Wirtschaft
anders denken.

Teufels Werk, Oettingers Beitrag: Italien, »die Märkte« und die Schulden

30.05.2018
European People's Party / EPP 35th anniversary event / DERIBAUCOURT.COM (based on EXIF) / CC BY 2.0

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger heizt die Stimmung in der Italien-Debatte weiter an. Ein verkürzter Tweet löst die Welle aus, die EU-Spitzen rufen zur Zurückhaltung auf, Rufe nach Rücktritt sind zu vernehmen, Oettinger entschuldigt sich – und nun werden seine Äußerungen interpretiert, ob da eventuell »der Falsche das Richtige« gesagt habe. Aber sind Italiens Schulden wirklich so hoch, dass nun »die Märkte« reagieren – oder geht es nicht doch um einen Machtkampf um die Regeln der EU-Politik?

»Meine Sorge und meine Erwartung ist, dass die nächsten Wochen zeigen, dass die Märkte, dass die Staatsanleihen, dass die wirtschaftliche Entwicklung Italiens so einschneidend sein könnten, dass dies für die Wähler doch ein mögliches Signal ist, nicht Populisten von links und rechts zu wählen«, sagte Oettinger der Deutschen Welle. Hier bei der »Tagesschau« gibt es einen guten Überblick über die Äußerungen und einige Reaktionen, unter anderem von Oettinger selbst: »Ich hatte nicht die Absicht, durch meinen Bezug auf die tatsächliche Entwicklung der Märkte in Italien respektlos zu sein und entschuldige mich dafür.«

Zuvor hatten EU-Spitzen sich in einer Weise erklärt, die eine Entschuldigung Oettingers unausweichlich machten. Zumal in Italien sofort die rechtsradikale Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung das Interview aufgriffen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker trat auf die Aufregungsbremse: »Italiens Schicksal liegt nicht in der Hand der Finanzmärkte«, ließ er mitteilen.

Erinnert wurde auch daran, was die Kanzlerin Angela Merkel gesagt hatte: »Wir wollen mit jeder Regierung zusammenarbeiten. Aber wir haben natürlich auch Prinzipien innerhalb des Euro-Zone.« Klingt freundlich, aber ist konditioniert. Wer sich an die Prinzipien nicht hält, mit dem wird auch nicht zusammengearbeitet?

Zuvor hatten sich unter anderem Linke und Grüne sehr kritisch eingelassen: Der Europapolitiker Reinhard Bütikofer forderte die Entlassung Oettingers: »Mit seinen Äußerungen gießt Oettinger Benzin in die lodernden Flammen des Populismus. Er schadet damit der Europäischen Union.« Der Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi sagte, »wer die Wahlen in Italien verlieren möchte, braucht eine Wahlempfehlung vom deutschen EU-Kommissar.« Oettinger halte »Moodys oder BlackRock offenbar für eine Regierung«, so De Masi mit Blick auf den Sinn der Äußerungen des EU-Kommissar, der ja meint, »dass die Märkte« den Wähler in Italien lenken könnten – wohl wissend, dass man die Märkte auch lenken kann, von Drohungen aus EZB-Kreisen, die italienischen Staatsanleihen fallen zu lassen, war ja schon die Rede.

Auch der Bundestagsabgeordnete Victor Perl forderte Oettingers Rücktritt. Dieser »und marktradikale Eliten aus EU-Brüssel und Berlin meinen, die Börse werde den Italienern (Griechen, Spaniern, Portugal…) beibringen, die richtige Wahlentscheidung zu treffen. Sie sind Gefährder von Demokratie, Sozialstaat, Frieden in Europa. Rücktritt überfällig«, twitterte Perli. Eleonora Forenza von der europäischen Linksfraktion GUE/NGL nannte den sofortigen Rücktritt Oettingers unausweichlich: »Wir wollen einer demokratischen Revolution Leben einhauchen, um die Macht des Volkes gegen die Subversion der herrschenden Klassen wiederherzustellen«.

