Wirtschaft
anders denken.

Steuern sind schlecht, sagt man

15.09.2016
Foto: Rina H. / photocase.deRettung in der Steueroase, wo die Steuerlast bei Null liegt.

Es stand im Spiegel: Es zeichne sich ab, »dass Steuerentlastungen eines der wichtigsten Themen im Bundestagswahlkampf werden.« Was ist daran suggestiv? Elisabeth Wehling weiß Bescheid.

Der Steuerflüchtling rettet sich in die Steueroase, wo die Steuerlast bei Null liegt. Mensch, da jagt eine Metapher die andere durch den Wüstensand. In einer Demokratie werden die Menschen ohne Pistole auf der Brust beeinflusst – nicht auf das Kaliber, auf die Kommunikation kommt es an. Themen so setzen, dass viele darüber reden, die eigene Deutung in den Vordergrund schieben, so wird Einfluss und Macht erzielt. So gehören zum Handwerkszeug von Politikern, Managern und Verbandsfunktionären: Körperhaltung, Gestik, Glaubwürdigkeit, Gefühle, Botschaften, Argumente, Fakten, Verständlichkeit, Sprache. In dem Wortschatz, der für öffentliche Auseinandersetzungen in der Regel eingesetzt wird, und den jeweiligen vorherrschenden Deutungen der Begriffe steckt das momentane Bewusstsein der Gesellschaft.

Es ist kein Zufall, dass von Kommunikationsarbeit die Rede ist.

Tim Cook, CEO Apple, im Steuerparadies

Wir alle verwenden beinahe automatisch das Wort Steuererleichterungen. Was sind Steuern also? Eine Last. So gilt die Regel: Je niedriger die Steuern, desto entlasteter sind die Bürger. Der Spiegel schreibt – siehe oben – von »Steuerentlastungen«. Von hier aus ist der Weg zur Steuerbefreiung und damit zur großen Freiheit nicht weit. Tim Cook, der Vorstandsvorsitzende von Apple, hält sich in dem jüngsten Streit mit der EU mit solchen Sprachvariationen nicht auf: Die Politik müsse sich entscheiden, ob sie Arbeitsplätze schaffen oder Steuern eintreiben wolle. Der ist also schon in dem »Steuerparadies«, wo sehr geringe oder gar keine Steuern bezahlt werden.

In diesem alltäglichen Sprachgebrauch spiegelt sich mindestens der halbe Sieg der Gegner von Staat und Sozialstaat: Steuern werden negativ gedeutet, man will sie abschütteln, loswerden. Dabei könnten wir sie in einen positiven Deutungsrahmen setzen. Denn mit höheren Steuerbeiträgen zum gemeinsamen Gesellschaftsleben wäre der Staat, also wir alle, in der Lage, bessere Schulen, Krankenhäuser, Verkehrssysteme und Bibliotheken zu bauen.

Aus der Weltsicht der Anderen ausbrechen

Dieses Beispiel zeigt, wie mit Sprache politische Angelegenheiten gedeutet werden und dies in unsere Gehirne dringt. Elisabeth Wehling hat mit George Lakoff bereits 2008 das Buch »Auf leisen Sohlen ins Gehirn« vorgelegt und sich auch damit einen Namen gemacht. Sie arbeitet wissenschaftlich in den USA »an Forschungsprojekten zu den Themen Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung mit Methoden der Neuro- und Verhaltensforschung sowie der kognitionslinguistischen Diskursanalyse, so der Klappentext; das klingt nach gründlicher Arbeit. Sie arbeitet also zu diesen Fragen mit wissenschaftlichem Anspruch. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht damit nicht eine Kommunikation, die sich der Beweisführung bedient, um möglichst nahe der Wirklichkeit oder wenigstens der einen Wahrheit zu sein. Sie arbeitet über die politische Kommunikation, die auf Überzeugung oder gar auf Überrumplung ausgerichtet ist, deren Akteure sich durchsetzen wollen, um Einfluss und Macht zu gewinnen. Es geht also um eine politische Sprache, die beispielsweise der Schweizer Schriftsteller Max Frisch als »Herrschaftssprache«, als »Trugsprache« definierte. Der Sprachwissenschaftler Josef Klein, der viele Jahr Politolinguistik lehrte und diese prägte, schrieb vor Jahren: »Sprache ist eine mächtige Lenkerin, die Denken, Empfinden und Werten in einer Weise vorprägt, von der man sich oft nur durch Erfahrung oder erhebliche geistige Anstrengung befreien kann.«

… wie eine mythische Macht

Schlüsselwörter wie beispielsweise Globalisierung oder soziale Marktwirtschaft stehen für einen großen Diskurs, in dem wiederum viele Deutungen einen Platz haben; aber dieses Wort setzt einen Rahmen. Klein: »Die Globalisierung, ein Wort ohne Plural, klingt wie eine mythische Macht.« Geeignet, um den Willen zur politischen Gestaltung zu lähmen.

