Wirtschaft
anders denken.

There is an Alternative

11.03.2021
Vermögensteuer, -abgabe oder -schnitt: Für welche Tür entscheidet man sich?Bild von Arek Socha auf Pixabay

Vermögensteuer, -schnitt oder -abgabe? Alternativen zu Staatsverschuldung und wie sie zu bewerten sind. Teil 3 der OXI-Serie zur Staatsverschuldung.

Es gibt immer mehr Stimmen, die wollen die Staatsverschuldung über die Notenbanken „monetarisieren“. Dazu gehören einflussreiche Ökonomen wie Larry Summers und Paul Krugman und Anhänger der Denkschule der „Modern Monetary Theory“ (MMT)[1] sowie eine Gruppe von Ökonomen in Europa (darunter auch Thomas Piketty) die eine „Abschreibung der Staatsschulden“ bei der EZB fordern: „Der Erlass der Staatsschulden im Gegenzug für Investitionen durch die Staaten wäre ein erstes starkes Signal dafür, dass Europa sein Schicksal wiedererlangt“, so die Gruppe im Freitag.

Eine unendliche Geldmengenausweitung durch Gelddrucken wird hier aber bezweifelt, selbst wenn dagegen realwirtschaftliche staatliche Ausgaben gebucht werden. Die Notenbank muss dazu nämlich sogar zweimal Gelddrucken. Zum einen, um die Staatsanleihen aufzukaufen und zum anderen, um die dann von den Staaten getätigten Ausgaben (Investitionen) zu finanzieren. Das kann man kurzfristig sicher machen. Langfristig geht das aber nicht. Es gilt nun mal der ökonomische Lehrsatz, dass Löhne, Profite, Zinsen und Grundrenten, also die Wertschöpfung, am Ende immer durch realwirtschaftliche Produktion, durch Menschen, erarbeitet und auch verkauft werden muss. Hinter jedem Euro, das gilt auch für den Kredit, steht laut Arbeitswerttheorie[2] menschliche Arbeit und menschlich vorgetane Arbeit als in Kapital umgewandeltes Geld. Beim Kredit wird Arbeit zudem von den Schuldnern vorab konsumiert oder investiert, die im Nachhinein erst noch zu leisten und zu tilgen ist.

Öffentliche Leistungen, finanziert durch Kredite, haben (erlösen) aber im nach hinein am Markt keine Preise, weshalb sie von der Gesellschaft über Steuern und Abgaben an die Gläubiger zurückbezahlt werden müssen. Werden hier die Notenbanken nach der Übernahme der Staatsschulden die neuen Gläubiger, so ändert sich an den werttheoretisch notwendigen Rückzahlungsmodalitäten gar nichts. Die Notenbank kann sich hier aber das dazu notwendige Geld (Liquidität) selbst, durch Gelddrucken, beschaffen, dass womöglich Staaten am Kapitalmarkt wegen ihrer bereits hohen Verschuldung nicht mehr erhalten. Siehe den jüngsten Fall Griechenland, die 2010 ohne EU-Hilfen Staatsbankrott hätten anmelden müssen.

Durch einen Vermögensschnitt kann jede Notenbank die übernommenen Staatsschulden abschreiben und zahlt dennoch die fällig werdenden Kredite an die Gläubiger aus oder sie prolongiert die Kredite. Dies bedeutet verteilungsmäßig, das die Vermögenden nicht an den Krisenlasten teilhaben. Sie behalten nicht nur ihr Vermögen, im Gegenteil, sie sind am Ende in einer wieder boomenden Wirtschaft auch noch die Haupt-Profiteure und die schon bestehende ungleiche Vermögensverteilung wird noch ungleicher und entsprechend vererbt, wie gerade das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) festgestellt hat.[3]

