Wirtschaft
anders denken.

Nur, wenn sich alle jetzt unterhaken

07.03.2024
Stromtrasse und Windrad auf einem FeldFoto: Bild von Reginal auf Pixabay

In der neuen Energiewelt verfangen sich die Branchen nicht selten in den eigenen Netzen. Wie das läuft, ist derzeit bei den Auseinandersetzungen ums klimaneutrale Stromsystem zu besichtigen.

Am besten soll das mit dem klimaneutralen Stromsystem schon vor 2045 in Deutschland funktionieren. Dafür zuständig sind zunächst vor allem die vier Übertragungsnetzbetreiber Tennet, 50 Hertz, Amprion und Transnet BW. In deren Händen liegen die großen Überlandleitungen für Strom.

Die großen Vier bekamen von der Bundesnetzagentur letzte Woche ihren »Netzentwicklungsplan Strom 2037/2045 (2023)« bestätigt. Einen solchen Plan müssen die Netzbetreiber alle paar Jahre vorlegen. Er soll zeigen, wo künftig vordringlicher Bedarf am Ausbau des Übertragungsnetzes besteht.

Es überrascht wenig, dass die Netzbetreiber neue Überlandleitungen für nötig halten. Laut dem Netzentwicklungsplan sollen bis 2045 noch einmal rund 4.800 Kilometer neue Stromleitungen entstehen und rund 2.500 Kilometer vorhandene Leitungen verstärkt werden.

Unter den neuen Trassen sind auch fünf Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Verbindungen (HGÜ), die sogenannten Stromautobahnen, jeweils mit einer Kapazität von 2.000 Megawatt. Vier davon sollen den Norden mit dem Süden verbinden und eine den Nordwesten mit dem Osten. Wo die Leitungen genau anfangen und enden, steht dabei noch nicht fest.

»Für ein klimaneutrales Stromsystem brauchen wir bis 2045 in erheblichem Umfang zusätzliche Stromleitungen«, bestätigt auch Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Der behördliche Stempel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Netzplan zunächst einmal nur eine Wunschliste der großen Stromnetzbetreiber ist, befangen in ihren eigenen Vorstellungen.

Denn wie das klimaneutrale Stromsystem aussehen wird, weiß noch niemand so genau. Dazu hatte das Bundeswirtschaftsministerium eigentlich die »Plattform Klimaneutrales Stromsystem« ins Leben gerufen. Ende 2023 beendete die Plattform ihre Arbeit. Ihre Vorschläge sollen nun in einem parlamentarischen Verfahren weiter diskutiert werden.

Zu dieser Debatte steuerte das Wirtschaftsministerium kürzlich ein entscheidendes Element bei: den Entwurf der Kraftwerksstrategie. Wo sich aber die neuen flexiblen Erdgas-Wasserstoff-Kraftwerke von zusammen 10.000 Megawatt genau befinden werden, wird in den nächsten zwei Jahren erst noch über Ausschreibungen ermittelt.

Derzeit ist also nicht einmal bekannt, wo diese neuen »Backup«-Anlagen für das klimaneutrale Stromnetz stehen werden – die Netzbetreiber wissen aber schon, wo sie welche Leitungen brauchen. Das hört sich irgendwie prophetisch an.

Damit nicht genug, müssen sich die großen Vier neuerdings auch noch mit den großen Zwölf herumschlagen. Rund ein Dutzend Gasunternehmen betreiben derzeit noch das deutsche Ferngasnetz und wollen möglichst viel davon in die Wasserstoff-Zukunft retten.

Strom- und Gasnetze müssen künftig zusammen gedacht werden, weil zu einem klimaneutralen Energiesystem sowohl »grüne Elektronen« als auch »grüne Moleküle« gehören. Für diese sogenannte integrierte Netzplanung starteten Anfang Februar die großen Vier und die großen Zwölf zusammen eine Marktanfrage, um die Anforderungen der Branchen kennenzulernen.

Ein Problem dabei: Den künftigen Bedarf etwa an grünen Molekülen wie Wasserstoff kennt noch niemand genau. So erlaubt das sogenannte Heizungsgesetz den Einsatz von fossilem Erdgas noch bis weit nach 2040. Manche Studien sagen aber auch voraus, dass schon ab 2035 kaum noch fossiles Gas eingesetzt wird.

