Wirtschaft
anders denken.

Start-ups! Welche Start-ups?

04.06.2022
Drei Männer sitzen in typischer Atmosphäre von Start-ups vor Laptops und lachenFoto: Priscilla Du PreezStart-ups: Spaß haben und (keine) Gewinne machen?

Sobald das Mittel der Gewinnerzielung den alleinigen Sieg davonträgt, korrumpiert es das Geschäftsmodell. Aus OXI 5/22.

Start-ups sind en vogue. Wohin man auch sieht: in der Wirtschaftsförderung, klar, aber auch in der Verwaltung, die nun unternehmerisch handeln soll, oder an Schulen und Hochschulen. Selbst in der Berufsausbildung, die der Sehnsucht nach erwerbswirtschaftlicher Selbstständigkeit eher unverdächtig ist, führt kaum noch ein Weg daran vorbei, kompetent zu werden für die eigenen »intrapreneurial opportunities«. Ein Verein ohne »entrepreneurial spirit«? Undenkbar! »Probleme sind dafür da, gelöst zu werden. Unternimm was, leg los! Die Welt gehört den Tätigen!« Vermutlich noch nie wurden wir so überfrachtet mit Kalendersprüchen und Psychologisierungen, welche gleichermaßen Elend und Erfolg auf den Schultern einer und eines jeden abladen. Komme, was wolle. Andererseits: Über Probleme zu reden, ist das eine. Etwas gegen sie zu unternehmen, ist etwas anderes. Da ist schon etwas dran.

Die Start-up-Gesellschaft liegt voll im Trend. Denn an Problemen, gegen die etwas unternommen werden sollte, mangelt es nicht, siehe den immer wahrscheinlicher werdenden Klimakollaps, die lokalen wie globalen Ungerechtigkeiten und die souveräne Sturheit der politischen Register, an diesen Missständen etwas grundlegend zu ändern. Es sollte etwas unternommen werden, das steht außer Frage. Und jede Unternehmung muss früher oder später auch gestartet werden. Wie gut also, dass es Start-ups gibt. In Start-ups wird der kulturelle Wunsch zu Wege gebracht, dass die Welt morgen eine andere sein soll. Wachstum, Fortschritt und Veränderung; Transformation hier und Disruption da. Die Innovativitätsskala ist nach oben offen. Einzig: Wir kommen nicht vom Fleck. Warum ist das so?

Wenn es um Start-ups geht, scheiden sich rasch die Geister. Für die einen sind sie Garant für Innovationen und Selbstbestimmung. Das liegt auf der Hand, denn irgendwo muss das Neue herkommen. Und die bestehenden Organisationen fallen da eher selten positiv auf. Dass gute Ideen in bürokratischen Mühlen klitzeklein gemahlen werden, sind Erfahrungen, die viele in die berufliche Selbstständigkeit treiben. Für die anderen hingegen sind Start-ups die Fratze des Kapitalismus, der Inbegriff einer auf Selbstsucht und Selbstoptimierung getrimmten Gesellschaft. Solche Lagerbildungen sind nachvollziehbar. Sie sind jedoch nicht sonderlich klug. Denn sie sind blind für die Nuancen, die Widersprüche und damit letztlich dafür, dass die Dinge auch ganz anders möglich sind. Das ist ein Problem. Denn beide Positionen haben recht. Und beide schütten das Kind mit dem Bade aus.

An Start-ups ist zunächst nichts falsch. Wenn eine Person allein oder mit anderen es für problematisch befindet, wie wir gesellschaftlich mobil sind, sich sodann selbst für die Lösung verantwortlich fühlt und in der Folge ein Unternehmen gründet, um zum Beispiel das Fahrrad neu zu erfinden, dann ist das gesellschaftlich nur zu begrüßen. Denn es zeigt sich darin, wie es um die demokratische Verfasstheit dieser Gesellschaft steht, welche Verwirklichungschancen und welche Möglichkeiten zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Selbstgestaltung es gibt. Es zeigt sich darin auch, was dieser Gesellschaft denkmöglich wird, was als Problem wahrgenommen und welche Wege zur Lösung entworfen werden. Start-ups sind eine diagnostische Praxis. Sie stellen eine kulturelle Diagnose und bieten eine dazugehörige Perspektive an. In der Sache kann und sollte über beides gestritten werden, aber bis hier hin ist alles richtig.

