Wirtschaft
anders denken.

»So groß wie die Deutsche Bank? Ein Albtraum!«

Wenn Milliardäre ihren Reichtum behalten wollen, sollten sie die Hälfte verschenken. Ein Vorschlag von Thomas Jorberg. Im Gespräch erklärt der Vorstandssprecher der GLS-Bank, warum seine Bank gut, aber nicht antikapitalistisch ist.

16.05.2016
GLS Bank
Thomas Jorberg war 1977 der erste Auszubildende der GLS Bank. Nach der Lehre zum Bankkaufmann studierte er von 1980 bis 1985 Wirtschaftswissenschaften. Seit 1986 ist er festangestellt bei der GLS Bank tätig, „der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken“. Die sozial-ökologische Genossenschaftsbank, Sitz Bochum, mit sieben Filialen, beschäftigt etwa 530 MitarbeiterInnen, hat 42.000 Mitglieder, gut 193.000 KundInnen und eine Bilanzsumme von 4,3 Milliarden Euro.

Ist die GLS Bank eine antikapitalistische Bank?

Jorberg: So würde ich das nicht sagen. Der Mensch soll nicht dem Kapital dienen, sondern Geld und Kapital dem Menschen. Unser Ziel ist es, Geld für soziale, ökologische, kulturelle und humane Projekte zu mobilisieren und sie möglich zu machen.

Wie definieren Sie Ihre Bank mit einem Wort?

Wir wollen Sinn stiften, anhand der eben genannten Kriterien.

Und das ist machbar, mitten in einer Banken- und Finanzwelt, die ihren Gewinn maximieren will?

Geld geht in unserer Gesellschaft dorthin, wo, unter Beachtung von Risiko und Laufzeit, die Rendite am höchsten ist. Das gilt für Unternehmen wie für Privatleute. Meine eben genannten Kriterien spielen meist keine oder nur eine geringe Rolle. Das ist für mich systemisch organisierte Verantwortungslosigkeit. Und dieses Entscheidungsmuster, das weithin herrscht, das brechen wir auf. Die Tatsache, dass es uns seit langem gibt und wir heute größer sind denn je, zeigt: Auch das ist möglich in dieser Wirtschaftswelt. Wenn bei uns der Sinn im Vordergrund steht, dann heißt das auch: Kunden, die zu uns kommen, müssen mit ihrem Geld etwas im Sinn haben, denn wir fragen sie danach. Ob es eine Rendite gibt, das spielt natürlich auch bei uns eine Rolle, aber eine untergeordnete.

Wie unterscheiden Sie sich von der Deutschen Bank?

Bei uns steht der Sinn und nicht die Rendite im Vordergrund. Soziale und ökologische Kriterien gehören zur Kernstrategie. Hinzu kommt Transparenz, also die Offenlegung unserer Arbeit, als ein Grundpfeiler unseres Geschäftsmodells. Bei uns weiß der Kunde, was wir mit seinem Geld machen. Das weiß der Kunde der Deutschen Bank nicht.

Wo sehen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu den öffentlichen Sparkassen?

Von ihrem Gründungsmotiv her sind sie uns sehr nahe. Sie sollen ja das Geld der Bürger einer Kommune oder einer Region sammeln und für das Gemeinwohl der Kommune oder Region investieren. Das ist deren Gründungsmotiv. In den vielen Jahren haben sie sich allerdings genauso wie die Genossenschaftsbanken ein bisschen davon entfernt.

Die Geschäftsbanken sind unverändert die entscheidenden Machtapparate.

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Nennen Sie ein Beispiel.

In ihrer Werbung und ihrem Auftreten sind sie unverändert sehr nahe an ihrer Gründungsidee. Aber haben sie diese Idee auch wirklich in ihre Geschäftspolitik übersetzt? Das ist zumindest sehr unterschiedlich. Die Kunden von Sparkassen haben jedenfalls nicht das Wissen um die Verwendung der Gelder wie dies bei uns der Fall ist. Die Transparenz beispielsweise könnte deutlich größer sein.

Verstehen Sie sich als Gegenmacht zu den klassischen Geschäftsbanken?

Ich empfinde das nicht so. Ich sehe uns nirgends »gegen« etwas aufgestellt. Wir sind ein Instrument, das Bürger nutzen können, um ihre Verantwortung wahrzunehmen. Eine Bank ist sowieso nicht mehr als ein Instrument. Wir wollen, dass unser Kunde mitentscheidet und mitverantwortet, wofür sein Geld eingesetzt wird, wenn er es bei uns anlegt.