Die Sache sieht aber nicht jeder so. Auf Spiegel online meint Markus Becker mit Blick auf das Zitat Oettingers, »nichts davon ist falsch. Weder, dass Märkte unfroh auf verantwortungslose Finanz- und Wirtschaftspolitik reagieren könnten, noch dass man sich darüber sorgen sollte oder auf ein Einsehen der Wähler hoffen darf. Doch von Tatsachen hat sich die Debatte längst entkoppelt.« Allerdings sei eben auch richtig, dass Oettinger »jenen Populisten nun eine Steilvorlage gegeben« habe, »die in Italien ohnehin bestehende Stimmung gegen die EU und Deutschland weiter anzuheizen«.

Mark Schieritz von der »Zeit« argumentiert in eine ähnliche Richtung: »Ich halte die Marktreaktion für rational: Es kommt eine Partei an die Macht, die mit dem Euro-Ausstieg liebäugelt. Wenn man als Italiener es nicht gut findet dass die Zinsen steigen darf man diese Partei nicht wählen. Marktdisziplinierung ist in diesem Fall positiv zu bewerten.« Auch er sei »für Reformen der Währungsunion auch mit mehr Risikoteilung und wahrscheinlich wäre Italien heute in einer besseren Lage wenn es weniger Austerität gegeben hätte«, so Schieritz. Man könne »auch argumentieren, dass die Populisten weniger Macht bekommen hätten, wenn es weniger Austerität gegeben hätte. Aber warum die Reaktion der Märkte auf das Wahlergebnis zeigen soll das die EWU reformiert werden muss, verstehe ich nicht.«

Anders wird die Angelegenheit von Eric Bonse eingeordnet: »Doch nun passiert es wieder, genau wie damals«, schreibt der mit Blick auf die Geschichte in Griechenland: »Die politische Krise in Italien wird von Medien und Märkten erneut dazu genutzt, Angst zu schüren«. Der »italienische Virus« springe auch »sofort auf andere Euroländer über – Griechenland, Spanien und Portugal spüren es schon an höheren Spreads, die Deutsche Bank und die Commerzbank stehen an der Börse unter Druck«. Dabei sollten »diese irrationalen Kettenreaktionen doch der Vergangenheit angehören. Die seit der Eurokrise mehrfach verschärften EU-Regeln und das Anleiheprogramm der EZB sollten die Märkte ruhig stellen. Doch das tun sie nicht. Denn die Regeln und die EZB sind mit Schuld an der Panik – die Regeln sind zu strikt, das Anleiheprogramm setzt falsche Anreize zu Sorglosigkeit. Ein gefährlicher Mix, der sich nun entzündet.«

Bonse weist noch auf etwas anders hin: »Fakt ist, dass eine Schuldenquote von 130 Prozent, wie sie Italien aufweist, an sich noch kein Grund zu Unruhe ist. Unsere ›Euroretter‹ wollen Griechenland zurück an die Märkte schicken  – mit einer Quote von über 180 Prozent!« Zumindest an diesem Punkt wird also eine Sache dramatisiert, die so dramatisch nicht ist. Warum? Es geht nicht um die Schulden Italiens, es geht darum, was eine mögliche Regierung dort gegen bestimmte EU-Regeln haben könnte.

OXI-Autor Stephan Kaufmann formuliert es so: »Italiens Schulden sind tragfähig. Die Krisenwarnungen sind Teil eines Machtkampfs«, merkt er auf Twitter an. Die staatliche Bank KfW hat diese unlängst untersucht. Ergebnis: »Unter realistischen Annahmen steht die Schuldentragfähigkeit Italiens nicht akut infrage.« Und weiter: »Schon seit Langem und so auch im aktuellen Zyklus bleibt das Wachstum Italiens moderat und hinter dem der anderen Volkswirtschaften im Euroraum zurück. Steht angesichts der gleichzeitig hohen Altlasten die Schuldentragfähigkeit Italiens also unter Druck? Diese wäre spätestens dann nicht mehr gegeben, wenn die Entwicklung der Schuldenquote auf einen ›explosiven‹ Pfad einschwenkt, die Schulden also mit hohem Tempo wachsen und ein Wendepunkt in immer weitere Ferne rückt. Für Italien ist solch ein Szenario unwahrscheinlich.«

