Wirtschaft
anders denken.

Testzentren – Eine Kindergeschichte des Systemversagens

10.07.2021
Beispiel für viele Corona-Testzentren: Ein Zentrum in Berlin-Wedding wirbt mit einem großen roten Schild und einer schlecht aufgeklebten Folie. Daneben werden Cocktails am Meer dargestellt. Außerdem befindet sich ein Geldautomat an der Fassade.Foto: PrivatSchnelltest und dann Cocktails schlürfen

Die Corona-Testzentren offenbaren, was im Kapitalismus schiefläuft. Das erkennt doch jedes Kind.

Hoffentlich wird sich dann noch irgendwer erinnern – irgendwann in der Zukunft, wenn ein heute noch nicht geborenes Kind fragt, warum denn eigentlich alles so schlecht funktioniert hat, damals im Kapitalismus des frühen 21. Jahrhunderts. Als anschauliche und ziemlich kindgerechte Antwort böte sich an, die Geschichte der Covid-Teststrategie zu erzählen. Wie es damals, in den Zeiten der Pandemie, anfangs nur sehr aufwändige und teure PCR-Tests gab, die zuerst nur von Mediziner:innen bei Menschen, die Krankheitssymptome zeigten, angewendet wurden. Als dann ein paar mehr davon hergestellt wurden, ginge sie überwiegend an diejenigen, die besonders viel Geld damit machten, trotz eines tödlichen neuen Virus, alles so weitergehen zu lassen wie bisher. Also an Fußballklubs, für Autorennen und Managerkonferenzen.

Dann, im Frühsommer 2020 wurde klar, dass jede:r „symptomfreie:er Virenüberträger:in“ sein kann und viele wünschten sich nichts sehnlicher, als eine unkomplizierte Testmöglichkeit. Und tatsächlich: Kurz vor Weihnachten öffneten in Großstädten der wohlhabenden Welt die ersten „Schnelltest-Zentren“. Sie erinnerten ein wenig an Autowaschanlagen (wird dem Kind vielleicht nichts mehr sagen), und kosteten auch ähnlich viel. Weshalb auch im wohlhabenden Deutschland nur ein Teil der Bevölkerung mal eben mindestens 40  Euro locker machen konnte, um „freigetestet“ ohne schlechtes Gewissen die alten Eltern zu besuchen. Die anderen, deren Ansteckungs-Risiko schon wegen ihrer beengten Wohnverhältnisse und ihrer nicht-homeofficefähigen Arbeit um ein vielfaches höher war, jene, die also objektiv dringend viele Tests gebraucht hätten, die bekamen sie nicht.

An dieser Stelle wird das Kind nun sicher sehr ungläubig reagieren. Deswegen ist es gut, berichten zu können, dass auch damals einige Politiker:innen die Ungerechtigkeit erkannten und den „kostenlosen Bürger:innen-Test“ einführten. Zuerst einmal pro Woche, dann so oft jede und jeder wollte. Dafür waren mehr Testzentren nötig, aber es gab keine Ämter oder öffentlichen Einrichtungen, die diese Arbeit machen konnten. Sagten die Politiker:innen. Stattdessen sollten, gegen Zahlung einer Pauschale pro durchgeführtem Test, „Geschäftsleute“ übernehmen, und zwar möglichst diejenigen, denen die Pandemie ihren gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gerade unmöglich machte: Gastronomen, Kulturschaffenden, Bordellbetreiber –  egal, Hauptsache sie verfügten über leerstehende Räume, wussten wie Buchhaltung geht und konnten schnell das nötige Personal einstellen und schulen. Reihenfolge unwichtig. Doch, damals schien das eine gute weil „unbürokratische“ Idee! Denn, liebes Kind, der eigentliche Test war wirklich nicht so kompliziert, das konnten auch damals sogar 14-Jährige lernen – und mit negativem Schnelltestergebnis war plötzlich wieder vieles erlaubt, was vorher verboten war. Weshalb quasi über Nacht mehr Testzentren entstanden als es je Café to go Verkaufsstellen gegeben hatte. Wir hatten Test-Busse, Test-Lastenräder, Test-Zelte, und fast jede Nachtbar ohne Außen-Ausschank war auch ein Testzentrum. Es waren viel zu viele – vor allem nachdem die „Inzidenzwerte“ so sanken, dass etliches auch wieder ohne Test erlaubt wurde. Dann flog auch noch auf, dass nicht wenige Geschäftsleute die Buchhaltung kreativ zu ihren Gunsten frisiert hatten. Es folgten: Aufschrei in den Medien, Politiker:innen unter Druck, die jetzt allen Geschäftsleuten weniger Geld pro Test zahlten und Kontrollen androhten. Daraufhin entließen die Geschäftsleute Personal, so dass eine:r nun häufig allein zuständig war für Papierkram und Tests. Nun ja, dazwischen hätte diese Person sich jedesmal den Schutzanzug an- und ausziehen müssen, die Hände waschen, desinfizieren – ob unter diesen Bedingungen wirklich noch verlässliche Testergebnisse zu erwarten waren, wurde auch damals schon bezweifelt. Aber wir hatten ja nichts anders. Obwohl die schnell ansteckende Delta-Mutante des Virus da schon bekannt war und durch raffgierige Fußballfunktionäre jede Menge Gelegenheit bekam, sich auszutoben.

Ach Kind, du hast leicht reden: Einen Planungsstab, der anhand der Bevölkerungszahlen der jeweiligen Stadt ausgerechnet hätte, wie viele Test nötig sind und dafür gesorgt hätte, dass vor Schulen, Nachbarschaftshäusern, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen so viel mobile Teststationen stehen, dass jede:r im Umkreis von einem Kilometer eine findet. Mit anständig bezahltem, wirklich geschultem Personal. Öffentlich, also von uns, dem Staat organisiert? Sowas konnten wir uns damals kaum vorstellen, wir lebten ja schließlich im Kapitalismus. Da ließen wir Delta auf uns zurollen und sahen es als neue Chance für die Testzentren, doch wieder auf ihre Kosten zu kommen, und vielleicht noch ein paar Arbeitsplätze zu schaffen.

Geschrieben von:

Sigrun Matthiesen

Journalistin

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