Ich teile die Banken mal in zwei Lager: Auf der einen Seite Ihre Bank, die anderen Alternativbanken und die öffentlichen und genossenschaftlichen Banken. Auf der anderen die Geschäftsbanken wie die Commerzbank, die Deutsche Bank und so weiter. Haben sich seit der Finanzmarktkrise 2008/2009 die Gewichte und Machtverhältnisse zwischen diesen beiden Lagern verschoben? Ihr Lager wurde stärker, das andere deutlich schwächer?

Also bei uns hat sich gewaltig was verändert. Wir haben seit Jahren einen enormen Zuspruch von 2.000 bis 2.500 neuen Kunden pro Monat! Und unser Bankmodell ist sehr viel bekannter als zuvor und wird weithin als Vorbild wahrgenommen und anerkannt. Jetzt schaue ich auf den Gesamtmarkt: Da reden wir über sehr bescheidene Veränderungen. Die Geschäftsbanken sind unverändert die entscheidenden Machtapparate mit einer enormen Lobbyarbeit und einem enormen Einfluss auf Regierungen und Ministerialbürokratien. Und: Diejenigen, die für die Regulierung des Bankensektors verantwortlich sind, haben das System gar nicht angerührt. Obwohl es offenkundig Verantwortungslosigkeit produziert und nicht mehr leistungsfähig ist. Die Regulatoren haben letztlich gesagt: Das System ist gut, der Mensch ist das Problem. Eine völlig falsche Antwort. Dass nicht der einzelne Mensch selbst, sondern das System den Missbrauch und damit die Krisen produziert, auf die Idee kommen die nicht. Oder sie wagen es nicht, sich mit den entscheidenden mächtigen Akteuren im Banken- und Finanzbereich anzulegen. Also systemisch hat sich leider kaum etwas verändert.

Als Josef Ackermann, damals Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, in einer Talkshow saß und hilflos zugab, diese Krise haben wir nicht kommen sehen und jetzt muss uns der Staat helfen, da schien ja sogar eine Zeitenwende greifbar nahe. Davon ist also wenig bis nichts geblieben?

Damals wurde relativ erfolgreich ein System stabilisiert, das zu kollabieren drohte. Jetzt entscheiden Sie selbst, wie sinnvoll es ist, ein falsches System zu stabilisieren. Das ist doch keine Lösung. Ich will jetzt nicht das kommentieren, was bei den Geschäftsbanken passiert, ein Skandal nach dem anderen, das spricht ja alles für sich. Aber vielleicht noch entscheidender ist: Der Anleger, sogar jeder kleine Privatanleger, der nicht viel Geld hat, der verhält sich genauso. Er fragt sich nur eines: Wo bekomme ich den höchsten Zins und da gehe ich hin. Egal was die Bank mit dem Geld macht. Das ist eine Verhaltensweise, die die Gesellschaft offensichtlich weithin akzeptiert. Das weithin verbreitete kollektive Verhalten der Kundinnen und Kunden legitimiert letztlich das Verhalten dieser Banken. Auch jede und jeder Einzelne sollte sich fragen, wie nehme ich in Geldfragen meine Verantwortung wahr.

Was steht bei Ihnen an erster Stelle: Gewinn und Wachstum oder in Sinnvolles investieren?

Wir wollen das Geld dort hinbringen, wo es dem Einzelnen und der Gesellschaft nützt. Das steht so in unserer Satzung, und das ist unverändert unsere Geschäftspolitik. Gewinn und Wachstum leiten sich bei uns von diesem Ziel der Sinnhaftigkeit des Kapitaleinsatzes ab und stehen damit eindeutig an zweiter Stelle. Die Wirtschaftlichkeit ist eine Nebenbedingung, aber auch eine, die wir immer herstellen müssen, sonst klappt das nicht.

Unter den Zwängen dieser Wirtschaftsordnung: Müssen Sie nicht wachsen, um überhaupt überleben zu können? Könnten Sie auch stagnieren und trotzdem gut weiterexistieren?

