Soziale Vereinzelung, konservative Haltepunkte: eine neue Studie zu den Lebenslagen

Die erste Studie über Lebenslagen machte 2006 große Schlagzeilen – nicht zuletzt wegen des Begriffs »Abgehängtes Prekariat«. Nun gibt es den Nachfolger über die Werte und Konfliktlinien in der deutschen Wählerschaft im Jahr 2017. Ergebnis: die Gesellschaft teilt sich in drei große Gruppen – die Zufriedenen, die Verunsicherten, die Enttäuschten.
Die Studie »Soziale Lebenslagen« ist am Dienstagabend von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vorgestellt worden. »Die aktuelle gesellschaftliche Lage in Deutschland ist durch eine Ambivalenz wirtschaftlicher Stabilität und neuer sozialer und kultureller Unsicherheiten geprägt. Wie kommen die Menschen mit diesen Veränderungen zurecht? Wie bewerten sie die se Entwicklung? Welche Werte und Einstellungen teilen die Bürgerinnen und Bürger, worin unter scheiden sie sich?«, so lauten die Kernfragen der Untersuchung von Rita Müller-Hilmer und Jérémie Gagné.
»Viele Einstellungsmuster bleiben im Zeitverlauf stabil«, heißt es in der Zusammenfassung. Dies gelte etwa für den hohen Stellenwert »Sozialer Gerechtigkeit«. Die Autoren machten aber »auch deutliche Verschiebungen« aus: »Tendenzen der sozialen Vereinzelung haben zugenommen, während zur Kompensation konservative Haltepunkte wie Nationalstolz und Recht und Ordnung an Bedeutung gewinnen. Dazu zeichnet sich eine neue zentrale Konfliktlinie rund um das Thema Migration sowie den Gegensatz zwischen Weltoffenheit und Abschottung ab.«
Typologie hat sich seit 2006 verändert
Sichtbar wird das in einer Typologie, die auf der Vorgängerstudie von 2006 aufbaut und die Wählerlandschaft entlang unterschiedlicher Wertehorizonte sowie unterschiedlicher Einstellungen zu zentralen politischen Konfliktlinien einteilt – innerhalb eines politischen Raums »aus einer sozioökonomischen und einer kulturellen Achse«. Erfasst werden dabei Ansichten »zu Staat und Gesellschaft, Politik, Parteien und Gewerkschaften« sowie »konkrete Lebens- und Arbeitsbedingungen«.
Drei Gruppen zeigten sich dabei stabil: »die Kritische Bildungselite und das Engagierte Bürgertum, die sich im gesellschaftliche Oben sehen, sowie das Abgehängte Prekariat, das für das Unten steht«. In der Mitte habe es aber »erhebliche Veränderungen« gegeben, »dort nehmen Gesellschaftsferne, Unzufriedenheit, Verunsicherung, Abschottung und das Gefühl mangelnder Wertschätzung deutlich zu«. Die Studie macht eine »Dreiteilung der Gesellschaft in zufriedene, verunsicherte und enttäuschte Gruppen« sichtbar, wobei diese Teilung »teils quer zum sozialen Status« verläuft.
Wo die Parteien verloren haben – und wo sie hinzugewannen
Die Debatte dürfte sich zunächst auf die Frage kaprizieren, in welcher der Typen sich welche Parteienorientierung am stärksten zeigt. Auch für die Diskussion in der Linkspartei liegen hier interessante Entwicklungen: So tendiert die kritische Bildungselite mit 31 Prozent am stärksten zur Linkspartei, das »abgehängte Prekariat« neigt am stärksten der Rechtspartei AfD zu. Hier haben sich auch starke Verschiebungen ergeben, die Fragen nach dem Bezugspunkt von Parteipolitik aufwerfen.
»Die beiden großen Volksparteien verloren überdurchschnittlich dort, wo sie 2006 noch am stärksten waren und erreichen heute keine ausgeprägte Bindung mehr an bestimmte politische Typen«, heißt es in der Studie weiter. »Die Union verzeichnet ihre stärksten Verluste in der Gruppe, in der sie ehedem ihren weitaus stärksten Rückhalt hatte. Die SPD-Wählerschaft verteilt sich heute ziemlich gleichmäßig über alle neun politischen Typen, die aber in einigen politischen Grundkonflikten sehr unterschiedliche Erwartungen an die Partei richten.«
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