Es muss die Vermögenden treffen

Deshalb darf ein Vermögensschnitt nicht über die Notenbank (EZB) vollzogen werden, der nur die Staatskonten entlastet, die Vermögenden aber schont, sondern er muss die Vermögenden treffen und sie zur Kasse bitten. Sie müssen zahlen und wissen, dass auch sie mit einem Vermögensverlust für die Krise zu haften haben und nicht nur die Massen von Menschen, die sich eine Krise überhaupt nicht leisten bzw. bezahlen können. Es geht nicht darum, wie es in dem Ökonomen-Aufruf steht, dass wir von „Glück sprechen können“, einen Gläubiger (EZB) zu haben, der keine Angst hat, „sein Geld zu verlieren“. Nein, die Vermögenden sollen in Zukunft Angst haben ihr erbeutetes und nicht einmal selbst erarbeitetes Geld einzubüßen, wenn sie meinen, sie könnten weiter auf Kosten der Mehrheit der Menschen „Beute“ machen; dass man ihnen am Ende die „Beute“ wieder wegnimmt. Es darf sich also für sie nicht mehr lohnen. Man muss den Vermögenden ihren Reichtum über einen Vermögensschnitt und/oder über eine Vermögensbesteuerung (einmalig durch eine Vermögensabgabe und/oder kontinuierlich durch eine Vermögensteuer) wegnehmen. Ich plädiere hier für eine Kombination aus allen drei Varianten.

Vermögensschnitt

Um möglichst schnell den Staat von seiner Schuld zu entlasten und ihm neue Ausgabenmöglichkeiten zu verschaffen, sollte zunächst ein Vermögensschnitt, aber nicht über die Notenbanken, sondern über den privaten Bankensektor vorgenommen werden. Hier wird von Gegnern, wozu auch linke ÖkonomInnen zählen, immer wieder vorgetragen, dass dann die Banken in Not geraten würden und es auf Grund des Interbankenmarktes und seiner immanenten Interdependenz zu einer schweren Bankenkrise insgesamt käme. Außerdem würde ein Vermögensschnitt den staatlichen Reformdruck, damit meint man einen neoliberalen Austeritätskurs, sinken lassen. Zum Austeritätskurs kann man nur sagen, „Gott sei Dank“ findet dann ein solcher verheerender sogenannter „Reformkurs“ zur beschleunigten Rückzahlung der staatlichen Kredite durch Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, Sozialtransfers, Renten und Arbeitseinkommen nicht statt.

Und zur Bankenkrise und einem Vermögensschnitt ist festzustellen, dass die Banken als Institution mit ihrem eh nur niedrigen Eigenkapital überhaupt nicht berührt sind. Bilanztechnisch werden auf der Passivseite der Banken nur das Fremdkapital, die Einlagen der Vermögenden, beschnitten und eins zu eins auf der Aktivseite der Bilanz die Forderungen (Kredite) berichtigt. Es kommt also lediglich zu einer Bilanzkürzung ohne das die Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV) der Banken mit abgeschriebenen (wertberichtigten) Krediten aufwandsmäßig belastet würden. Der Vorgang ist für die Banken ergebnisneutral. Also nichts mit einer Bankenkrise, eher kommt es zu einer „Krise“ bei den Vermögenden, weil sie was abgeben müssen. Dies will aber die herrschende Politik nicht. Deshalb beruhigten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) nach einer Tagesschausendung im Oktober 2008, in Anbetracht der Finanz-, Immobilien- und Wirtschaftskrise und eines befürchteten Bankenruns, die vermögenden Deutschen mit dem Satz: „Machen sie sich keine Sorgen, ihre Einlagen bei den Banken sind sicher.“ Was übrigens zeigt, dass vom Staat nicht die Banken, wie fast alle fälschlich glauben (selbst linke ÖkonomInnen), gerettet werden sollten, sondern vielmehr die Vermögenden mit ihren Einlagen bei den Banken.

Dabei muss noch ökonomisch (normativ) die Frage beantwortet werden, wieviel man den Vermögenden von ihren Einlagen wegnehmen will? Hier schlage ich einen EU-weiten einheitlichen und einmaligen Vermögensschnitt in Höhe von 10 Prozent bei einem Freibetrag von 1 Mio. Euro für Privatpersonen und 5 Millionen Euro für Unternehmen vor. Der Vermögensschnitt gilt selbstverständlich nur für durch Banken ausgereichte Kredite an den Staat (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen) und nicht an private Haushalte und Unternehmen. Ebenso berührt von diesem Vermögensschnitt sind auch Geldanlagen im Versicherungs- und Schattenbankensektor.[4]

