Wirtschaft
anders denken.

Überirdische Geldtürme sollen Wirtschaft in Schwung bringen

22.02.2017
EZB-Präsident Mario Draghi an einem Tischmit Namensschild und MikrofonFoto: European Parliament / Flickr CC-BY-NC-ND 2.0 LizenzEZB-Präsident Mario Draghi.

Mehr Zentralplanerin als Zentralbank – die EZB eignet sich immer mehr Aufgaben an, für die gewählte Regierungen zuständig sind. Und übernimmt sich dabei.

EZB-Präsident Mario Draghi wirft mit Geld nur so um sich: Die Bilanz seiner Zentralbank schwoll in wenigen Jahren von 500 auf 3.000 Milliarden Euro an. In großem Stil kauft sie Staats- und Firmenanleihen auf, übernimmt so die Schulden und schleust Hunderte Milliarden Euro in den Geldkreislauf. In großen Banknoten gestapelt, würde Draghis Geldturm Tausende Kilometer in den Himmel reichen – überirdisch. Das Ziel: Unternehmen und KonsumentInnen sollen mit viel billigem Geld zum Kaufen, Bauen und Investieren angeregt werden.

Nun ist die Teuerungsrate beispielsweise in Deutschland auf 1,7 Prozent gesprungen, den höchsten Wert seit Jahren. ÖkonomInnen fordern deshalb von der Zentralbank, die Geldflut zu beenden. Selbst unter linken WirtschaftswissenschaftlerInnen (zusammengeschlossen in der EuroMemo-Gruppe), die traditionell für eine expansive Geldpolitik plädieren, heißt es, diese Geldpolitik sei »am Limit«. Ihr Argument: Noch mehr billiges Geld heize nur Aktienkurse und Immobilienpreise an, beflügle jedoch nicht die Wirtschaften der Eurozone.

Doch die EZB-Spitze zögert, ihren bisherigen Kurs zu verlassen. Dafür gibt es fachliche Gründe. Draghis ExpertInnen zweifeln, dass die Preise auf Dauer steigen. In der Tat sind die jetzigen Steigerungen vor allem auf den zuletzt stark erhöhten Ölpreis zurückzuführen. Ohne diesen Sonderfaktor ist die Preissteigerung sehr niedrig. Der Bankanalyst Marco Wagner von der Commerzbank: »Die Kern-Preissteigerungsrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise wird unserer Einschätzung nach sogar unter einem Prozent verharren.«

Negativbeispiel Japan

So liegt das Ziel der EZB unverändert in weiter Ferne. Sie strebt nämlich auf mittlere Sicht eine Inflationsrate »unter, aber nahe zwei Prozent« an. Ähnlich hohe Zielmarken streben weltweit nahezu alle wichtigen Zentralbanken an. Warum eigentlich? Schließlich besteht die originäre Aufgabe von Notenbanken – seit Gründung der Schwedischen Reichsbank im Jahre 1656 – darin, für solides, also für wertstabiles Geld zu sorgen. Das ist jedoch nach herrschender Lehrmeinung nur möglich, wenn Euro, Dollar und Yen unter »ein bisschen Inflation« leiden. Die Zentralbanker erwarten, dass (moderat) steigende Preise die Nachfrage und damit die Wirtschaft ankurbeln. Diese Erwartung ist plausibel, wie folgende Annahme zeigt: Wenn Preise stagnieren oder fallen, dann werden KonsumentInnen abwarten, könnte das neue Smartphone doch übermorgen noch billiger sein; und Unternehmen werden in solchen Phasen nicht modernisieren oder Kapazitäten erweitern.

Das Negativszenario sind sinkende Preise und niedrige Zinsen. Das Beispiel Japan: Nach dem Platzen einer Immobilien- und Börsenblase 1989 stagnierten dort lange Zeit die Preise, teilweise fielen sie sogar. Die japanische Wirtschaft versank für Jahrzehnte im Tiefschlaf einer deflationären Depression – obwohl die japanische Zentralbank die expansivste Geldpolitik der Welt betrieb. Im Kern dreht sich alles um die Frage, wie sich Wirtschaftswachstum und Produktivität steigern lassen: besser mit niedrigen Zinsen und höheren Preisen? Oder mit höheren Zinsen und stabilen Preisen? Und es bleibt die Frage: Lässt sich die Realwirtschaft von der Geldpolitik überhaupt so stark beeinflussen?

Die EZB finanziert faktisch mit ihren Anleihenkäufen EU-Länder und Konzerne.

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Tatsächlich gehört es zur Aufgabe der US-Notenbank FED, die Wirtschaft anzukurbeln, Aufgabe der EZB ist das aber nicht. Trotzdem hat sie ihr Tätigkeitsfeld ständig ausgeweitet. »Mit einem minimalistischen Mandat gestartet, ist die Europäische Zentralbank heute allgegenwärtig im Finanzsystem der Eurozone«, schreibt das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in einer Studie.

