Wirtschaft
anders denken.

Keine Definition der Transformation

16.11.2021
Das Gutachten des Sachverständigenrates wird der Bundeskanzlerin übergeben. Im Hintergrund stehen Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz.Foto: Sachverständigenrat

Die Wirtschaftsweisen wollen die Wirtschaft umbauen, dürfen aber nicht sagen wozu. Ein Kommentar zum aktuellen SVR-Gutachten.

Vergangenen Mittwoch, am 10. November, hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung (SVR) – im Volksmund und eigentlich von allen anderen auch die »Wirtschaftsweisen« genannt – sein jährliches Gutachten der Bundeskanzlerin übergeben. Die großen Blätter der Republik sind entzückt: Eifrig titeln sie die angepassten Wirtschaftsprognosen. Das Bruttoinlandsprodukt soll dieses Jahr ein paar Nachkommastellen weniger wachsen als zunächst angenommen, nächstes Jahr dafür stärker ansteigen. Die Gründe scheinen breit diskutiert zu sein: Lieferketten, Arbeitskräfte und so weiter.

Der ideologische Gehalt des SVR-Gutachtens liegt jedoch nicht in den wiederkehrenden Rechenübungen. Die vier Mitglieder des Rates haben für dieses Jahr die Transformation in den Mittelpunkt gestellt. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, welche Herausforderungen vor uns liegen. Die Wirtschaft müsse klimaneutral und digital werden. »Es gilt dabei die Volkswirtschaft zur Transformation zu befähigen, ein geeignetes Umfeld für die Transformation zu schaffen und die Chancen der Transformation zu nutzen«, heißt es im Gutachten. Alles für die Transformation.

Für progressive wirtschaftliche Akteur:innen mag das erstmal interessant klingen. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell lobt, »dass alle vier Wirtschaftsweisen darin einig sind, dass die Transformation der Wirtschaft durch Digitalisierung, Klimaschutz und durch demografische Entwicklungen beträchtliche private wie öffentliche Ausgaben erfordern.«

Wohin und was denn eigentlich transformiert soll, bleibt allerdings wage. Die Zielvariablen werden gar nicht erst benannt – oder gilt sowieso das Wirtschaftswachstum als solches? Dass der SVR keine Politikempfehlungen abgeben soll, ist ihm in die Gesetzes-DNA eingeschrieben. Doch die vorgeschlagenen Maßnahmen bleiben beliebig und können politisch je nach Laune gefüllt werden. Mit dem Ziel »zur Transformation befähigen«, werden beispielsweise in der Rubrik »Gründungen und Marktaustritte« die Handlungsoptionen »Verbesserung der Verfügbarkeit von Wagniskapital« und »Stärkung der Absicherung der Selbständigen« genannt. Aktuelle Diskussionen um Start Ups, Lieferdienste und andere Wagniskapital-Aufsteiger:innen sollten zeigen, dass dies kaum zusammen gehen kann.

Darin liegt das Grundproblem einer Institution wie dem SVR: Die Maßnahmen werden wohl gut durchdacht und viel diskutiert sein – mittlerweile kann man sogar davon sprechen, dass es kontroversere Diskussion gibt. Zudem lässt sich eine wachsende Präsenz von progressiven Ideen der Wirtschaftspolitik feststellen. Doch die Herausforderungen durch Klimawandel, Digitalisierung und – im Transformationsteil des Gutachtens außen vorgelassen – der klaffenden sozialen Ungerechtigkeiten werfen nicht die Frage auf, wie sie im Kapitalismus bewältigt werden können, sondern ob sie es überhaupt unter Kapitalverhältnissen können. Doch dies zu verhandeln, ist wohl auch nicht die Aufgabe eines Regierungsgremiums.

Geschrieben von:

Philip Blees

OXI-Redakteur

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