Zwar sieht auch die KfW Risiken, »der hohe Schuldenstand in Abwesenheit einer expansiven Geldpolitik« bringe »hohe Zinszahlungen mit sich und zementiert das Problem. Daher ist ein ambitionierter Schuldenabbau weiter angezeigt. Insbesondere sollte die Politik das Wachstum über strukturelle Reformen mittelfristig erhöhen. Die Forderung nach einer Aufweichung der EU-Fiskalregeln, die immer wieder in der italienischen Politik zu vernehmen ist, könnte sich dagegen als gefährlich herausstellen, wenn nämlich Anleger das Vertrauen in eine gemäßigte Fiskalpolitik verlieren und die Refinanzierungskosten des italienischen Staates in die Höhe treiben.«

Dazu noch einmal Stephan Kaufmann: Anleiherenditen seien aber eben »nicht das Ergebnis tiefgründiger Analysen von Regierungsprogrammen, sondern des Bedürfnisses der Investoren, jede Information zu nutzen, um möglichst viel Kohle zu machen«. Wenn also nun »Italiens Anleiherenditen in die Höhe schießen und mit ihnen die Portugals, Spaniens … warum spricht das gegen die italienische Politik und nicht gegen den Irrsinn der Spekulation?«

Loredana Federico von der UniCredit Bank Mailand hat vor einem Jahr auf die Schuldentragfähigkeit geschaut, die »wieder in den Fokus« rücke. Ihr Urteil: »Die Befürchtungen um die Tragfähigkeit der italienischen Staatsverschuldung sind jedoch übertrieben. Wir zeigen, dass unter vernünftigen Annahmen über steigende Zinssätze und nominales BIP-Wachstum der Primärüberschuss, den Italien erreichen müsste, um seine öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP allmählich zu senken, nicht belastender ist als das, was es bereits erreicht hat.« Und weiter: »Die Zusage der italienischen Regierung, diese Forderungen zu erfüllen, zeigt, dass sie trotz politischer Unsicherheit die notwendigen Reformen durchführen kann.«

Das hat sich im Zuge der Regierungsbildung geändert. Und hierin steckt auch die entscheidende Frage: Hält man die Reformen für »notwendig«, welche Reformen, aus welcher Notwendigkeit heraus sind sie begründet? Und auch: Wie verhält sich diese Position zu der in Brüssel und Berlin ausgegebenen Linie?

Eric Bonse erinnert daran, dass selbst der ehemalige Chef der Euro Working Group, Thomas Wieser, eingeräumt hat, »dass die EU-Regeln nicht funktionieren«. Der schrieb unter anderem: »Das derzeitige regelbasierte System des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) ist aufgrund seiner Komplexität und der ständigen Hinzufügung von Ausnahmen, Fluchtklauseln und anderen Faktoren nahezu unüberschaubar geworden. Dies hatte negative Auswirkungen auf die Rolle und das Ansehen der Kommission und ihre Fähigkeit, als Hüterin der Verträge zu fungieren – auch über Fragen der Steuerpolitik hinaus. Selbstverständlich hat sich auch der Rat als nicht bereit erwiesen, seine Rolle im Rahmen des Vertrags wahrzunehmen.«

Warum? Weil es da unterschiedliche Meinungen gibt. Und ein Regierungswechsel, wie der nun gestoppte in Italien, den Druck in diesem Kessel, in dem es um Krisenpolitik, ökonomische Abhängigkeiten, Spielräume und Grundsatzfragen geht, noch weiter erhöhen würde.

Was sonst noch wichtig ist? Das von Yanis Varoufakis gegründete Netzwerk Democracy in Europe Movement 2025 – kurz: DiEM25 tritt womöglich bei den Neuwahlen in Italien an. Anfang Juni sollen die DiEM25-Mitglieder voraussichtlich darüber abstimmen können, sagte Lorenzo Marsili der »tageszeitung«. Marsili ist Mitglied im Koordinierungskollektiv auf internationaler Ebene und Beisitzer im italienischen Vorstand der Bewegung. Inzwischen hat die Debatte darüber bei DiEM25 auch schon begonnen.

Foto: European People’s Party / EPP 35th anniversary event / DERIBAUCOURT.COM (based on EXIF) / CC BY 2.0

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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