Stagnieren geht natürlich nicht. Es geht immer um Weiterentwicklungen, um die Verbesserung von Arbeitsabläufen, um neue Geschäftsfelder. Eine Bank mit wenigen hundert Millionen Euro Volumen, die kann kaum überleben, wenn ich nur daran denke, welchen Dokumentationsaufwand wir für die Aufsichtsbehörden leisten müssen. Allein dafür braucht eine Bank eine bestimmte Größe, damit sie das auch betriebswirtschaftlich stemmen kann. Aber wir haben heute eine Größenordnung, mit der wir nicht unbedingt auf Wachstum angewiesen sind. Bei uns wäre es sogar leichter, wenn wir nicht weiter wachsen würden: Wir müssen ja entsprechend das Eigenkapital mitwachsen zu lassen. Das ist eine Herausforderung. Da wir aber für uns die Aufgabe auch sehen, die Gesellschaft zu verändern, sehen wir unser Wachstum natürlich sehr positiv. Denn wir finden, dass wir mit unserer Arbeit zu diesen positiven Veränderungen beitragen.

Welcher Nachteil hat ein Kunde, der von der Deutschen Bank zur GLS Bank wechselt?

Er hat gar keinen Nachteil, sonst würde er es nicht machen.

Ein Kunde der Deutschen Bank fragt Sie um Rat: Wenn ich zu Ihnen wechsle, welche Nachteile habe ich? Im Rahmen Ihres Transparenz-Gebotes, welche Nachteile würden Sie ihm offen nennen?

Ehrlich gesagt, für den normalen Kunden fiele mir nichts ein. Natürlich können wir dem Zockerkunden mit 500 Millionen Euro, für den wir eine Verzinsung von 15 Prozent erwirtschaften sollten, nichts bieten, das wollen wir auch nicht. Aber: Wir haben durchschnittliche Marktkonditionen. Wir sind beispielsweise in allen technischen Angeboten des Online-Banking schneller am Markt als andere. Also hat der Kunde keine Nachteile. Die vielen Vorteile habe ich ja bereits genannt.

Natürlich können wir dem Zockerkunden mit 500 Millionen Euro nichts bieten.

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Zur GLS Bank kommen vor allem die wohlhabenden Mittelschichten, die Geld übrig haben, um in was Nützliches zu investieren. Die sind gar nicht auf höhere Zinsen angewiesen, weil sie schon genügend Geld haben. So heißt es über Ihre Bank. Stimmt das?

Stimmt nicht. Da die normalen Einnahmen einer Bank auf Dauer wegbrechen, überlegen auch wir, wie alle anderen Banken auch, wie wir uns künftig finanzieren können. Eine Überlegung: Wir verlangen von unseren Kunden einen Grundbeitrag. Deshalb kümmern wir uns momentan ganz intensiv mit der Frage, was unsere Kunden von uns wollen und was sie von einer solchen Gebühr halten. Da ist uns ein Student genauso wichtig wie eine wohlhabende Architektin, eine Verkäuferin oder ein Facharbeiter. Unsere Kunden kommen aus allen Schichten.

Können Sie mir Projekte nennen, die nur Sie finanzieren, die also alle anderen Banken, auch Sparkassen, zu finanzieren ablehnten?

Wir waren die ersten, die Windräder finanziert haben. Wir sind also sehr frühzeitig dabei, wenn es um positive oder notwendige Veränderungen geht. Da sind andere Banken oft nicht dabei, auch weil sie die Expertise dazu gar nicht haben und auch nicht haben wollen. Wir haben uns beispielsweise im ökologischen Landbau eine hohe Expertise angeeignet. Wir können diese Projekte also auch beurteilen, weil wir Erfahrung haben, den Initiatoren dann auch mit Rat helfen. Es geht ja oft nicht nur um Geld.

Sagen Ihnen die Elektrizitätswerke Schönau etwas, die Schönauer Stromrebellen? Heute rennen die Banken den EWS die Bude ein. Alle wollen sie finanzieren, weil sie ein gut aufgestelltes Unternehmen sind. Dabei brauchen sie, weil sie heute so gut aufgestellt sind, gar nicht so viel Geld. Als die EWS jedoch das Netz übernahmen, als das noch riskant und das gute Ende nicht absehbar war, da haben wir für sie einen Risikofonds aufgelegt, haben Bankfinanzierungen übernommen und letztlich mit ihnen zusammen eine Stiftung gegründet. Das Beispiel zeigt: Wir sind bei diesen Themen sehr früh dabei und erarbeiten mit dem Kunden zusammen die Lösung. Keine andere Bank hätte das damals gemacht. Wir haben schon vor 15, 20 Jahren einen Elektrofahrzeughersteller über eine Beteiligung finanziert. Wir sind bereits seit Jahren an der Frage, wie finanzieren wir die ganzen Speichertechniken für die Energiewende.