Beim Wasserstoff stellt sich die Unsicherheit ähnlich dar. Es gibt Studien, die für 2045 einen jährlichen bundesweiten Bedarf an grünem Wasserstoff von 118 Terawattstunden prognostizieren, andere rechnen mit fast 700 Terawattstunden, also ungefähr dem Sechsfachen. Zum Vergleich: Der Erdgasverbrauch in Deutschland lag 2023 bei etwas mehr als 800 Terawattstunden.

In dem einen Zukunfts-Szenario könnte also Ökostrom mehr oder weniger an die Stelle des fossilen Gases treten, in einem anderen ist der Wasserstoff ein fast gleichgroßer Erdgas-Ersatz. Welche Branche da welches Szenario für sich bei den Netzplanungen bevorzugt, richtet sich meist nach der eigenen Befangenheit.

So rechnet sich die Gasbranche derzeit eine recht rosige Zukunft aus. Die Ferngasnetzbetreiber schlagen für 2050 vor, ein Wasserstoffnetz von mehr als 13.000 Kilometern Länge zu schaffen. Davon sollen 11.000 Kilometer auf umgestellten Gasleitungen beruhen. So viel wollen die großen Zwölf von ihrem rund 40.000 Kilometer langen Ferngasnetz auf jeden Fall in die grüne Zukunft mitnehmen.

Neben den großen Auseinandersetzungen ums Netz zeichnen sich beim Strom auch noch kleinere ab. So beschweren sich regionale Netzbetreiber derzeit, überall würden Solar- und Windparks hingebaut, ohne dass die Investoren anfragten, ob diese Parks überhaupt ans Stromnetz kommen können – fachlich gesprochen, ob es einen Netzanknüpfungspunkt gibt.

Kritiker aus der Ökostrombranche halten dem entgegen: Wenn das Netz zum bestimmenden Faktor gemacht werde, dann gehe beim Erneuerbaren-Ausbau gar nichts mehr. Auch würden die Netzbetreiber an den Netzpunkten die Wind- und die Solar-Leistung einfach addieren. Das entspreche nicht der Realität.

Wenn die Sonne voll scheint, weht tatsächlich meist der Wind nicht mit voller Kraft – und nachts sieht es sowieso anders aus. Oftmals ergänze sich die Erzeugung von Wind und Sonne und addiere sich nicht, argumentiert die Erneuerbaren-Branche – und das müssten die Netzbetreiber auch berücksichtigen.

Ganz aktuell deutet sich ein weiteres Netz-Scharmützel an. Außer an den Zukunftsplanungen arbeiten sich die großen vier Netzbetreiber derzeit noch am gültigen Netzbedarfsplan ab. Da sind noch einige der Stromautobahnen fertigzustellen, darunter der Südostlink von Sachsen-Anhalt nach Bayern.

Den nördlichen Teil des Südostlinks baut der Netzbetreiber 50 Hertz. Dessen Chef Stefan Kapferer unternahm jüngst bei einer Energiebranchentagung in Cottbus einen neuen Vorstoß, um diese Trasse statt als Erdkabel doch lieber wieder als kostengünstige Freileitung zu bauen. Würde dies für alle noch ausstehenden Stromtrassen beschlossen, ließen sich 20 Milliarden Euro sparen, warb Kapferer.

Die Zahl bestätigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf der Tagung, warnte aber zugleich vor Neuplanungen der Trassen. Das 2015 gewünschte politische Umplanen von Freileitung zu Erdkabel habe dazu beigetragen, dass man jetzt schon fünf Jahre hinter der Ursprungsplanung zurückliege.

Zwar ließen sich Freileitungen schneller bauen als Erdkabel, räumte Habeck ein. Wolle man zurück zur Freileitung, müsse aber die Gesetzgebung geändert werden. Dem müssten die Bundesländer zustimmen und dürften damit, so Habeck, dann auch nicht drei Jahre warten. Das gehe nur, »wenn sich alle unterhaken und sagen, das machen wir jetzt«.

Das wird wohl nur klappen, wenn alle mal ihre Befangenheiten ablegen.

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