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Thyssenkrupp und Tata Steel fusionieren: Der OXI-Überblick

20.09.2017
Arnoldius, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Eine Fusion in der europäischen Stahlindustrie schreckt die Belegschaften auf. Was bedeutet die Zusammenlegung des Stahlgeschäftes von Thyssenkrupp und Tata Steel? Was sagen Gewerkschaften und Politik? Der OXI-Überblick.

Thyssenkrupp und Tata Steel wollen ihr europäisches Stahlgeschäft zusammenlegen. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde am Mittwoch unterzeichnet. Es geht wie immer bei solchen Fusionen um Einspareffekte – diese beziffert Thyssenkrupp mit 400 bis 600 Millionen Euro im Jahr. Wo wird gespart? Nicht zuletzt bei den Beschäftigten. Der neue Konzern werde rund 48.000 Mitarbeiter an 34 Standorten beschäftigen – es werden also voraussichtlich bis zu 2.000 Stellen in der Verwaltung und bis zu 2.000 in der Produktion abgebaut. Die Verluste sollen etwa hälftig in beiden Mutterunternehmen anfallen.

Verpackt wird das in wohlklingende Worte: »Mit dem geplanten Joint Venture geben wir den europäischen Stahlaktivitäten von thyssenkrupp und Tata eine nachhaltige Zukunftsperspektive«, wird Heinrich Hiesinger, Vorstandschef der Thyssenkrupp AG zitiert. Natarajan Chandrasekaran, Chairman von Tata Steel, sagte: »Die Partnerschaft ist ein bedeutsamer Moment für beide Unternehmen.« Die Verhandlungen über die Fusion sollen bis Anfang 2018 abgeschlossen sein. Die Mitbestimmungsstrukturen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien bleiben erhalten. Jährlich soll das neue Unternehmen einen Umsatz von etwa 15 Milliarden Euro erzielen und etwa 21 Millionen Tonnen Flachstahl verkaufen. Es müssen noch Aufsichtsgremien beider Konzerne sowie die EU-Kommission zustimmen.

Stahlindustrie: Überkapazitäten und Importdruck

»Die Stahlindustrie in Europa steht seit Jahren vor großen Herausforderungen: Die Nachfrage nach Stahl entwickelt sich wenig dynamisch. Das Angebot ist geprägt von strukturellen Überkapazitäten und stetig hohem Importdruck. Dies führt zu erheblichen Unterauslastungen in verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette. Alle Hersteller stehen somit unter Druck ihre Anlagen auszulasten und müssen Restrukturierungserfolge immer wieder an den Markt abgeben. Es entsteht eine Abwärtsspirale, die etwa alle drei bis vier Jahre neue Restrukturierungen erforderlich macht und mittelfristig wesentliche Produktionsanlagen in der Existenz bedroht«, so lautet die Einschätzung der Marktlage in der Branche bei Thyssenkrupp.

Dahinter zeichnet sich eine Strategie des Konzerns ab, der für Duisburg so wichtig ist – rund 18.000 Stellen hängen dort direkt am Stahl. »Thyssen-Krupp will weg vom Stahl«, hieß es aber schon im Sommer in der »Frankfurter Allgemeinen«. Trotz aller Sparprogramme, die auch der Belegschaft große Opfer abverlangen, gelinge es dem Unternehmen »nicht, die Kapitalkosten zu erwirtschaften. Riesige Überkapazitäten belasten den Markt, vor allem die Flut von Billigstahl aus China drückt die Preise.« Zudem wirkten sich »der amerikanische Stahl-Protektionismus« aus, schärfere EU-Klimaschutzauflagen und steigende Stromrechnungen bedeuten zusätzliche Kosten. Daher werde sich künftig der »Konzern ganz auf seine ertragsstärkeren und konjunkturstabileren Technologiesparten konzentrieren«, darunter Aufzüge und Fahrtreppen, Bauteile für die Autoindustrie, Industrieanlagen und Marineschiffe. In den USA und Brasilien hat Thyssenkrupp bereits Stahlwerke veräußert.