Ihre Bank ist toll, weil sie ihren Kunden Offenheit, Mitsprache, marktübliche Konditionen bietet, und das Geld weitgehend in gesellschaftlich Sinnvolles investiert und nicht in Rüstungskonzerne und dubiose Finanzprodukte. Die Geschäftsbanken sind am Boden, nicht nur deren Aktienkurse, sondern vor allem deren Reputation. Warum kommen zu Ihnen nur jeden Monat 2.000 neue Kunden und nicht Hunderttausende? Woran scheitern Sie letztlich?

Gute Frage. Die stellen wir uns auch. Denn wir sagen: Wenn wir was verändern wollen, wenn wir als Gesellschaft einen weiteren Crash verhindern wollen, dann müssten tatsächlich viele hunderttausende Bürger zu uns oder zu Banken ähnlichen Typs wechseln. Wenn das so wäre, dann müssten sich ja auch die anderen Banken unter dem Druck dieser Wechselbewegung sehr viel stärker und schneller umorientieren. Aber: Das tun die Bürger derzeit noch nicht.

Eben. Aber warum nicht?

Es gibt Umfragen, die belegen, dass 80 bis 90 Prozent der Deutschen nicht einverstanden sind mit der Art des Bankings, das bei uns heute vorherrscht. Wenn derselbe Befragte jedoch gefragt wird, wie siehst Du Deine eigene Bank, egal welche, dann geht der Prozentsatz der Unzufriedenen auf etwa 40 Prozent herunter. Ich denke, das ist der Streit des Bürgers und des Geldanlegers in jedem Einzelnen. Und diese Widersprüchlichkeit in zig Millionen von uns, bei der in Finanzfragen meist der Geldanleger in uns siegt, die ist noch verdammt stark. Zum Handeln braucht es erst einmal Einsicht. Aber es müssen die Gefühle dazu kommen. Ich muss das Gefühl haben, es widerstrebt mir, Geld in dubiosen Bereichen anzulegen oder gar nicht wissen zu wollen, wo mein Geld wie angelegt wird, welches Unheil es also im Zweifel gerade irgendwo anrichtet.

Wenn wir als Gesellschaft einen weiteren Crash verhindern wollen, müssten tatsächlich viele hunderttausende Bürger zu uns oder Banken ähnlichen Typs wechseln.

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Dann komme ich noch einmal auf die Nachteile zurück, die ein Kunde bei Ihnen hat: Er weiß eben, wenn ich 100 000 Euro für fünf Jahre bei der Deutschen Bank habe, dann habe ich anschließend deutlich mehr Rendite, als wenn ich dieses Geld zu Herrn Jorberg trage. Zu Ihnen kann nur der kommen, der es sich leisten kann. Bedürftige und Geldgierige haben bei Ihnen schlechte Karten.

Ich sage noch einmal: Wir bieten jedem normalen Kunden marktübliche Konditionen. Bei uns kann er auch Aktienfonds zeichnen. Aber richtig ist: Gefühlt ist es so. Der Geldanleger in vielen Bürgern hat noch das Gefühl, wenn ich zu denen gehe, dann entgeht mir ein bisschen mehr Rendite. Denn wenn ein Kunde sich umschaut, dann findet er immer jemanden, der das Girokonto kostenlos anbietet, das tun wir nicht. Und er findet immer jemanden, der einen etwas höheren Zinssatz bietet. Was daraus dort wird, wenn eine Krise kommt, das ist dann eine andere Geschichte.

Sind Sie über die Analyse hinaus auf eine Idee gekommen, wie Sie diese Geldanleger-Sperre in den Bürgern knacken könnten?

Sie dürfen schon nicht vergessen: Wir wachsen ständig beträchtlich. Und das wird auch anhalten. Wir müssen das Wachstum ja auch verkraften. Schließlich wollen wir unsere Qualität halten und unseren Prinzipien treu bleiben. Das wäre mit einem stürmischen Wachstum gar nicht möglich. Unsere Attraktivität würde möglicherweise darunter leiden. Die GLS Bank so groß wie die Deutsche Bank – das wäre ein Albtraum. Eine Bank wie die unsrige darf eine gewisse Größe nicht überschreiten. Mein Lieblingsbild besteht aus einer großen Zahl vielfältiger Banken. Eine solche Bankenlandschaft wäre auch einer Demokratie angemessen und würdig. Keine darf so groß sein, dass sie beispielsweise gewählte Parlamente mit ihrer puren Macht unter Druck setzen kann. Das ist ja gerade eines der großen Probleme, die unsere Gesellschaft mit den Geschäftsbanken hat.

