Lohndiebstahl: Unbezahlte Überstunden. Der OXI-Überblick
Beschäftigte in der Bundesrepublik haben 2016 fast eine Milliarde unbezahlter Überstunden geleistet. Das ist nicht nur ein Problem der Verteilung von Erwerbsarbeit, es ist auch eines mit einem Gewinner: den Unternehmen. Der Lohnklau lässt sich beziffern: 20 Milliarden Euro an Entgelt wurden vorenthalten.
Beschäftigte in der Bundesrepublik haben 2016 fast eine Milliarde unbezahlter Überstunden geleistet. Diese Zahl ist macht jetzt nach einer Vorabmeldung der»Bild«-Zeitung Schlagzeilen. Wie man darüber hinaus aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion erfährt, lag die Gesamtzahl der geleisteten Überstunden einschließlich bezahlter Mehrarbeit bei etwa 1,7 Milliarden Stunden. Ähnliche Daten wurden schon früher gemeldet – was die Sache nicht weniger skandalös macht.
Dies aus mindestens zwei Gründen: Erstens, weil sich in der Zahl der Überstunden laut dem Bericht insgesamt ein Gegenwert von etwa einer Million zusätzlicher Vollzeitstellen verbirgt, die besetzt werden könnten oder müssten, wenn die bereits Beschäftigten nicht über die vertragliche Arbeitszeit hinaus tätig wären. Hierzu zitiert die »Bild« die Linkspolitikerin Jutta Krellmann: »Die einen arbeiten bis zum Umfallen, die anderen haben keine oder zu wenig Arbeit.« Also: »Überstunden schaden uns allen.«
Dies gilt jedenfalls für die Beschäftigten und die Erwerbslosen. Denn zweitens haben die Unternehmen einen beträchtlichen und bezifferbaren Vorteil davon. Den hat der Deutsche Gewerkschaftsbund im Sommer ausgerechnet: »Legt man das durchschnittliche Brutto-Monatseinkommen von 3.700 Euro bei Vollzeitbeschäftigten zugrunde«, so der DGB unter verweis auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, »das einem Brutto-Stundenlohn von rund 23 Euro entspricht, so wurden den Beschäftigten allein im Jahr 2016 mehr als 20 Milliarden Euro an Entgelt vorenthalten – trotz zusätzlicher Arbeitsleistung.«
Das ist nichts anderes als Lohndiebstahl
Als die hohe Zahl unbezahlter Überstunden unlängst schon einmal Thema in der ARD war, kritisierte der Chef des Gewerkschaftsverbandes DGB, Reiner Hoffmann, »das ist nichts anderes als Lohndiebstahl, den die Arbeitgeber an ihren Beschäftigten üben. Da müssen dringend wirksame Maßnahmen ergriffen werden, damit Tarifverträge oder zumindest gesetzliche Mindestanforderungen eingehalten werden.«
Es gibt verschiedene Gründe, Überstunden zu leisten. Laut dem IAB-Institut der Bundesagentur haben Überstunden bei Arbeitern eine höhere Bedeutung als unbezahlte Überstunden. »In der Gruppe der Angestellten werden bezahlte Überstunden in einem geringeren Umfang geleistet, während der Umfang unbezahlter Überstunden mit dem Tätigkeitsniveau und der Position in einem Betrieb ansteigt.« In einer Kurzstudie von 2014 heißt es weiter: »In den Wirtschaftsbereichen des industriellen Sektors fallen bezahlte Überstunden in größerem Umfang an als in den Wirtschaftsbereichen des Dienstleistungssektors. Hingegen fällt die Anzahl der unbezahlten Überstunden in einigen Wirtschaftsbereichen des Dienstleistungssektors höher aus als im industriellen Sektor.«
Je länger die Arbeitszeit ohnehin schon, desto mehr Überstunden
Laut der nun kolportierten Zahlen der Bundesregierung, über die »Bild« jetzt berichtet, leisten Frauen 30,8 Prozent und Männer 69,2 Prozent dieser unbezahlten Überstunden. Schaut man sich an, wer am meisten unbezahlt arbeiten muss, so sind dies laut DGB vor allem jene Beschäftigten, die ohnehin schon überlange Arbeitszeiten haben: Etwa jeder dritte Beschäftigte in dieser Gruppe leiste sehr häufig oder oft unbezahlte Arbeit. Die Gewerkschaft: Je länger die tatsächliche Arbeitszeit ausgedehnt wird, desto häufiger arbeiten die Beschäftigten zum Nulltarif.
Die Zahl der Überstunden lag in den vergangenen Jahren auf einem hohen Niveau, sie ist allerdings seit 2011 leicht zurückgegangen. Besonders hoch lag die Zahl der unbezahlten Überstunden laut DGB in den Jahren 2006 bis 2001 – mit Werten zwischen 1,1 Milliarden und 1,25 Milliarden Stunden. Die Zahl der bezahlten Überstunden ist in der letzten großen Krise 2008/2009 zunächst deutlich zurückgegangen, sie stieg dann aber 2011 wieder stark an.
Im Internet finden sich leicht differierende Zahlen. In einer Übersicht über die bezahlten und unbezahlten Überstunden von 2000 bis 2016 bei Statista lag die Zahl der unbezahlten im vergangenen Jahr mit den nun auch von »Bild« wieder berichteten 947 Millionen auf dem niedrigsten Stand des Zeitraumes. Auf dasselbe Ergebnis kommt der DGB – allerdings bei etwas anderen Jahreswerten.
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