Der Vermögensschnitt bei den Einlagen läßt sich technisch einfach und schnell durchführen. Die Banken, Versicherungen und Fonds melden dem Bundesfinanzministerium zu einem rückdatierten Zeitpunkt die persönlichen Einlagenbestände ihrer Kunden und die Banken und Finanzinstitute zeigen ihren Kunden die vollzogenen Wertberichtigungen ihrer Einlagen an. Hat demnach z.B. eine Privatperson 1,5 Millionen Euro als Einlagen bei Banken oder Finanzinstituten (Fonds) hinterlegt, so würden einmalig 50.000 Euro als Vermögensabgabe fällig. Das wären 3,33 Prozent der gesamten Einlage. Und ein Unternehmen mit 10 Millionen Euro liquiden Einlagen müsste einmalig 500.000 Euro oder 5,0 Prozent abführen.

Einmalige steuerliche Vermögensabgabe

Alternativ zum Vermögensschnitt könnte auch eine EU-weite einmalige steuerliche Vermögensabgabe auf die liquiden Einlagen im Finanzsektor erhoben werden. Schon einmal ist in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1952 eine Vermögensabgabe (nicht nur auf Bankeinlagen, sondern auf das gesamte Vermögen) durch ein „Lastenausgleichsgesetz“ (LAG) vom 14. August 1952 erhoben worden. Damals sollten damit Lasten infolge des Krieges für Notleidende und die Kosten für die Vertriebenen aus Ostdeutschland ausgeglichen werden. Gerechtigkeit sollte durch Umverteilung dadurch walten, dass diejenigen eine Abgabe zu zahlen hatten, denen trotz des Krieges ein erhebliches Vermögen verblieben war (insbesondere betraf das Immobilien). Der Steuersatz der einmaligen Vermögensabgabe betrug 50 Prozent des berechneten Vermögenswertes mit Stand vom 21. Juni 1948 (dem Tag nach Einführung der D-Mark in den drei westlichen Besatzungszonen) und konnte über 30 Jahre in vierteljährlichen Raten in einen sogenannten staatlichen „Ausgleichsfonds“ eingezahlt werden. Durch die Verteilung der Raten auf viele Jahre betrug die Belastung nur 1,67 Prozent pro Jahr, sodass sie aus dem Ertragswert des betroffenen Vermögens geleistet werden konnte, ohne die Vermögenssubstanz überhaupt angreifen zu müssen.[5] Warum soll das nicht auch heute vor dem Hintergrund der hohen Staatsverschuldung auf der einen Seite und einer stark ungleichen Vermögensverteilung auf der anderen Seite möglich sein? Zumal die Vermögensabgabe auch im Grundgesetz Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 als eine Bundeseinnahme verfassungsrechtlich verankert wurde.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat hier eine solche Vermögensabgabe auf das Gesamtvermögen der Deutschen im Auftrag der Linkspartei im Deutschen Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einem Gutachten erstellen lassen.[6] Demnach könnten 310 Mrd. Euro bei den reichsten Deutschen (0,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung) vereinnahmt werden. Die Abgabe soll über 20 Jahre in Raten abbezahlt werden. Hohe Freigrenzen schützen dabei das Netto-Betriebsvermögen (Bruttovermögen minus Schulden) bis 5 Mio. Euro und das Netto-Privatvermögen bis zu 2 Mio. Euro. Die Linkspartei will die Vermögensabgabe staffeln, die bei 10 Prozent beginnt und ab einem Vermögen von 100 Mio. auf 30 Prozent stetig ansteigt. Beispielrechnungen zeigen dabei für einzelne Steuerpflichtige die einmaligen Abgaben gestreckt über 20 Jahre auf. So würde für ein Eigenheimvermögen von 2,5 Mio. Euro und weiteren 500.000 Euro sonstigem Privatvermögen sowie einem Betriebsvermögen von 2 Mio. Euro eine Gesamtabgabe von 101.000 Euro anfallen. Dies entspräche 2 Prozent des Nettovermögens. Bei einer jährlichen Ratenzahlung über 20 Jahre wären das 6.177 Euro oder 0,1 Prozent vom Nettovermögen. Also nicht viel. Bei einem extrem hohen Privatvermögen von 1 Milliarde Euro sieht das dann allerdings anders aus. Hier beläuft sich die einmalige Vermögensabgabe auf 288 Mio. Euro bzw. 28,8 Prozent vom Nettovermögen und bei jährlicher Zahlung über 20 Jahre wären es 17,6 Mio. Euro oder 1,8 Prozent vom Nettovermögen.

