Wirtschaft
anders denken.

Mythos und Realität der Steuerbelastung von Reichen

Die Veröffentlichung der Panama-Papers brachte vor allem diejenigen auf den Plan, die denken, dass Reiche zu viele Steuern bezahlen. Ein Gespräch mit Michael Hartmann, Reichtums- und Elitenforscher.

14.04.2016
Foto: Sven Ehlers
Michael Hartmann ist Eliten- und Reichtumsforscher. Bis 2014 war er Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Seine Studien zum Sozialprofil und zu den Karrierewegen der Eliten in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Justiz zeigen, wie exklusiv der Zugang in die oberen Etagen der deutschen Gesellschaft organisiert ist.

Rainer Hank und Georg Meck, Wirtschaftsredakteure der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), argumentieren in einem Text (FAS, 10. April 2016) über die Panama-Papers, vor allem die Reichen brächten die hohen Steuereinnahmen in Höhe von etwa 600 Milliarden Euro pro Jahr auf, nicht der Kleine Mann. Konkret sagen sie: »Zehn Prozent der Reichsten finanzieren bekanntlich fünfzig Prozent der Einkommenssteuer.« Stimmt das?

Hartmann: Ja, das stimmt. Sie müssen jedoch wissen: Diese zehn Prozent erhalten aber auch fast 40 Prozent aller Einkommen. Und: Die Lohn- und Einkommensteuer trägt etwa ein Drittel zum gesamten Steueraufkommen bei. Fast genauso viel trägt die Umsatz- oder Mehrwertsteuer bei. Diese Steuer belastet die Haushalte besonders stark, die einen hohen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel, den Alltag ausgeben müssen. Das heißt konkret: Das obere Zehntel kostet diese Steuer nur gut fünf Prozent ihres Einkommens, das untere Zehntel dagegen über 14 Prozent.

Das obere Zehntel kostet die Mehrwertsteuer nur fünf Prozent ihres Einkommens, das untere Zehntel über 14 Prozent.

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Wie haben sich in den letzten 20 Jahren die Anteile der Lohn-, Einkommens- und Körperschaftssteuer am Gesamtsteueraufkommen entwickelt?

Der Anteil der Lohn- und Einkommensteuer ist in der Tendenz kontinuierlich gesunken; ungeachtet aller konjunkturellen Schwankungen. 1980 lag der Anteil am Gesamtsteueraufkommen noch über 40 Prozent, heute ist es noch ein Drittel. Der Anteil der Körperschaftsteuer, also die Steuer, die die Unternehmen bezahlen müssen, zeigt tendenziell dieselbe Entwicklung. Seit Mitte der 1990iger Jahre verringerte sich der Anteil um ungefähr ein Drittel auf heute nur noch drei Prozent. Die Umsatzsteuer, die die sogenannten unteren und mittleren Schichten besonders belastet, hat demgegenüber seit 1980 massiv zugelegt: von weniger als 20 Prozent auf fast ein Drittel. Die Belastung hat sich also zu Ungunsten der mittleren und ärmeren Bevölkerungsteile verschoben. Das wird auch deutlich, wenn wir das Aufkommen der Abgeltungsteuer mit dem der Tabaksteuer vergleichen. Die Abgeltungssteuer wird auf Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne erhoben. Die Tabaksteuer hat einen Anteil von 2,3 Prozent am gesamten Steueraufkommen, die Abgeltungsteuer nur einen Anteil von 1,2 Prozent. Die Raucher leisten also einen höheren Beitrag zum Steueraufkommen als die Besitzer von Geld- und Aktienvermögen.

Die Raucher leisten also einen höheren Beitrag zum Steueraufkommen als die Besitzer von Geld- und Aktienvermögen.

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Man vergisst ja so schnell: Was haben die Bundesregierungen und das Parlament seit dem Jahr 2000 beschlossen, um Unternehmen und Reiche zu entlasten?

Es gab eine ganze Reihe von steuerlichen Beschlüssen in diese Richtung. Am wichtigsten sind die folgenden drei. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer wurde seit Ende der 1990er von 53 auf nur noch 42 Prozent (inklusive „Reichensteuer“ 45 Prozent) gesenkt. Der Körperschaftsteuersatz wurde mit der Unternehmenssteuerreform 2008 von 25 auf 15 Prozent reduziert. Die 2009 in Kraft getretene Abgeltungssteuer sorgt dafür, dass Zins- und Dividendeneinnahmen nur noch mit 25 Prozent versteuert werden müssen statt mit dem individuellen Einkommensteuersatz. Für Wohlhabende und Reiche macht das einen enormen Gewinn aus.

Was wurde in diesem Zeitraum beschlossen, um Unternehmen und Reiche zu belasten?

Eigentlich überhaupt nichts. Einzig die sogenannte Reichensteuer für Einkommen von über 250 000 Euro für Ledige von drei Prozent könnte man hier nennen. Sie verringert aber auch nur die Senkung des Spitzensteuersatzes ein wenig. Die normalen und vor allem die unteren Einkommen sind dagegen mit der 2007 in Kraft getretenen Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent spürbar stärker belastet worden.

Die FAS-Redakteure sagen zudem: Die Schätzungen des Ökonomen Thomas Piketty, „wonach den Staaten durch Steuerflucht 130 Milliarden Euro jährlich verlorengehen“, seien „völlig übertrieben“. Stimmen Sie dem zu?

Nein. Piketty liegt mit seiner Schätzung in dem Bereich, den auch andere Studien nennen. Die Zahlen bewegen sich dabei zwischen 100 und 190 Mrd. Euro.

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