Wenn Sie schneller wachsen, dann gerieten ja andere Banken auch viel schneller in Zugzwang, sich in Ihrem Sinne umzuorientieren.

Die anderen kommen nicht in Not wegen uns. Dazu sind wir zu klein. Wir sind kein bedrohlicher Wettbewerber. Das hat für uns auch einen Vorteil: Uns bekämpft man nicht. Sie lassen uns unsere Nische. Die sagen: Für euch ist das mit der Größe eines Bilanzvolumens von 4,3 Milliarden Euro auch richtig so. Für uns wäre das nichts: Denn wir sind viel größer, haben ganz andere Kunden und wollen viel mehr Geld verdienen. Aber ich füge hinzu: In der Tat ist der Bankenbereich in einer Phase der Disruption. Das heißt, es kann schnell zu großen Veränderungen kommen. Die Lage ist unberechenbar. Es geht um die Existenz. Es tauchen neue Wettbewerber auf. Das bisherige Erlösmodell ist weitgehend dahin. Die Digitalisierung wird die Arbeitsabläufe auf den Kopf stellen. Wer weiß, was in fünf Jahren ist.

Noch einmal: Haben Sie eine Idee entwickelt, wie Sie die Bürger so ansprechen, dass auch der Geldanleger im Bürger Ja zur GLS Bank sagt? Es gibt ja rational keinen Grund, nicht zu Ihnen zu gehen.

Es gibt meines Erachtens nur zwei Treiber von Veränderung. Der eine ist die Einsicht und der andere die Not.

Und die Not besteht in dem nächsten Crash?

Vielleicht. Dann denken Menschen neu und orientieren sich neu und sind möglicherweise froh, dass es Banken mit Geschäftsmodellen wie dem unsrigen gibt, zu denen sie gehen können.

Wenn alle Banken in Deutschland so arbeiten würden wie Ihre: alles transparent, keine Rüstung und keine AKWs finanzieren und so weiter, alle Kredite und Investitionen nach sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten und der Gewinn als zweitrangige Größe – würde die deutsche Wirtschaft dann besser funktionieren denn je oder würde sie kollabieren?

Weder noch. Die Wirtschaft würde sich jedoch recht zügig in eine gute Richtung entwickeln. Es müsste zu keinem Bruch kommen. Jedes Unternehmen müsste, wenn es von einer Bank wie der unseren finanziert werden wollte, sagen können, was ist mein Bild von einer positiven Zukunft. Und das würden wir dann finanzieren, vorausgesetzt das positive Bild kollidierte nicht mit unseren Kriterien. Also Rüstungs- und Atomenergie-Konzerne hätten bei uns schlechte Karten. Aber wir könnten sie mit hoher Expertise bei Produkt-Umstellungen beraten. Oder die müssten dann zu einer anderen Bank gehen, was bei unserer spielerischen Betrachtung dann eine ausländische Bank sein müsste.

Welche Folgen haben die Negativzinsen für Ihre Bank?

Die Negativzinsen sind erst einmal ein Ausdruck dafür, dass es zu viel Geld auf dem Markt gibt. Kurzfristig Geld zur Verfügung stellen ist keine Leistung mehr. Das ist eine Veränderung, deren Dimension weder vom Bankenbereich noch von der Politik noch der Gesellschaft überhaupt schon erfasst ist. Wir haben in den Volkswirtschaften aber nicht nur zu viel Geld. Das zu viele Geld landet zudem nicht dort, wo es gebraucht wird. Es staut sich vielmehr dort, wo es überhaupt keine sinnvolle Verwendung findet, meist auf den Immobilien- und Finanzmärkten. Eine irre Situation.

Und die Folgen für Ihre Bank direkt.

Die Zinsmarge, also die Differenz der Zinssätze, die wir Einlegern geben und unseren Kreditnehmern abverlangen, schrumpft. Bei uns wird sie demnächst von zwei auf ein Prozent gesunken sein. Das bahnt sich seit Jahren an. Noch ist es nicht soweit, aber bald. Und das ist eine dramatische Entwicklung.