Kontinuierliche Vermögens- und Erbschaftssteuern

Neben einer einmaligen Vermögensabgabe sollte auch eine EU-weite kontinuierlich erhobene Vermögens- und Erbschaftssteuer festgelegt werden. Der bekannte französische Ökonom Thomas Piketty schlägt hier eine progressive Besteuerung vor. „Sie verhindert, dass die Ungleichheitsspirale sich endlos weiterdreht, während sie die Kräfte des Wettbewerbs nicht beeinträchtigt und den Anreiz zu neuer Akkumulation aufrechterhält. Zum Beispiel haben wir die Möglichkeit eines Steuertarifs erwähnt, der 0,1-0,5 Prozent pro Jahr für Vermögen unter 1 Mio. Euro, 1 Prozent zwischen 1 und 5 Mio., 2 Prozent zwischen 5 und 10 Mio. vorsähe und auf 5-10 Prozent pro Jahr für Vermögen von mehreren 100 Mio. oder mehreren Mrd. Euro steigen könnte. Das würde dem unbegrenzten Anwachsen der globalen Vermögensungleichheiten Einhalt gebieten, die derzeit in einem Tempo zunehmen, das auf lange Sicht nicht mehr tragbar ist und selbst die glühendsten Verfechter der Idee vom sich selbst regulierenden Markt mit Sorge erfüllen sollte. Derart unverhältnismäßige Vermögensungleichheiten, auch das lässt sich aus Geschichte lernen, haben mit dem Geist des Unternehmertums nichts mehr zu tun, und sie sind dem Wachstum alles andere als zuträglich. Sie haben, anders gesagt, keinerlei Gemeinnutzen …“[7] Auch die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt seit langem eine Vermögensteuer und drastisch zu erhöhende Erbschaftsteuern vor. Der Steuersatz der Vermögensteuer sollte ein Prozent betragen und auf Vermögen von mehr als einer Million Euro (bei gemeinsamer Veranlagung von EhepartnerInnen das Doppelte bis das Ehegattensplitting ausläuft) zur Anwendung kommen. Je Kind sollte ein Freibetrag von 200.000 Euro gewährt werden.[8] Das Volumen der Erbschafts- und Schenkungssteuern lag 2019 bei nur knapp 7,0 Mrd. Euro. Das waren mal gerade 0,2 Prozent des nominalen BIP und 0,27 Prozent des Volkseinkommens. Hier sollte mindestens ein Prozent des jeweils jährlichen Volkseinkommens, das wären 2019 knapp 26,0 Mrd. Euro gewesen, zur Besteuerung kommen. Erbschaften und Schenkungen bis zu 500.000 Euro sollten dabei als Freigrenzen festgelegt werden.

Und wer soll das alles umsetzen?

Von allen Lösungsansätzen wollen natürlich die Vermögenden und ihre Verbündeten in der Politik nichts wissen. Hier kommt es mit Theodor Adorno (1903-1969) und Max Horkheimer (1895-1973) zu einer „privilegierten Komplizenschaft“. Es ist gesellschaftlich eine Machtfrage und die Macht haben die Vermögenden, die längst auch den Staat (Politik) beherrschen. Macht ist in einer Gesellschaft natürlich, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, zur Durchsetzung von Zielen notwendig. Sie muss aber demokratisch verliehen sein und ebenso demokratisch kontrolliert werden, und es darf auf keinen Fall zu einem Machtmissbrauch kommen. In politisch demokratischen Ordnungen ist nur der Staat als gesellschaftlicher Überbau demokratisch zur Machtausübung legitimiert. In der marktwirtschaftlich-kapitalistisch orientierten Wirtschaft herrscht jedoch bis heute, bis ins 21. Jahrhundert, geradezu selbstherrlich das „personifizierte Kapital“ (Karl Marx), insbesondere gegen die vom Kapital abhängige und zur Mehrwertproduktion ausgebeutete Arbeitskraft. Gerade hat das Statistische Bundesamt festgestellt, das 8 Prozent der Erwerbstätigen ab 18 Jahren in Deutschland armutsgefährdet sind. Demnach bekamen 3,1 Mio. Menschen für ihre Arbeit nur einen Lohn, der unterhalb von 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung lag. Aber auch auf den Güter- und Dienstleistungsmärken, neuerdings auch auf den Digitalmärkten und nicht zuletzt auf den Finanzmärkten hat sich eine ungeheure Macht etabliert. Immer größere Konzentrations- und Zentralisationsprozesse, damit in Folge die Möglichkeit zu immer mehr Machtmissbrauch, haben das idealtypische marktwirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsprinzip längst ad absurdum geführt. Der ehemalige Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und International, Thilo Bode, spricht heute in einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Machtkonzentration in der Wirtschaft zu Recht von einer „Diktatur der Konzerne“.[9]

