Suffizienz – zwischen Ermächtigung und Angst
Die Idee der Suffizienz greift um sich, unterscheidet vehement in Anhänger und Gegner und bekommt allmählich politische Bedeutung. Dennoch ist symbolisches Handeln nicht hilfreich.
Suffizienz erscheint meist als Anhang zu Effizienz und Konsistenz. Zwei technische Strategien, um weniger Ressourcen zu verbrauchen, flankiert von Möglichkeiten, wie KonsumentInnen selbst Einfluss nehmen können. Inhaltlich bedeutet Suffizienz die Frage zu stellen, wie viel materieller Konsum in Bezug zu ökologischen Kosten angemessen und verträglich ist. Anders gesagt ist Suffizienz eine Einladung oder Aufforderung, materiellen Verbrauch zu reduzieren, um zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft zu gelangen.
Mittlerweile ist unübersehbar, dass Effizienzgewinne, also Energie- und Ressourceneinsparungen aus technischer Verbesserung, schnell durch Mehrverbrauch verschwinden. Man nennt das Rebound. Wer an einer Stelle spart, gönnt sich an anderer Stelle mehr: Mit dem Drei-Liter-Auto ist der zusätzliche Kurztrip doch kein Problem.
Der Rebound-Diskussion ist zu verdanken, dass es in der Politik mittlerweile zumindest programmatisch Interesse an Suffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie gibt. Dieses Eingeständnis, dass technischer Fortschritt vielleicht doch nicht alles richten und Output vom Verbrauch entkoppeln kann, ist neu. So bekommt Suffizienz allmählich eine politische Bedeutung. Aber schon kündigt sich die nächste Herausforderung an. Denn bisher ist es individuellen Entscheidungen überlassen, ob Konsum reduziert wird, wo und wie stark. Diese Diskussion hat in bestimmten Milieus eine Luxus-Suffizienz hervorgebracht: Reduziert wird in ausgewählten Bereichen, auf einem sehr hohen Verbrauchsniveau und durch Menschen, die Geld gestaltend einsetzen können. Eine Senkung unseres global gesehen viel zu hohen Verbrauchs begrenzter Ressourcen lässt sich aber durch symbolisches Handeln nicht erreichen.
Suffizienz setzt voraus, dass ich weiß und ein Gefühl dafür habe, wann es genug ist.
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Wenn ich genug habe, ist das doch optimal. Genug ist die richtige Menge, nicht zu wenig und auch nicht zu viel. Das verspricht die Idee der Suffizienz. Im deutschen Sprachgebrauch nicht wirklich verankert, zeigt sich die Bedeutung am englischen »it’s sufficient« oder am französischen »cela suffit«. Hier bedeutet Suffizienz Ermächtigung, ich ziehe selber die Grenze, wehre das Zuviel ab. Aber: Als individuelle Entscheidung setzt Suffizienz voraus, dass ich weiß und ein Gefühl dafür habe, wann es genug ist.
Der besorgte Mensch fragt sich: Wenn ich jetzt genug habe, wie lange wird es dann reichen? Und was mache ich danach? Bekomme ich auch später mehr? Sollte ich nicht lieber gleich jetzt mehr nehmen? Und schon führt die schöne Idee der Suffizienz nicht zu Ermächtigung, sondern löst Angst aus. Zumal wir uns umso mehr Gedanken um unsere Versorgung machen, je mehr diese ohne eigenes Zutun, auf Basis anonymer Systeme organisiert ist. Erhitzte Debatten um Fleischkonsum (Veggie-Day, Gesundheitsrisiken von Wurst) und Individualverkehr (Tempolimit, Treibstoffkosten) haben deutlich gemacht, dass schädliche Konsumpraktiken als individuelle Freiheit verteidigt werden. In einem solchen gesellschaftlichen Klima muss es riskant erscheinen, die Forderung nach verbindlich gemachter Suffizienz, nach Suffizienzpolitik zu stellen.
Insofern braucht es Mut, Suffizienz zum politischen Programm zu machen. Es nicht zu tun heißt zu verdrängen. Ich frage mich, ob nur noch mutlose Menschen in die Politik gehen oder ob sie den Mut verlieren, wenn sie Einfluss nehmen könnten. Sicherlich erzeugte es Aufruhr, z. B. eine Begrenzung der Wohnfläche pro Kopf zu verlangen und Mehrverbrauch hoch zu besteuern. Aber der Boden für die Einführung von Verbrauchsobergrenzen wird ja schon bereitet.
Studien liefern Fakten über die Schädigung von Ökosystemen durch Ressourcenvernutzung; Streitschriften bieten Argumente, die den Nutzen von Begrenzungen verdeutlichen; Initiativen zeigen, wie suffizient und gut leben zusammengehen. Jedoch werden diese Ansätze ohne veränderte Rahmenbedingungen nicht ausreichend wirken. Die Chance: Für alle gleiche Bedingungen schaffen, unter denen ökologisch gewirtschaftet wird. Dann wird sich auch herausstellen, welche Bevölkerungsgruppen ihre Konsumpraxis verändern müssen. Und wir werden sehen können, was jetzt den Widerstand gegen Suffizienzpolitik begründet.
Diese Kolumne erschien in OXI 12/2016.
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