Aus der Steckdose
Sinkender Energieverbrauch ist bei stetigem Wachstum schwer denkbar. Wenn es ums Sparen geht, sind die Appelle an die Privathaushalte am lautesten. Aus OXI 4/23.
Seit die Inflation die Energiepreise treibt, wird gespart. Ein vorübergehendes Phänomen. Endete wie durch ein Wunder der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, sänke die Inflation auf gesunde zwei Prozent, wäre also alles irgendwie paletti – nur das Klima nicht –, dann sähe es wahrscheinlich anders aus. Bereits kurz nach Ausbruch des Krieges forderte Wirtschaftsminister Robert Habeck Privathaushalte und Industrie auf, Energie zu sparen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Strom sollte auch fürderhin verlässlich für alle aus der Steckdose kommen, trotzdem wurden seitens der Regierung offizielle Empfehlungen dafür gegeben, wie viele Kerzen und batteriebetriebene Taschenlampen man im Haushalt für den Fall eines Stromausfalls vorhalten sollte.
Die Privathaushalte hörten auf ihren Minister. Drei Monate nach Kriegsbeginn bekundeten bereits 76 Prozent befragter Bürger:innen, ihren Energieverbrauch zu reduzieren, um Geld zu sparen. Vielen würden die steigenden Preise zur existenziellen Krise werden. Denn sparen können nicht alle, sondern nur, wer Reserven hat. Arm ist unglücklich. Auch wenn sich drei Kinder einen Waschlappen teilen können.
Heizen, Warmwasser und Strom, darauf ließ und lässt sich Einfluss nehmen. Bedingt. Denn am Ende zählt natürlich, wie teuer produziert wird, was der Mensch verbraucht. Und welche möglichen Ewigkeitslasten die warme Wohnung, der verlässlich laufende Elektroherd aufbürden – ein Begriff, den die Energiebranche geprägt hat, um die Folgekosten der Produktion zu titulieren, um die sie sich nicht so recht scheren will. Und auch nicht scheren muss. Die Klimafolgeschäden der Kohleverstromung beispielsweise liegen nach Angaben des Bundesumweltamts bei 50 Milliarden Euro jährlich, da sind Gesundheitsschäden durch Abgase aus der Kohleverbrennung noch nicht eingepreist.
Als größte Hürde für individuelle Sparmaßnahmen gaben 51 Prozent der Befragten an, sie fänden es unkomfortabel, in kalten Zimmern zu sitzen und auf das Auto zu verzichten. Darüber ist nicht zu richten, denn dass es auf ewig und immer komfortabel bleiben wird, ist ein Versprechen, das trotz physischer Bedrohung durch den Klimawandel nur selten von der Politik relativiert wird.
Und wer es doch tut, den oder die straft der Untergang. Stattdessen gilt: Wir müssen nur die richtigen Techniken entwickeln und ausbauen – grüner Wasserstoff ist das Erdöl von morgen, titelt das Bundesforschungsministerium –, dann dürfen wir weiterwachsen wie bisher. Die Appelle an die Verbraucher:innen funktionieren also halbwegs. Geräte werden komplett abgeschaltet, wenn sie nicht in Benutzung sind, Energiesparfunktionen finden rege Anwendung, 22 Prozent der Sparwilligen reduzieren die Helligkeit ihrer Bildschirme, fand der Digitalverband Bitkom im vergangenen Frühjahr heraus. Der Präsident des Verbandes, Matthias Hartmann, bekräftigte: »Auch kleine Maßnahmen, die den täglichen Komfort nicht einschränken, können in der Summe einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass das Klima geschützt und die Abhängigkeit von russischen Energieimporten verringert wird.« Schöner lässt sich Neoliberalismus nicht erklären. »Ihr habt es in der Hand, Leute!«
2010 hatte die damalige Bundesregierung das Ziel ausgegeben, den Stromverbrauch bis 2020 um zehn Prozent gegenüber 2008 zu senken. Das Ziel wurde im ersten Corona-Jahr leicht übererfüllt, im Jahr 2021 leicht verfehlt.
In den kommenden Jahren wird der Stromverbrauch im privaten Bereich aufgrund der sogenannten »Sektorenkopplung« (auch ein schönes Wort) wieder steigen. Fahrzeuge, Wärmepumpen zum Beispiel funktionieren auf elektrischer Basis. Hier werden wir mit innovativen Querschnittstechniken beruhigt: Elektromotoren werden effizienter, Druckluftsysteme und Kraft-Wärme-Kopplung helfen, Effizienzstandards für elektrische Geräte greifen, der Anteil der erneuerbaren Energien steigt stetig und soll 2030 bereits 80 Prozent betragen, Emissionen werden gesenkt. Prima fürs Klima. Was nicht ganz falsch ist, obwohl … Nicht eingepreist in diese schöne Zukunft sind die externalisierten Kosten, die anderswo entstehen, etwa durch Zerstörung von Natur für die Gewinnung von Rohstoffen, die man für die schöne E-Mobilität und andere Dinge benötigt.
2021 legte ein Konsortium aus drei Instituten (Prognos, Öko-Institut und Fraunhofer) eine Abschätzung zur Entwicklung des Bruttostromverbrauchs (BSV) bis 2030 vor und berechnete ein Energieszenario: Der Verbrauch steigt demzufolge von 595 Terawattstunden (TWh) 2018 auf 658 TWh. Haupttreiber der Steigerung wären Verkehrssektor, elektrische Wärmepumpen, Erzeugung von Elektrolyse-Wasserstoff und Produktion von Batterien.
2019 betrug der Anteil der privaten Haushalte am Verbrauch von Primärenergie 30 Prozent. Womit wir bei der Wirtschaft wären, auf die entsprechend 70 Prozent entfallen. Das verarbeitende Gewerbe (also alle Unternehmen, die Waren herstellen) verbraucht von diesen 70 Prozent den größten Anteil: 42 Prozent. Und von diesen Unternehmen wiederum steht die Chemieindustrie mit 33 Prozent an der Spitze, gefolgt von der Metallindustrie und den Herstellern von Kokerei- und Mineralölerzeugnissen. Energie meint sowohl Strom als auch Brennstoffverbrauch.
Seit 1995 blieb der Primärenergieverbrauch in fast allen Produktionsbereichen etwa gleich hoch. Obwohl zum Beispiel der spezifische Energieverbrauch für die Herstellung einer Tonne Stahl deutlich sank. Es erhöhte sich also die Effizienz, aber der Verbrauch sank nicht. Weil wir wachsen. Stetig und ständig.
Im Gegensatz zu wohlfeilen Ratschlägen, wie alle in ihren privaten Haushalten am Strom aus der Steckdose sparen können, waren Überlegungen in Bezug auf die Ewigkeitsklausel (und die Ewigkeitskosten) des Wachstumsparadigmas in den vergangenen Monaten nicht zu hören. Jedenfalls nicht laut.
Muss auch nicht. Es wird ja bald die Segnungen der Kernfusion geben. Eine neue Ära der Energiegewinnung beginnt.
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