Mit dem Vertrag von Maastricht hatten Europas Regierungen im Jahr 1992 die Zentralbank allein mit dem Auftrag versehen, die Geldwertstabilität sicherzustellen. Daran hat sich nichts geändert. Aber im gelebten Leben sei das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen, kritisiert der Kölner Max-Planck-Forscher Benjamin Braun. Die EZB habe sich »vom Geiste« ihres Mandats längst verabschiedet. Braun: »Heute erinnert die EZB eher an eine Zentralplanerin als an eine Zentralbank.«

Finanzpolitik entmachtet

Sie ist kein Einzelfall. Überall auf der Welt, so Braun, seien Aufgaben und Aktivitäten der Zentralbanken angeschwollen. Diese »konsequent expansive Logik« der Zentralbanker sei Folge der sich stark ausdehnenden Finanzmärkte. Der Wirtschaftswissenschaftler Jörg Huffschmid (im Jahr 2009 gestorben) hatte bereits vor etwa zwei Jahrzehnten kritisch auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht: Die Politik deregulierte (erst in den USA) das Bankensystem und baute nach und nach die Kapitalverkehrskontrollen ab. So entstand in den 1980er Jahren der sogenannte »finanzmarktgetriebene Kapitalismus«, in dem Banken, Versicherungen und Hedgefonds eine zunehmend wichtigere Rolle spielten. Als Ende der 1980er Jahre die EU-Regierungen die »Einheitliche Europäische Akte« verabschiedeten, schafften sie damit auch alle Kapitalverkehrskontrollen ab. Die Folge: Jedes Unternehmen kann sein Kapital dorthin verlagern, wo es die besten Gewinnraten erhält; so wurde ein Steuerdumping zugunsten der Unternehmen in Gang gesetzt.

Wäre ohne Draghis Geldpolitik alles noch schlimmer? Beweisen lässt sich das nicht.

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Ein Paradigmenwechsel hat stattgefunden: Die Finanzpolitik – bisher das Instrument von Parlamenten und Regierungen, um Volkswirtschaften zu steuern – wurde entmachtet, die Zentralbanken zu scheinbar allmächtigen Zentralplanern. Der Max-Planck-Forscher Braun: »Eine Umkehr ist nicht absehbar.«

Heute erinnert sich niemand mehr daran, dass die EZB nur für einen stabilen Geldwert zuständig ist. Politik und Öffentlichkeit erwarten wie selbstverständlich, dass sie mit niedrigen Leitzinsen versucht, die Wirtschaft anzukurbeln. Das geht so weit, dass sie faktisch einzelne EU-Staaten und Konzerne in allen EU-Staaten finanziert: denn sie kauft mit vielen Milliarden Euro deren Anleihen auf. Damit nicht genug: Vor zwei Jahren wurde die EZB auch noch zur Bankenaufsichtsbehörde. Seither kontrolliert sie die 130 wichtigsten von etwa 6.000 Banken in der Eurozone.

Was kann die EZB tun?

Was kann die EZB tun? Sie kann weitermachen wie bisher: noch länger noch mehr Anleihen aufkaufen. Keynesianisch orientierte Wirtschaftswissenschaftler wie Peter Bofinger, einer der fünf »Wirtschaftsweisen«, loben: Ohne Draghis Geldpolitik wäre alles noch schlimmer gekommen. Weniger Investitionen, mehr Arbeitslose. Aber: Beweisen lässt sich dies nicht. Es steht nur fest: Die heutige Wachstumsrate der Weltwirtschaft, insbesondere in den westlichen Ländern, ist niedriger als vor der Finanzmarktkrise 2008/2009 – trotz einer historisch einmaligen Niedrigzinspolitik. Die Gründe dafür müssen woanders liegen, denn billiges Geld ist genug da. Dennoch fordert Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Forschungsinstitutes IMK: »Der Euroraum braucht die expansive Geldpolitik der EZB weiter zum Überleben.« Denn die Lage der Weltwirtschaft habe sich »nicht gerade verbessert«. Aber ist das wirklich der Job von Mario Draghi? Oder verschafft er den Regierungen in der Eurozone nur ein Alibi – zum Nichtstun?

Jan Tinbergen (1903-1994), der erste Wirtschaftsnobelpreisträger, schlug vor: Jede öffentliche Institution solle nur ein Ziel verfolgen. Die Aufsicht über große Banken könnte so besser eine gestärkte Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) führen. Und die Wirtschaft zu pushen, das wäre Aufgabe der EU-Regierungen mit einer auf Stimulierung der Wirtschaft ausgerichteten Steuer- und Ausgabenpolitik. Und deren ehrenwerter Job wäre es auch, endlich den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus – siehe oben – wieder an die Kandare zu nehmen.

 

Der Beitrag erschien in der Februarausgabe/2017 von OXI.

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Geschrieben von:

Hermannus Pfeiffer

Wirtschaftspublizist

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