Teuer, sinnlos, ungerecht: Ersatzfreiheitsstrafen kosten über 200 Millionen Euro im Jahr
Über 200 Millionen Euro kosten Ersatzfreiheitsstrafen die öffentliche Hand jährlich. Das System läuft auf eine Art Armutsstrafe hinaus, die geschätzt 50.000 Menschen im Jahr betrifft und nicht nur von Experten als teuer, sinnlos, rechtspolitisch falsch und sozial fragwürdig kritisiert wird.
Das Problem ist nicht neu, aber es hat jetzt ein Preisschild: Mehr als 200 Millionen Euro muss die öffentliche Hand jedes Jahr für die Haftkosten der so genannten Ersatzfreiheitsstrafen ausgeben. Die Zahl der in der Fachwelt schon lange umstrittenen Strafen ist in den vergangenen zehn Jahren um fast 25 Prozent angestiegen, berichtet »Monitor« in der ARD am Donnerstagabend. Rund 10 Prozent aller Inhaftierten in der Bundesrepublik sitzen eine Ersatzhaft ab.
Damit ist jeder zehnte Gefangene praktisch ein Armutshäftling. Denn: Die Betroffenen haben sich in aller Regel nur kleine Delikte zuschulden kommen lassen, können aber aufgrund ihrer sozialen Lage die Geldstrafe nicht zahlen. Ersatzfreiheitsstrafen sind Haftstrafen, die Menschen antreten müssen, wenn sie eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlen – in den allermeisten Fällen wegen Bagatelldelikten wie wiederholtes Schwarzfahren, einfacher Diebstahl.
Statt Resozialisierung folgt weitere Ent-Sozialisierung
Um die Dimension zu verdeutlichen: »Auf das Jahr bezogen sind das geschätzte 50.000 Personen, die für mehr oder weniger kurze Zeiten per Ersatzfreiheitsstrafe durch die Justizvollzugsanstalten geschleust werden«, so der Kriminalwissenschaftler und Rechtssoziologe Johannes Feest vor einiger Zeit auf einer rechtspolitischen Konferenz zum Strafvollzug. Und: Die Ersatzhaft habe »keinerlei positive Auswirkungen (›Resozialisierung‹), führt im Gegenteil regelmäßig zu weiterer Ent-Sozialisierung«. Die Bundesrepublik sei mit den Ersatzfreiheitsstrafen »einsame Spitze in Europa, mit weitem Abstand zu Frankreich, England/Wales, Spanien und den skandinavischen Ländern«.
Teuer, sinnlos, rechtspolitisch falsch und sozial fragwürdig – das regt an der Ersatzfreiheitsstrafe nicht nur Experten auf: »Es ist skandalös, so viel Geld zu verwenden, um Menschen aufgrund von Armut und einem Mangel an sozialen Kompetenzen wegen kleinerer Delikte wegzusperren«, zitiert das Magazin den Berliner Juristen und Kriminologen Heinz Cornel.
Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln sagte dem Sender: »Die Betroffenen haben oft multiple Probleme wie hohe Verschuldung, Suchtbelastung und sehr ungeregelte Lebenssituationen bis hin zur Obdachlosigkeit.« Durch die Haft werde die Lage der Betroffenen häufig sogar noch verschlechtert, zum Beispiel durch soziale Isolierung, den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung. Die grundsätzlich mögliche Alternative gemeinnützige Arbeit zieht in vielen Fällen nicht – was mit der prekären Lage der Betroffenen zutun hat.
Rechtspolitisch ist die Ersatzhaft ein Riesenproblem
Zu einer 2014 erschienenen Studie über Ersatzfreiheitsstrafen heißt es: »Die soziale Lage der Betroffenen zeichnet sich durch hohe Verschuldung aufgrund von Arbeitslosigkeit, fehlende familiäre Bindungen, geringere Sozialkompetenz, oft suchtbedingte psychische Störungen und überdurchschnittliche Wohnungslosigkeit aus. So wird zu Recht kritisiert, dass Verurteilte aus prekären wirtschaftlichen Verhältnissen ein ungleich höheres Risiko tragen, auch bei leichterer Kriminalität eine Freiheitsstrafe zu verbüßen, und damit wiederum Opfer sozialer Ungerechtigkeit werden.«
Der Hamburger Experte Bernhard Villmow hat für eine Konferenz im Jahr 2016 weitere Fakten zur sozialen Lage und den Problemen von Menschen zusammengetragen, die Ersatzfreiheitsstrafen absitzen müssen. Rechtspolitisch ist die Ersatzhaft ein Riesenproblem, weil es kaum möglich ist, einen Gefängnisaufenthalt zu rechtfertigen, wenn die Verurteilung ursprünglich auf Geldstrafe lautete.
Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig von der Linkspartei war im Frühjahr 2016 als Vorsitzender der Justizministerkonferenz mit dem Vorstoß gescheitert, von den Ersatzfreiheitsstrafen abzukehren. Die Debatte hat nun neuen Wind bekommen, da sich mehrere Justizminister der Länder für Reformen offen zeigen. Auch der Deutsche Richterbund hat sich dafür ausgesprochen, zumindest Schwarzfahren als Tatbestand im Strafgesetzbuch zu überprüfen – ein beträchtlicher Teil derer, die Ersatzhaft absitzen, ist dazu gezwungen, weil Geldstrafen für das »Erschleichen von Leistungen« nicht bezahlt werden können.
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