Wie reagieren Sie darauf?

Das eine ist: Kosten senken. So wird das bisherige eigentliche Bankgeschäft, also Überweisungen und so weiter, immer stärker technisiert und digitalisiert werden und für den Kunden billiger werden müssen. Damit werden wir aber künftig auch kein Geld mehr verdienen können. Unsere Antwort: Wir müssen unsere Erfahrungen und Expertise bei der Anlage von Geld, beim Aufbau und Ausbau von Projekten und Unternehmen stärker als bisher als Leistungen kommunizieren und dafür dann von unseren Kunden auch einen Beitrag verlangen.

Also eine zusätzliche Gebühr pro Jahr?

Es wird auf einen regelmäßigen Kundenbeitrag hinauslaufen. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir haben auch Zeit, uns darauf einzustellen, denn wir sind in einer guten wirtschaftlichen Lage. Das wird eine qualitativ andere Bankenarbeit werden. Abwicklung, Technik, was bis heute viel mehr im Mittelpunkt steht, das wird künftig am Rande mitlaufen. Ich vermute, andere Banken werden anders reagieren und nur noch ein Produkt anbieten: ganz schlank nur Baufinanzierung oder Autofinanzierung, und das alles auch noch hochautomatisiert. Wir werden beides haben: diesen technisierten und digitalisierten Routine-Sektor und die hochwertige Beratungs- und Gestaltungsarbeit. Die vom Gesetzgeber nach der Finanzmarkt-Krise stark verschärfte Regulierung treibt die Banken sowieso in die Automatisierung, das geht gar nicht anders.

Warum?

Ein Beispiel: Wir müssen heute jeden Kredit ab einer Million Euro melden, mit einigen zusätzlichen Angaben. Bundesbank und EZB erwarten ab dem Jahr 2018, dass wir jeden Kredit ab 25 000 Euro melden. Damit müssen wir faktisch jeden Kredit melden. Und jetzt kommt es: mit insgesamt 105 Angaben zu dem Kreditnehmer selbst.

Diese faktische Totalerfassung ist eine der Maßnahmen, mit der Politik und Finanzaufsichtsbehörden auf die Krise von 2008/2009 reagierten. Richtig?

Ja. Und das hat zwei Hintergründe. Die EZB will faktisch alle Risiken erfassen und nachvollziehen können, um wiederum die Banken genauer steuern zu können. Die praktische Folge: Die Kunden selbst werden in einem digitalisierten Verfahren ihren Kreditwunsch und alle 105 Angaben eingeben müssen. Und da unter den 105 Angaben natürlich auch die entscheidenden Angaben sind, also Bonität des Kunden und so weiter, wird ebenfalls in einem automatisierten Verfahren nach diesen Angaben entschieden – Kredit bewilligt oder abgelehnt. Wir werden in fünf Jahren eine Situation haben, in der auch über vergleichsweise hohe Kredite für mittelständische Unternehmen in einem solchen automatisierten Verfahren entschieden wird.

Alle wollten wegen der Finanzmarktkrise schärfere Kontrollen und Regeln. Ist das in Ihren Augen nun positiv oder negativ? Sie haben selbst ja schon darauf hingewiesen: Die Bürokratisierung wird so sehr ausgeweitet, dass kleinere Banken nicht mehr mithalten können und deshalb Regulierung faktisch den Konzentrationsprozess noch stärker befördert – das Gegenteil dessen, was Sie wollen.

Ich sehe darin tatsächlich eine Fehlentwicklung. Diese Art totaler Kontrolle zementiert das vorhandene System, das sichtbar nichts mehr taugt. Die große falsche Antwort der Politik auf die Finanzmarkt-Krise lautet: Der Mensch ist das Problem, also raus mit dem Menschen, rein mit der Technik. Überlegen Sie mal, was diese Strategie im Grundsatz bedeutet. Alle reden doch von Vertrauen, das wieder aufgebaut werden müsse. Aber die für die Regulierung Verantwortlichen sagen selbst: Wir vertrauen dem Vertrauen nicht. Deshalb wird immer mehr der Technik überantwortet.

Was ist gut an der Regulierung seit 2008/2009?

