme ist hier Peter Bofingers „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“, wo in der letzten Ausgabe von 2020 diese Prozesse richtig dargestellt werden. Daher halte ich es für wichtig, dass es der politischen Linken gelingt, in diesen Fragen wieder Anschluss an das internationale Niveau der makroökonomischen Diskussion zu gewinnen.

Wie werden Staatsanleihen auf den Markt gebracht? Durch Tenderverfahren, also eine Auktion, die von der Finanzagentur des Bundes im Auftrag des Finanzministeriums eingeleitet wird. Die Staatsanleihen werden einer Bietergruppe von 36 großen Geschäftsbanken angeboten. Wer das beste Angebot, also den günstigsten Zins, bietet, kann die Staatsanleihen kaufen. Diese Ebene wird als Primärmarkt bezeichnet. Auf dem Sekundärmarkt bieten diese Geschäftsbanken die Staatsanleihen anderen Käufern an. Das sind andere Banken, Fonds, Versicherungen, auch Privatpersonen. Eine wichtige Rolle spielen hier Pensionsfonds und Geldmarktfonds. Auf diesem Sekundärmarkt wird mit diesen Staatsanleihen gehandelt.

Wie bezahlen die 36 Geschäftsbanken die Staatsanleihen? Mit Zentralbankgeld, dass sie auf ihren Konten bei der nationalen Zentralbank halten, in Deutschland also bei der Bundesbank im Europäischen System der nationalen Zentralbanken, dass durch die EZB gesteuert wird. Jede Geschäftsbank hat ein Konto bei ihrer nationalen Zentralbank. Über dieses Konto laufen alle Transaktionen mit der Zentralbank und alle Transaktionen mit anderen Geschäftsbanken.

Wie werden Staatsanleihen bezahlt? Mit Zentralbankgeld, dass die Geschäftsbanken von ihrer Zentralbank erworben haben. Yannis Varoufakis hat in der SZ vom 29./30.5. auf die Frage, wo das Geld der Investmentbanken herkommt, gesagt: Von der Federal Reserve, von der EZB. „Seit Beginn der Pandemie sind 9 Trillionen Dollar gedruckt worden, 9 Trillionen in 14 Monaten“. Das Geld, das sich die Staaten über Staatsanleihen besorgt haben, um die wirtschaftlichen Kreisläufe zu stabilisieren, kommt von den Zentralbanken, nicht von privaten Investoren auf den Finanzmärkten. An die werden die Staatsanleihen weiterverkauft. Anders wäre es nicht möglich gewesen, so viel Geld in so kurzer Zeit zu mobilisieren. Faktisch haben wir daher eine monetäre Staatsfinanzierung durch die Zentralbanken. Diese ist der EZB europarechtlich nur untersagt, wenn sie direkt auf dem Primärmarkt Staatsanleihen kaufen würde, wie dies andere nationale Zentralbanken machen. Auf dem Primärmarkt kaufen diese aber Geschäftsbanken. Die EZB bzw. ihre nationalen Zentralbanken kaufen Staatsanleihen nur auf dem Sekundärmarkt – sie kaufen die Papiere den Geschäftsbanken und den Finanzinvestoren wieder ab. Ihr systematischer Kauf ist der Kern der unkonventionellen Geldpolitik der großen Zentralbanken. Dieses Instrument wurde in der großen Finanzmarktkrise 2008 von der US Fed in großem Stil angewandt und die EZB hat es 2010 als mögliches Instrument angekündigt, jedoch nicht umgesetzt, so dass es in der sog. Eurokrise zu hohen Abweichungen (Spreads) zwischen den Zinsen auf deutsche Staatsanleihen und den Zinsen auf griechische, italienische, irische u.a. Staatsanleihen gekommen war.

Erst Mario Draghi hat in dieser „What ever it takes”-Rede 2012 angekündigt, gegebenenfalls davon Gebrauch zu machen und hat dadurch diese hohen Aufschläge auf den deutschen Zinssatz nach unten gedrückt. Wenn mit Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gehandelt wird, bilden sich Kurse. Sinken die Kurse, so steigen die Renditen. Für die Wertpapiere hoch verschuldeter Länder ist das Risiko sinkender Kurse hoch, werden solche Staatsanleihen getilgt, so passiert das durch die Ausgabe von neuen Staatsanleihen. Diese werden aber nur gekauft, wenn ein höherer Zins angeboten wird. Die EZB nimmt dadurch Staatsanleihen aus dem Handel, so dass deren Kurs nicht fallen kann bzw. ihre Ankündigung Staatsanleihen zu kaufen, sorgt dafür, dass die Kurse stabil bleiben. Durch diese Praxis sind die Spreads zwischen deutschen und griechischen Staatsanleihen sehr gering geworden und der griechische oder italienische Staat kann weiter Anleihen ausgeben und die Zinsen bezahlen.

Geschrieben von:

Michael Wendl
Michael Wendl

Mitherausgeber von »Sozialismus«

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