Wirtschaft
anders denken.

Der Stoff, aus dem die Träume sind

15.02.2017
Kiwifrucht, Querschnitt nahFoto: Quinn Dombrowski / Flickr CC-BY 2.0 LizenzWer eine Kiwi kauft, tritt mit anderen Menschen in Beziehung

Gibt es etwas Anderes als fremdbestimmte Lohnarbeit? Ist nicht jeder ein Träumer, der etwas Anderes will? Man darf ja wohl mal träumen. Fabian Scheidler traut sich.

Wenn ich träume, träume ich nicht von Wirtschaft. Ich träume von Räumen und Landschaften, von Geräuschen, von Menschen mit ihren oft seltsamen Beziehungen und Geschichten. Aus der Traumforschung ist bekannt, dass man im Traum nicht rechnen kann, jedenfalls nicht über das Niveau einer ersten Grundschulklasse hinaus. Das deckt sich mit meinen Selbstbeobachtungen. Im Traum ist der berechnende Mensch abwesend. Wir können uns im Traum nicht vornehmen, einen Konkurrenten durch eine Reihe von Schachzügen auszubooten, um ihn zu überrunden und irgendwo mehr Punkte zu sammeln. Wir können im Traum nicht Mensch-ärgere-dich-nicht oder Monopoly spielen. Ich glaube, dass ich noch nie von Geld geträumt habe – höchstens, dass ich im Portemonnaie vergeblich nach einer Münze kramte. Unser Unbewusstes ist zur Berechnung weitgehend unfähig. Die tiefsten Schichten unserer Existenz und unseres Verhältnisses zur Welt sind nicht ökonomischer Art. Das beginnt schon, wenn wir auf die Welt kommen. Das Verhältnis eines Babys zu seiner Mutter ist kein ökonomisches. Da wird nichts getauscht und nichts gerechnet. The best things in life are free: Liebe, Freundschaft, echte Kreativität, Schönheit. Wouter van Dieren, Autor des Berichtes Mit der Natur rechnen an den Club of Rome, schrieb einmal, dass das Bruttoinlandsprodukt im Himmel gleich null sein müsste, in der Hölle dagegen gigantisch.

Für Kooperation geschaffene Wesen

Über Jahrhunderte ist uns eingeredet worden, der Kern des Menschen sei das unstillbare Verlangen, seinen Vorteil gegenüber anderen zu mehren. Wir wissen längst aus der vergleichenden Anthropologie, dass diese Erzählung ein Mythos ist, erfunden von europäischen Männern, die in ihrem eigenen Leben kaum etwas anderes kennengelernt haben. Menschen sind für Kooperation geschaffene Wesen. Sie suchen manchmal den eigenen Vorteil, oft aber auch ganz andere Dinge. Nun wird man sagen, dass ein Mensch, um zu träumen, um Freundschaft, Liebe, Kreativität und Schönheit erfahren zu können, auch etwas essen muss, ein Dach über dem Kopf haben muss und vieles mehr. In der Tat. Aber muss er, um das bereitzustellen, zu einem berechnenden Wesen werden? Um einen Dachstuhl oder ein Schiff zu bauen, ist zweifellos so etwas wie berechnende Planung nötig. Das ist eine wichtige Fähigkeit unseres Geistes. Aber das bedeutet keineswegs, dass die Beziehungen der Menschen, die das tun, auf Berechnung, auf individueller Vorteilsmaximierung beruhen müssen.

Gibt es denn etwas Anderes als fremdbestimmte Lohnarbeit? Ist nicht jeder ein Träumer, der etwas Anderes will?

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Es ist das große Verdienst von Karl Marx, erkannt zu haben, dass Geld keine Sache ist, sondern ein Symbol für menschliche Beziehungen. Wenn ich eine Kiwi kaufe, trete ich mit anderen Menschen in Beziehung. Irgendjemand hat sie irgendwo angepflanzt, geerntet, verpackt und transportiert. Dieser Mensch hat für mich etwas Wichtiges getan, auch wenn ich sie oder ihn niemals zu Gesicht bekomme. Das Geld verdeckt unsere Beziehung. Es suggeriert, dass ich eine Sache, die Kiwi, gegen eine andere Sache, das Geld, tausche. Die Menschen, mit denen ich eigentlich in Beziehung trete, bleiben dabei unsichtbar. Und das macht einen beträchtlichen Teil der Armut unseres Lebens aus. Die Leere, die der Fetisch des Geldes hinterlässt, weil er unsere Beziehungen zu anderen Menschen verdunkelt, lässt sich auch mit noch so vielen Dingen nicht füllen. Eine den Menschen angemessene, eine menschenfreundliche, eine gerechte Ökonomie muss daher zuerst einmal die Beziehungen, die das Geld verdeckt, sichtbar machen. Selbst der einsamste Mensch wird seine Welt rasch bevölkert sehen, wenn er sich fragt, wer denn den Stuhl, auf dem er sitzt, und den Kaffee, den er gerade trinkt, hergestellt hat. Wenn die Menschen aus dem Nebel, den das Geld schuf, plötzlich hervortreten, wird er sich vielleicht auch fragen, ob dies eine freundliche oder feindliche Begegnung sein wird. Das aber hängt nicht zuletzt davon ab, was die Menschen erdulden und erleiden mussten, um für ihn Stuhl und Kaffee herzustellen. Hat er sich daran beteiligt, den Preis für ihre Arbeit mit allen Mitteln zu drücken? Was hat er selbst gegeben? Und sind hier Dritte im Spiel, die beide Seiten gleichermaßen ausgebeutet und ihre Beziehungen verdunkelt haben?

Wenn ich eine Kiwi kaufe, trete ich mit anderen Menschen in Beziehung, auch wenn ich sie niemals zu Gesicht bekomme.

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Kooperieren statt konkurrieren

An diesem Punkt können sich beide gemeinsam fragen, wie sie diese unsichtbaren Dritten aus ihrer Beziehung herausbekommen. Wie sie aufhören können, gegeneinander um Geld zu konkurrieren, um stattdessen miteinander zu kooperieren. Das scheinen heute vermessene, unrealistische, utopische Fragen zu sein. Gibt es denn etwas Anderes als fremdbestimmte Lohnarbeit? Ist nicht jeder ein Träumer, der etwas Anderes will? Die Frage läuft letztlich darauf hinaus, ob wir in der Lage sind, unsere Lebens- und Tätigkeitsverhältnisse gemeinsam selbstbestimmt zu gestalten. Oder ob wir die Gnade der Arbeit aus den Händen einer mysteriösen, gottgleichen Institution namens Markt von oben empfangen wollen – und von oben auch wieder entzogen bekommen. Es fällt uns selten auf, wie absurd und infantil die Idee ist, dass irgendjemand uns Arbeit gibt. Sind wir nicht mit Händen und Verstand gesegnet, um selbst etwas zu tun? Ist uns nicht die Gabe der Sprache verliehen, damit wir uns miteinander verständigen und Gemeinsames schaffen können? In den 200.000 Jahren, die Homo sapiens auf der Welt ist, haben Menschen den überwältigenden Teil der Zeit genau das getan. Die antiken Marktwirtschaften und der moderne Kapitalismus sind dagegen nichts als kurze Zwischenspiele, auf die wir einst – wenn wir den Kapitalismus überleben – kopfschüttelnd zurückblicken werden.

Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation. Promedia Verlag, Wien 2015.
Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen wählte es zu den »TOP 10 der Zukunftsliteratur 2015«.

Geschrieben von:

Fabian Scheidler

freischaffender Autor

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