Wirtschaft
anders denken.

Täuscht die Türkei beim Wachstum?

17.09.2017
Foto: Sisispi, Lizenz: CC BY-SA 3.0Eisen-und Stahlwerke Ereğli.

Die Wirtschaft der Türkei wächst trotz innenpolitischer Krise und Konflikten mit dem Ausland beachtlich – wenn man den offiziellen Zahlen aus Ankara glauben kann. Aber kann man das? Es gibt Zweifel.

Das war eine Meldung, die nicht viel Schlagzeilen machte, aus der nun aber nun dennoch eine kleine Geschichte zu werden scheint: Anfang der Woche meldete das türkische Statistikamt Turkstat, die Wirtschaft des Landes unter der Regentschaft des autoritär agierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei im zweiten Quartal 2017 erneut deutlich gewachsen – im Vergleich zum Vorjahresquartal um 5,1 Prozent. Die Deutsche Presse-Agentur verband ihre Meldung mit der Formulierung, so ein Plus sei »trotz der politischen Spannungen mit dem wichtigsten Handelspartner Europa« zustande gekommen. Ob das aber überhaupt stimmt, daran wachsen nun Zweifel.

Der Commerzbank-Analyst Lutz Karpowitz erklärte, er »halte die Daten für politisch beeinflusst«. Zwar habe er »an keiner Stelle habe nachweisen können, dass die Daten geschönt sind«, das angebliche Konjunkturplus sei aber »aus mehreren Gründen« äußerst zweifelhaft: So sei unter anderem fraglich, ob es den jüngsten Investitionsboom, der laut Turkstat zu dem Wachstum beigetragen haben soll, gegeben hat. So seien ausländische Direktinvestitionen in der Türkei 2016 um 29,9 Prozent auf 12,3 Milliarden US-Dollar gesunken. Im ersten Halbjahr 2017 sei keine Trendwende erkennbar. Karpowitz zweifelt zudem an den offiziellen Daten aus dem Tourismussektor. Und er erinnert sich: »Wir haben bereits 2016 merkwürdige Erfahrungen mit den dem türkischen Statistikamt gemacht.«

Das aus Ankara gemeldete Wachstum ist in der Tat erstaunlich – es übertrifft das der beiden ersten Quartale 2016 (4,8 Prozent beziehungsweise 4,9 Prozent), also die beiden Vierteljahre, die vor dem gescheiterten Putschversuch lagen. Seither ist viel passiert, von Massenverhaftungen angefangen bis zu der zunehmenden internationalen Isolation. Im dritten Quartal 2016 schrumpfte die Wirtschaft der Türkei, für das Gesamtjahr wurde dann aber laut offiziellen Zahlen trotzdem noch ein Plus von 2,9 Prozent ausgegeben. Glaubhaft?

»Schönt die Türkei ihre Statistik?«, fragte sich inzwischen auch die »Frankfurter Allgemeine«. Vor dem Hintergrund der Spannungen auf politischer Ebene, ist das nicht nur eine Zahlenangelegenheit. Einmal abgesehen davon, dass BIP-Zahlen noch nichts über soziale Verteilungsfragen, das Zustandekommen des Wachstums und seine möglichen Folgen aussagt, gerät die Autokratie ökonomisch womöglich stärker unter Druck als Ankara zugeben möchte.

Und: Kanzlerin Angela Merkel will nun offenbar den wirtschaftlichen Druck auf die Türkei erhöhen. »Wir werden unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei weiter zurückfahren müssen und Projekte auf den Prüfstand stellen«, sagte sie der »Passauer Neuen Presse«. Ihr Motiv: Ein Freilassung der in der Türkei inhaftieren Bundesbürger wie den Kollegen Deniz Yücel zu erreichen.

Gleichzeitig steht zur Debatte, wie es mit der Zollunion zwischen der EU und der Türkei weitergeht. »Ökonomisch und auch politisch könnte eine Neuverhandlung der Zollunion tatsächlich sinnvoll sein, sagen Fachleute. Sie böte einen gesichtswahrenden Weg, um den Türken jenseits der EU-Vollmitgliedschaft eine tiefere Integration anzubieten«, schreibt die FAZ. Eine engere Zollunion gilt wirtschaftlich aus kapitalistischer Perspektive als sinnvoll, würden etwa auch Dienstleistungen und Agrargüter in das Abkommen einbezogen, was derzeit nicht der Fall ist, könnte das Bruttoinlandsprodukt der Türkei um zusätzlich 1,8 Prozent  steigen, so Berechnungen des Ifo-Instituts.

Laut Modell könnten die Exporte in die EU um 70 Prozent zulegen, die Importe um 40 Prozent. Die FAZ weiter: »Beließe man indes alles beim Alten, würden die sechs größten EU-Freihandelsabkommen der Türkei erheblich schaden. Das BIP sänke, im Auto- und Maschinenbau betrügen die Exportrückgänge bis zu zehn Prozent.« Die Handelsabkommen der EU könnten, sollte es keine Einigung zwischen Brüssel und Ankara geben, laut der Ifo-Rechnung auf längere Sicht einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 20 Milliarden Dollar bescheren. Das würde 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung von 2016 entsprechen. Gemessen an den Zahlen, die Turkstat vorlegt. Ob die stimmen, ist eine andere Geschichte.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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