International agierende Multiunternehmen sind mächtiger als Staaten. Dazu nur ein Beispiel: Das größte deutsche Unternehmen und gleichzeitig der größte Autobauer der Welt, der VW-Konzern (schon immer in Skandale verwickelt), erzielte 2019 einen Umsatz von 252,6 Mrd. Euro. Die Beschäftigtenzahl lag bei 671.200. Pro Kopf betrug demnach der Umsatz 376.341 Euro. Im Vergleich dazu kam das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland je Erwerbstätigen nur auf 76.190 Euro und je Einwohner auf 41.508 Euro. Von 2010 bis 2019 legte bei VW der Umsatz um 99,1 Prozent zu; das deutsche Bruttoinlandsprodukt nur um 34,5 Prozent. Und von 2010 bis 2019 kam es bei VW zu einem Beschäftigtenwachstum um 72,8 Prozent, während die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland im gleichen Zeitraum lediglich um 10,3 Prozent zulegte. Das Eigenkapital des VW-Konzerns lag 2019, trotz Milliardenstrafzahlungen in zweistelliger Höhe infolge des Abgasskandals, bei immer noch 123,7 Mrd. Euro, und der Gewinn vor Steuern betrug 15,6 Mrd. Euro, was einer Profitrate von 12,6 Prozent entsprach.

Es ist doch völlig klar, dass solche Marktgiganten, und da ist VW nicht einmal der Größte weltweite Player, der Politik, den Staaten, die Gesetze diktieren. Sie zahlen kaum Steuern, schädigen die Umwelt und verstoßen gegen Menschenrechte. Darüber hinaus verlangen diese übermächtigen Giganten auch noch beste öffentliche Infrastruktur, Subventionen und deregulierte Arbeitsmärkte. Der Staat soll den Unternehmen gefälligst billigste Arbeitskräfte zuführen und ihr gegebenes „Investitionsmonopol“ (Erich Preiser) absichern. Für die riesigen volkswirtschaftlichen Schäden, die diese Unternehmensgiganten anrichten, haften die Eigentümer der Konzerne nicht. Sie kennen nur einen Trieb: maximale Profitraten. „300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es (das Kapital, HJB) nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens“ nicht.[10]

