Wirtschaft
anders denken.

Ulbricht, Honecker und die Haushofmeister: Was war Wirtschaftspolitik in der DDR?

07.03.2018
Bundesarchiv, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DEWerkseingang zum VEB Petrolchemisches Kombinat (PCK) in Schwedt/Oder

Die DDR-Ökonomie wird meist als »Mangelwirtschaft« bezeichnet. Das hilft  linker ökonomiekritischer Selbstaufklärung nicht viel weiter. Was hieß für die SED »Wirtschaftspolitik«? Über das Scheitern des Plans »als Befehl und Fiktion«.

Wer in »Meyers Universallexikon« von 1980, herausgegeben vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig, die »Wirtschaftspolitik« sucht, wird enttäuscht. Zwar wird die »Wirtschaft« dort als »wichtigster Teilbereich und Basis aller anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens« bezeichnet; auch erfährt man, dass sie »die Produktion, die Verteilung, den Austausch und die Konsumtion« umfasst und dass ihr Charakter »vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte und von den herrschenden Produktionsverhältnissen bestimmt« wird.

Zwischen »Wirtschaftspatent« und »Wirtschaftsprognose« fehlt dann allerdings das hier interessierende Stichwort. Keine »Wirtschaftspolitik« in der DDR? Und das in einer Zeit, in der die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« schon seit neun Jahren in jedem zweiten offiziellen Satz der SED-Oberen auftauchte?

Dieser Text ergänzt den aktuellen OXI-Schwerpunkt über linke Wirtschaftspolitik. Die Printausgabe ist seit Dienstag am Kiosk – was da drinsteht und wo man es kaufen kann, findet sich hier.

Gesetzmäßigkeit der Menschheitsentwicklung

Die Sache ist nicht so einfach zu erklären. Einerseits dominierte anfangs in der DDR ein »kommunistisches Verständnis von Wirtschaftsprozessen«, so hat es der Historiker Jörg Roesler einmal genannt: Iim Übergang von der kapitalistischen Markt- zur sozialistischen Planwirtschaft« betrachteten die SED-Oberen »eine von Karl Marx und Friedrich Engels formulierte Gesetzmäßigkeit der Menschheitsentwicklung«.

Auf dem Weg dorthin ging es mithin auf der Ebene des Politischen nicht zuerst um konkurrierende wirtschaftspolitische Vorstellungen, sondern um die »richtige« Planung. Dies umso mehr, als dass nach dem Weltkrieg und unter den Bedingungen des Neuanfangs eine Politik der staatlichen Lenkung der Wirtschaft durchaus nahe lag. Sie war auch in den »bürgerlichen Parteien« populär – dort unter dem Motto: »Wirtschaftsplanung in der Not, freie Wirtschaft nach ihrer Überwindung«. Allerdings war damit spätestens 1948 Schluss, die Entscheidung zugunsten einer zentralen Planungssteuerung war gefallen.

Hypotheken und Einflussgrößen

Die Wirtschaftspolitik der SED, wenn man das so nennen möchte, war mit einer schwer kriegsgeschädigten industriellen Basis, mit Kapazitätsverlusten durch Demontagen, einer deutlich geringen Arbeitsproduktivität konfrontiert. Das erschwerte nicht nur den Wiederaufbau – es war gleichsam eine Hypothek, die auch später eine der entscheidenden Einflussgrößen auf die politische Steuerung der Ökonomie blieb.

Andere solche Faktoren waren die Abhängigkeit von Moskauer Vorgaben, die Einbettung in einen kapitalistischen Weltmarkt, Planungsdirektiven innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Und: Die SED verfolgte mit der Steuerung von Wirtschaftsprozessen, Proportionalitäten und Ergebnisvorgaben immer auch innenpolitische Ziele – die Ökonomie wurde als Hebel betrachtet, zum Beispiel für mehr Zustimmung zum politischen Status quo durch Hebung des Lebensstandards zu sorgen.

Schwierigkeiten einer doppelten Übergangsperiode

Gerade hier zeigten sich die Schwierigkeiten einer doppelten Übergangsperiode aus Rekonstruktion und Ausrichtung der wirtschaftlichen Basis einerseits sowie dem übergeordnetem politischen Mantra (Aufbau des Sozialismus) andererseits. Planvorgaben konnten nicht gehalten werden, die Ergebnisse kollidierten mit den Bedürfnissen der Mehrheit, Widersprüche zwischen sozialpolitisch motivierten Ausgaben und notwendigen Investitionen wurden größer.