Bei der IG Metall liest man über die Branche: »Roheisen, Rohstahl, warmgewalzte Stahlerzeugnisse und Stahlrohre – das sind die Erzeugnisse, die von knapp 75.000 Beschäftigten in der deutschen Stahlindustrie hergestellt werden. Stahl ist mit der wichtigste Werkstoff der deutschen Industrie. Abnehmer sind die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau, die Metallverarbeitung, der Schiffbau, die Luft- und Raumfahrt, die Elektrotechnik und das Baugewerbe.«

Bei den Gewerkschaften und beim Betriebsrat herrschte bereits länger Alarmstimmung. Bereits geplant ist eine Demonstration am Freitag, bei der gegen die Stahlfusion zwischen Thyssenkrupp und dem indischen Konkurrenten protestiert werden sollte. Thyssenkrupp-Stahl-Betriebsratschef Günter Back sagte, er rechne mit einer geschlossenen Ablehnung durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, der am 24. September tagen soll. Aufsichtsratschef Ulrich Lehner müsste dann von seinem doppelten Stimmrecht Gebrauch machen, um ein Ja zur Fusion durchzusetzen. Back forderte eine alternative Lösung für die europäische Stahlsparte des Konzerns – eine, bei der nicht Arbeitsplätze und Standorte in der Bundesrepublik in Gefahr geraten. Er sprach von »Druck in den Belegschaften«.

Schon im Juli hatte Thyssenkrupp erklärt, in den nächsten drei Jahren seine Verwaltungskosten um 400 Millionen Euro auf zwei Milliarden Euro reduzieren. Damals war die Rede davon, weltweit 2.000 bis 2.500 Stellen zu streichen, die Hälfte davon in der Bundesrepublik. Der IG Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler, sagte seinerzeit, es seien »alternative Strategien« gefragt, die »Entwicklungskonzepte statt Personalabbau« beinhalten. »Fast im Wochentakt« werde bei Thyssenkrupp über Restrukturierungen und Fusionen gesprochen. »Das führt zu einer erheblichen Verunsicherung der Beschäftigten. Wir wollen Konzepte und Lösungen, mit denen die Arbeit an den Standorten gesichert werden kann«, so die IG Metall. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Willi Segerath sprach damals davon, dass sich das Unternehmen »zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sowie der Einhaltung geltender Tarifverträge und Konzernvereinbarungen bekennen« müsse – und forderte Kürzungen  »mit Vernunft und Augenmaß«, was immer das bedeuten könnte.

Im »Handelsblatt« weist der NRW-Metaller Giesler die Argumentation des Konzerns, Europas Stahlindustrie komme wegen der Überkapazitäten an einer Konsolidierung nicht vorbei, zurück: »Deutschlands Hütten sind voll ausgelastet«, wir der Gewerkschafter dort zitiert. »Wenn hier Kapazitäten stillgelegt werden, kommt der Stahl nach einer Fusion mit Tata von dort oder aus China – das macht doch keinen Sinn.« Die Zeitung schreibt weiter: »Dennoch ist auch der Arbeitnehmerseite klar, dass eine Fundamentalopposition nicht zielführend ist. Die weltweiten Überkapazitäten lassen sich nicht wegdiskutieren und der nächste Abschwung ist in der zyklischen Branche vorprogrammiert.«

Gabriel sieht noch Alternativen zur Fusion

Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel von der SPD hatte sich in die Fusionsdebatte eingeschaltet. Nach einem Treffen mit Betriebsräten und Vertrauensleuten der IG Metall in Duisburg sagte er, »es gibt Alternativen dazu. Es gibt nationale, über die man reden kann, es gibt internationale, es gibt im Konzern Alternativen. Ich glaube, dass vieles für die Argumente der Betriebsräte spricht, dass das eine Sackgasse ist, dass dabei ein schlechtes Geschäft für Thyssen-Krupp rauskommt und große Gefahren für den Stahlstandort.« Gabriel sagte zudem in der »Westdeutschen Allgemeinen«, gegen die Arbeitnehmer sei »keine Lösung denkbar«. Falls es zu einer Fusion komme, müsse eines klar »sein: der Konzern- und Unternehmenssitz von ThyssenKrupp muss im Ruhrgebiet bleiben«. Die Konzerne teilten nun aber mit, dass das fusionierte Unternehmen »über eine schlanke Holding mit Sitz in den Niederlanden geführt werden« soll.

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