Falsch wird es, wenn es zu einer Verwechslung von Zweck und Mittel kommt. Und zerstörerisch wird es, wenn das als Zweck getarnte Mittel sich als Sinn zu behaupten sucht und aus der Möglichkeit zur Gründung ein Zwang wird. Diese drei Begriffe müssen wir klären, um die Verwirrungen entwirren zu können: Ein Fahrradhersteller ist dafür da, Fahrräder herzustellen. Das ist der Zweck der Unternehmung. Dieser Zweck ist orientiert an einem Sinn, zum Beispiel eine Gesellschaft, die ihren öffentlichen Raum gerecht verteilt und allen Menschen Möglichkeiten zur selbstbestimmten Mobilität eröffnet oder eine gesunde Gesellschaft oder eine sportliche oder, oder, oder. Wenn die beteiligten Personen gut in dem sind, wofür sie da sein wollen, nämlich Fahrräder herzustellen, können sie Gewinne erwirtschaften. Das müssen sie bis zu einem gewissen Grad sogar tun, um ihren Zweck erfüllen zu können, das heißt, auch weiterhin Fahrräder herzustellen. Gewinne zu erwirtschaften ist ein Mittel zur Erreichung des Zwecks der Unternehmung. »Its not personal, Sonny. Its strictly business.«

Problematisch wird es nun, wenn sich das Mittel der Gewinnerzielung als Zweck in den Vordergrund spielt. Heute geschieht das allenthalben. Wir haben uns kulturell weitestgehend daran gewöhnt, dass Unternehmen, also auch unser Fahrradhersteller, angeblich dafür da sind, Gewinne zu machen, und es sich dabei um ein Naturgesetz handelt, ähnlich dem der Schwerkraft. Diese Behauptung wurde durch die Mafia verbreitet. Sie ist falsch, und sie ist verheerend zugleich. Denn nun geht es nicht mehr um die Neuerfindung des Fahrrads um einer gesunden, sportlichen oder selbstbestimmt mobilen Gesellschaft willen, sondern um die Steigerung der Rendite. Die Folgen für etwa die Arbeitsbedingungen oder die Produktqualität sind bekannt. Weite Teile der Fahrradhersteller beziehen ihren Stahl aus China, die meisten produzieren die gesamten Rahmen dort. Das erzeugt nicht nur lange Wertschöpfungsketten mit massiv externalisierten Kosten in Bezug auf Naturzerstörungen und Arbeitsbedingungen. Es erzeugt auch geopolitische Abhängigkeiten.

In Zeiten des schrecklichen Krieges in der Ukraine wächst das Bewusstsein hierzulande, was es für katastrophale Folgen hat, wenn wir Wirtschaft im Geiste der Mafia als einen vermeintlich apolitischen Austausch von Gütern und Dienstleistungen begreifen – und in der Folge Geschäfte machen mit autokratischen Regimen. »Its strictly business«. Tagein, tagaus. Seit Jahrzehnten, auch ohne Krieg in unseren Nachrichten. Woher stammt das Öl für die Verbrennungsmotoren auf unseren Straßen? Woher die Seltenen Erden für all das technische Gerät, ohne welches wir zunehmend weniger mit uns anzufangen wissen? Woher kommen die Hölzer, woher die Steine, in denen wir leben und auf denen wir gehen? Woher die Nahrung, die wir uns einverleiben? Die modernen Gesellschaften des industrialisierten Nordens haben großes Geschick darin entwickelt, das Leid und das Elend unsichtbar zu machen, vom welchem nahezu unsere gesamte materielle Daseinsvorsorge abhängt.

Sobald das Mittel der Gewinnerzielung den alleinigen Sieg davonträgt, korrumpiert es das Geschäftsmodell und die Strategien von Unternehmen: Brötchen schmecken nach Pappe und Tomaten nach Wasser, Verlage publizieren nur noch, was ankommt, und technische Geräte geben von sich aus den Geist auf. Das, wofür ein Unternehmen einst gestartet wurde, verliert zunehmend an Bedeutung. Form sticht Inhalt, auch im Feld der Start-ups: Unternehmen werden als kurzfristiges Investment gegründet. Nach kurzem Aufbau lassen sich die Gründer:innen ausbezahlen und ziehen sich vollständig zurück. Unserem Fahrradhersteller geht es dann nicht mehr um eine gesunde, sportliche oder gerechte Gesellschaft. Es geht ihm noch nicht einmal mehr um Fahrräder.

Insofern ist es nur unterschiedlich verkürzt, Start-ups kategorisch zu feiern oder zu verteufeln. Sie können genauso Teil der Lösung wie Teil des Problems sein. Es gibt sie als eG und als AG. Manche helfen, die Krisen der Gegenwart zu bewältigen, andere reproduzieren sie. Die einen agieren solidarisch und kooperativ, die anderen selbstsüchtig und kompetitiv. Erst dann, wenn wir Sinn, Zweck und Mittel sortieren, können wir uns ein begründetes Urteil bilden. Wer nach Start-ups ruft, sollte also zuallererst klären: Über welche Start-ups reden wir eigentlich?

Geschrieben von:

Lars Hochmann steht mit einem dunkelblauem Polo-Shirt vor einer Wand mit Graffiti
Lars Hochmann

Ökonom

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