Was prägt unsere Sprache im Alltag und wie prägen wir – ohne viel nachzudenken – sie selbst? Und welche Folgen hat das? Jüngst legte Elisabeth Wehling ihr Buch Politisches Framing vor. Wehlings Forschungen belegen, wie stark Frames unser Denken, Fühlen und sogar Handeln beeinflussen, manchmal bestimmen. Und wie entscheidend dabei die Sprache ist. Wenn die Krisenpolitik der EU unter dem Begriff »Euro-Rettungsschirm« steht, dann haben die Krisenmanager, können sie den Begriff in der öffentlichen Debatte durchsetzen – was sie konnten -, schon so gut wie gewonnen. Warum das so ist, steht übrigens auf Seite 44 des Buches. Eine ihrer wichtigen Erkenntnisse: Wer sich den Frame des Anderen zu eigen macht, der kann reden, was er will, der kann vehement widersprechen und den anderen mit Zahlen widerlegen – er zappelt letztlich nur in dem Frame des anderen und bestätigt diesen.

Steuerflüchtling – der Arme

Also: Wer gegen Steuererleichterungen wettert oder gegen Steueroasen, der kann sich politisch gleich die Kugel geben. Die Konsequenz daraus: Der anderen Weltsicht die eigene entgegensetzen. Wehling geht von der These aus: In politischen Auseinandersetzungen entscheiden nicht Fakten, sondern die gedanklichen Deutungen, in welche die Fakten eingebettet sind; in der kognitiven Wissenschaft wird der Deutungsrahmen eben »Frame« genannt. Denn es sei erst die Deutung, »die Fakten … eine Bedeutung verleihen«. Steuerflüchtling! Der Arme. Der böse Staat verfolgt ihn. Eine andere Deutung: der Kriminelle.

Welche Deutung eine Person sich zu eigen macht, hängt von ihren persönlichen Erfahrungen, dem aktuellen Erleben ab, von ihren Ideen und Gefühlen, von dem, was wichtige Freunde oder Arbeitskolleginnen sagen, von dem was in den konsumierten Medien im Vordergrund steht. Wenn überall zu lesen und zu hören ist, der Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze und stiftet keinen Nutzen, niemand in der eigenen Umgebung widerspricht, dann werden alle Informationen, die diese Person zu dem Thema Mindestlohn aufnimmt, entsprechend dieser negativen Deutung gewichtet: positive Nachrichten gering, negative hoch. Sei ein Frame im Gehirn einmal aktiviert, so leite er »unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merken«, sagt Wehling.

Wie lesen alt macht

Was aktivieren Sie an Ideen, an Wissen, wenn Sie das Wort »Hammer« lesen, fragt Wehling ihre LeserInnen? Wehling geht aufgrund ihrer Forschungen davon aus, dass das Gehirn nicht nur Wissen aktiviert, sondern auch Bewegungsabläufe vorbereitet: in diesem Fall den Vorgang, um einen Hammer einzusetzen.

Noch einen ihrer Befunde: Teilnehmer eines Versuches lesen einen Text, der vom Alter handelt, von körperlichen Gebrechen, Vergesslichkeit und Vergreisung, der sich aber wohlgemerkt: nicht mit dem Thema Geschwindigkeit beschäftigt. Sie verlassen anschließend langsamer den Raum und das Gebäude als andere Teilnehmer.

Wehling erläutert ihre wissenschaftlichen Befunde anhand von zahlreichen Beispielen aus dem Alltag, was gerade Laien die Lektüre nicht nur erleichtert, sondern richtig spannend macht; meist Beispiele aus dem Wirtschaftsleben, aber auch aus den Bereichen der Religion und der Gesellschaftspolitik. Sie stellt interessante Fragen, beantwortet sie, fasst die Antworten noch einmal kompakt zusammen. Und »dass uns nur 2 Prozent unseres Denkens bewusst sind«, bringt sie uns schonend bei.

Die uneingeschränkte Empfehlung: Zugriff, reinschauen.

Das Buch von Daniel Baumann und Stephan Hebel, der eine Redakteur und der andere Autor der Frankfurter Rundschau, ist als politisches Lexikon angelegt. Die Autoren analysieren in knappen Texten etwa 40 gängige Begriffe, vor allem aus der Politik und Wirtschaftspolitik – von »der schwarzen Null« über das »Anspruchsdenken« und das scheue Reh« bis zur »Zinsenteignung«. Welche Interessen stecken hinter diesen Begriffen, was verbergen sie, worauf zielen sie ab. Ihr Wunsch: das Buch möge »ein kleiner Beitrag  dazu sein, das erschreckend eindimensionale Denken und Handeln in unserer politischen Öffentlichkeit aufzubrechen«. Sie verstehen sich als »Begleiter für alle, die die Sprache der Macht durchschauen wollen«.

Elisabeth Wehling, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Verlag Halem, Köln, 2016, 222 Seiten, 21 Euro

Daniel Baumann und Stephan Hebel, Gute-Macht-Geschichten. Politische Propaganda und wie sie sie durchschauen können, Verlag Westend, Frankfurt, 2016, 248 Seiten, 16 Euro

Geschrieben von:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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