Dass die Banken ein höheres Eigenkapital nachweisen müssen ist sehr sinnvoll. Denn es stabilisiert die Lage. Es ist zudem richtig, dass die Banken ihre Risiken neu bewerten mussten. Damit reduzierten sie teilweise beträchtlich ihre Bilanzsummen. Richtig ist auch, dass die Liquidität in den Vordergrund rückte, ob eine Bank also für die nächsten Stürme gerüstet ist. Allerdings wurde das dann wieder schlecht umgesetzt.

Warum?

Weil die Messung und Bewertung der Liquidität für alle Banken gleich angelegt ist. Alle werden gleich bewertet das ist doch absurd.

Wenn Sie abwägen, was überwiegt bei der neuen Regulierung: das Positive oder das Negative?

Das systemische Risiko ist meines Erachtens mit den zusätzlichen Regulierungen höher als zuvor. Weil das Mehr an Regulierung aus einer gleichmacherischen Technisierung besteht, die alle Akteure in der Banken- und Finanzwelt im Falle von Krisen zu denselben Verhaltensweisen zwingt. Hier müssen wir das gesamte System grundlegend stabilisieren und reformieren.

Wenn alle so weitermachen wie heute: Wann kommt der nächste Crash?

Das ist schwer zu sagen. Was wird der nächste Auslöser sein? Keiner weiß das. Was alle wissen beziehungsweise alle wissen könnten: Die Krisen des heutigen Systems haben nicht nur ganz schlimme soziale Folgen. Das System selbst ist nicht mehr leistungsfähig. Die verzweifelten Aktionen der EZB, die sprechen doch Bände. Hilflosigkeit pur. Wir haben zu viel Geld, erstes Problem, und das zweite Problem: Es kommt nicht dort an, wo es gebraucht wird, sondern wird in Finanz- und Immobilienspekulationen verpulvert. Wenn die reichste Nation der Welt es sich nicht mehr leisten kann, ihre Brücken zu sanieren, ganz zu schweigen von Kindergärten, Schulen, Bildung und Kultur – dann läuft etwas grundsätzlich schief.

Die verzweifelten Aktionen der EZB sprechen Bände: Hilflosigkeit pur.

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Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder kracht?

Möglicherweise.

Was ist die entscheidende Maßnahme, welche die EU-Kommission, die wichtigsten EU-Regierungen ergreifen müssten, um diesen nächsten Crash zu verhindern?

Die Verteilungsfrage ist die Kernfrage. Und die hat nichts mehr mit Neid oder sonst etwas zu tun. Es ist einfach so, dass wenige Menschen ungeheuer reich sind, und dieser ungeheure Reichtum fließt in unnütze Finanzspekulationen. Diese einseitige Verteilung richtet inzwischen große volkswirtschaftliche Schäden an. Würde das Geld anders verteilt, es wäre kein Problem, alle sozialen Bedürfnisse in Europa zu befriedigen. Und keiner würde Schaden nehmen, keiner.

Doch: Die Reichen, wenn deren Geld via einer Reichensteuer abgeschöpft wird, damit die Öffentlichkeit das Geld in die allgemeine Infrastruktur investieren kann.

Ich widerspreche Ihnen. Mein beispielhafter Rat an einen Milliardär geht so: Sie haben 100 Milliarden Euro Vermögen und klagen, Sie kriegen keine Zinsen mehr dafür. Rein marktwirtschaftlich gedacht: Verschenken Sie 50 Milliarden direkt für gemeinnützige Zwecke. Sie können mit dem Geld doch nichts anfangen. Der Staat baut dafür Schulen, saniert Brücken, und so weiter. Wir kennen alle die lange Liste der berechtigen Bedürfnisse. Und weil dann die wirtschaftliche Lage eine grundlegend andere ist, werden Sie für Ihre restlichen 50 Milliarden wieder gute Zinsen erhalten. Deshalb sage ich: Es gibt Lösungen, die aus dieser verheerenden Lage herausführen, bei denen die Reichen keinen Schaden erleiden, auch wenn sie die Hälfte ihres Geldes an den Staat verschenken.

Da wir es gerade von den Reichen haben: Das Vorstandsmanagement der Deutschen Bank verdient nach öffentlichen Angaben immer so 30 bis 40 Millionen Euro pro Jahr. Wobei niemand weiß, was noch an Boni und Rückstellungen für die Millionen-Rente für jeden Einzelnen hinzukommen. Wo liegen Sie und Ihre Kollegen so ungefähr?

Die Vorstandsgehälter werden jedes Jahr veröffentlicht. Derzeit liegen sie bei 250.000 Euro.

Das Interview führte:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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