Wirtschaft
anders denken.

Teststrategie oder Wider die Zwangsehe von Umwelt und Egoismus

10.11.2021
Die Teile eines Corona-Selbsttest liegen auf einem schwarzen Boden: Steril verpacktes Stäbchen, eine Ampulle mit durchsichtiger Flüssigkeit und der ErgebnisanzeigerFoto: TomCam auf Pixabay

Können kostenlose Schnelltests wieder Hoffnung bringen, die Corona-Individualisierung zu überwinden? Märchen-Eintrag ins Corona-Tagebuch.

Wäre es nicht die traurige Wirklichkeit, so böten diese Novembertage mal wieder Anlass für ein Märchen:

»Es war einmal, vor langer, langer Zeit, als die Menschen beinahe vergessen hatten, dass sie alleine nicht überlebensfähig sind. Damals wetteiferten Parteien, die Menschheit vor der selbst verursachten Klimakrise zu retten, insbesondere eine, die sich seit ihrer Gründung als Umweltpartei verstand, gab sich wild entschlossen. Dennoch lobte eine ihrer prominenten Vertreterinnen, außerdem aktive Christin, ausgerechnet jene andere Partei über den grünen Klee, die den Egoismus zum Programm erhoben hatte. Da derlei Widerspruch damals niemanden mehr aufregte, blieb der Umwelt nichts anderes übrig, als mal wieder ihre Viren-Guerilla loszuschicken. ›Mittlerweile zum vierten Mal‹, seufzte sie, ›aber was anders verstehen die Leute ja offenbar nicht‹. Erwartungsgemäß setzten das gewohnte Wehklagen, die Besserwisserei und die Beschuldigung anderer ein. Niemand beherrschte es so perfekt, wie ein Politiker aus Bayern, der es zu seinem großen Bedauern in den zurückliegenden Wahlen von seiner Partei nicht als Kanzlerkandidat aufgestellt worden war. ›Immer schon gesagt, nicht auf mich gehört, Shitsorm geerntet…‹, so sprach er in jedes Mikrofon. Mit derart großer Geste, drunter tat er es nicht, schlug der selbst ernannte Papa der Pandemie vor, die kostenfreien Schnelltests wieder einzuführen, die keine sechs Wochen zuvor abgeschafft worden waren. Nicht zuletzt von jenen Parteien, die zur Zwangsverheiratung von Egoismus und Umwelt angetreten waren. Aber die Umwelt war glücklicherweise schlauer, liebes Kind, wer weiß, ob ich dir sonst heute diese Geschichte erzählen könnte.«

Die Märchentante möchte also die Ankündigung der Wiedereinführung kostenloser Antigentests als winziges Zeichen der Hoffnung verstehen. Dafür, dass wenigstens noch etwas anderes denkbar ist als jenes „Jeder sorgt für sich allein“, das Isabell Lorey in ND die Woche so brillant analysiert hat. Die Politologin, die übrigens eine der viel gescholtenen Professuren für Queer-Studies innehat, erklärt, warum Abstand und Isolation zwar als medizinische Maßnahme manchmal unumgänglich sind, aber deshalb noch lange kein Gesellschaftskonzept darstellen. Sie erinnert an die Individualisierung im Gesundheitssystem, die lange vor der Pandemie begann und zeigt auf, was das alles mit prekären Arbeitsverhältnissen zu tun hat. Pflichtlektüre für alle, die sich nicht mit Märchen begnügen wollen.

Geschrieben von:

Sigrun Matthiesen

Journalistin

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