Und dieser Profittrieb macht selbstredend vor dem demokratisch verfassten Staat nicht Halt. Politik hat heute so gut wie nichts mehr zu sagen. Der verstorbene Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer sprach es 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor vielen Staatspräsidenten aus der ganzen Welt unverhohlen aus, als er sagte: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden“. Auch der bekannte französische Finanzwissenschaftler Marc Chesney kommt in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) zu einem verheerenden antidemokratischen Befund: „Die Finanzlobbys sind in der Lage, ihre Interessen der Gesellschaft aufzuzwingen.“ Und 2020 sagte der aus dem Macron-Kabinett zurückgetretene französische Umweltminister Nicolas Hulot in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau auf die Frage, warum er sein Amt aufgegeben habe: „Ich merkte, dass die Politik entmachtet worden ist durch die Finanzwelt.“ Man könnte hier Hunderte weitere Belege für die Ohnmacht der Politik gegenüber der Herrschaft der Kapitalmächtigen und Plutokraten in der Wirtschaft anführen. Warum schafft es die Politik nicht, das weltweit vagabundierende und hochkonzentrierte Kapital an die „Kette“ zu legen? Warum wurden die Finanzmärkte liberalisiert? Warum kann die Politik die vielen unsäglichen Steueroasen nicht schließen? Warum gibt es bis heute nicht einmal eine Finanztransaktionssteuer und in Deutschland seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr? Warum beseitigt die Politik die Massenarbeitslosigkeit nicht? Warum hat die Politik einen Niedriglohnsektor geschaffen? Warum dürfen die Beschäftigten in den Unternehmen nicht mitbestimmen? Und so weiter und so fort. Karl Marx würde über diese Fragen nur lächeln. Er nannte den bürgerlichen Staat und seine Politiker „Büttel“ und einen „Ausschuss“ zur Durchsetzung von Kapitalinteressen gegen die Arbeiterklasse. Marx erkannte dabei überdeutlich die kapitalismusinhärente Konzentration und Zentralisation des Kapitals; das Gesetz der erweiterten Akkumulation durch eine stetige Verwandlung des von den Arbeitern produzierten Mehrwerts in Kapital. Davon kann sich der Staat, kann sich Politik, nicht entkoppeln. Der Staat ist „Gefangener des Systems“ und kein „neutraler Akteur“ auf dem kapitalistischen Spielfeld. Er ist allenfalls der „ideelle Gesamtkapitalist“ (Friedrich Engels).

Das alles macht deutlich, dass es weder zu einem Vermögensschnitt, noch zu einer Vermögensabgabe und in Deutschland zu einer Wiedereinführung einer Vermögensteuer kommt. Hochwahrscheinlich ist mit einer Austeritätspolitik zu rechnen. Man muss dann aber auch zur Kenntnis nehmen, dass weder eine sozial gerechte Verteilung der Lasten aus der Corona-Krise erfolgt, noch eine dringend notwendige ökologisch-soziale Transformation möglich sein wird. Die Verteilungskämpfe um die Wertschöpfungen werden noch härter ausgetragen werden. Nicht nur zwischen Arbeit und Kapital, sondern auch innerhalb der Klassen. Es wird zu einer noch größeren Spaltung in Arm und Reich in der Gesellschaft mit am Ende womöglich nicht mehr beherrschbaren politischen Verhältnissen kommen.[11] Und am Ende will keiner dafür die Verantwortung übernehmen.

Der Text der letzte Teil der Serie zur Staatsverschuldung. Teil 1 warf einen Blick auf den Status quo, Teil 2 auf die Vermögen.

[1] Siehe kritisch dazu: Krüger, S., Der Irrweg der „Monetären Theorie, Gegenargumente zu einem vermeintlichen Königsweg zur Überwindung des neoliberalen Mainstreams, in: Sozialismus.de 11/2019, Müller, A., Marxistische Kritik der modernen Geldtheorie, in: Sozialismus.de 2/2021

[2] Vgl. Fröhlich, N., Die Aktualität der Arbeitswerttheorie. Theoretische und empirische Aspekte, (Diss.), Marburg 2009, Amin, S., Das globalisierte Wertgesetz, Hamburg 2012

[3] Vgl. DIW-Wochenbericht 5/2021: „Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen geht an die reichsten zehn Prozent aller Begünstigen“.

[4] Vgl. Troost, A., Liebert, N., Ötsch, R., Der graue Markt der Schattenbanken, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 6/2012, Rügemer, W., Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure, Köln 2018

[5] Vgl., Wiegand, L., Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1985, Frankfurt a.M. 1992

[6] Bach, S., Vermögensabgabe DIE LINKE, Aufkommen und Verteilungswirkungen, DIW-Berlin, 30. Oktober 2020

[7] Piketty, T., Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014, S. 787

[8] Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2020, Köln 2020, S. 52

[9] Vgl. Bode, T., Diktatur der Konzerne. Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören, Frankfurt a.M. 2018

[10] Quarterly Reviewer, zitiert in: Marx, K., Das Kapital, Bd. 1, (1867), Berlin (Ost) 1974, S. 788.

[11] Vgl. Butterwegge, C., Hentges, G., Wiegel, G., Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD, Frankfurt a. M. 2018

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