Dass man in den 1960er Jahren dann doch auf eine vorher aus politischen Gründen abgekanzelte Reformkonzeption zurückgriff, mag man sogar als wirtschaftspolitische Flexibilität betrachten. Mehr Spielraum für »echte wirtschaftliche Betätigung« der Betriebe, materielle Anreize, wenn man so will: mehr Markt hießen aber auch weniger Zugriffsmöglichkeiten für den Apparat.

Spielraum für »echte wirtschaftliche Betätigung«

Dass das 1963 offiziell verabschiedete »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung« 1971 wieder kassiert wurde, hatte denn auch mit den politischen Innereien der SED mehr zu tun als mit wirtschaftlicher Rationalität. Im Gegenteil: Das in der Nachfolge verfolgte Konzept der »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« sah zwar Ziele wie die Steigerung der Produktivität und die Verbesserung des Lebensstandards vor. Das Problem war aber, dass dafür die reelle ökonomische Basis fehlte – jedenfalls war die Decke immer deutlich zu kurz. Zog man hier, stak dort etwas heraus.

Im Rückblick ist die Geschichte der DDR oft in einfache Schwarz-Weiß-Raster gepresst worden, die politisch nicht zuletzt dazu dienen sollen, die heute herrschenden Verhältnisse heller strahlen zu lassen. Das ist keine Zurückweisung der Kritik an den autoritären Zurichtungen des SED-Systems. Aber weder aber lässt sich die DDR-Ökonomie einfach auf den Zerrbegriff der »Mangelwirtschaft« bringen, noch helfen solche retrospektiven Urteile linker ökonomiekritischer Selbstaufklärung weiter.

Die Frage, wie sich Wirtschaft demokratisch und unter gesellschaftlich verabredeten Gesichtspunkten sozial und ökologisch ausrichten lässt, ist weiterhin offen. Und ohne Beantwortung dieser Frage wird manchen Debatte um eine andere Zukunft das Fundament fehlen. Zumal auch heutige progressive Ideen unter dem Vorbehalt ökonomischer Realisierbarkeit stehen. Ein Grundeinkommen muss erst einmal erwirtschaftet werden. So wie die öffentliche Subventionierung von Wohnungen oder anderen Grundbedürfnissen in der DDR.

Ein Gesprächsband bringt viel Licht in die Sache

Den bisher vielleicht besten Einblick in die Widersprüche, Bedingungen, Fehlurteile und parteipolitischen Irrationalitäten der DDR-Wirtschaftspolitik bietet ein bereits 1995 erschienener Gesprächsband mit den wichtigsten Protagonisten der DDR in diesem Bereich: Der ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen, Günter Mittag, gibt dort ebenso Auskunft wie Planungsfunktionäre wie Gerhard Schürer und Siegfried Wenzel, Akademiker wie Helmut Koziolek oder der Minister Wolfgang Rauchfuß.

Die Autoren, allesamt Historiker und Sozialwissenschaftler aus dem Westen, haben mit zehn leitenden Wirtschaftsfunktionären der DDR sehr ausführliche Gespräche geführt – im Jahr 1993. Es steckt in diesen Interviewprotokollen also auch schon eine Verarbeitung des Scheiterns der DDR, auch der jeweils eigenen Rolle dabei. »Ziel war es, die Struktur der Entscheidungsprozesse zu erkunden, die informellen Beziehungen und die Kriterien der Willensbildung zu analysieren«, heißt es zu dem Buch.

Es ist heute eines der lesenswertesten Dokumente über das, was man Wirtschaftspolitik der DDR nennen kann. Die »Süddeutsche« merkte in ihrer Rezension zu dem Band damals übrigens an, »die hier publizierten Gespräche vermitteln ein drastisches Bild der Machtkämpfe hinter den Kulissen, der Entscheidungsstrukturen und Anpassungszwänge im Planungsgefüge, das sich unseren gewohnten Vorstellungen absolut verschließt. Insofern ist dies ein umfassendes Buch«.

»Ihr habt die Mobilisierung der Arbeiterklasse nicht berücksichtigt«

»Die Vorgabe war«, so erzählt dort Wenzel, »man braucht ein Wachstum von vier bis fünf Prozent des Nationaleinkommens für die Erfüllung der gesteckten sozialpolitischen Ziele«. Aus Sicht der Ökonomen war das oft schier unerreichbar, fehlorientiert oder ökonomisch unsinnig. Doch die SED-Spitze pochte auf Vorgaben in ihrem politischen Sinne: »Ihr habt die Mobilisierung der Arbeiterklasse nicht berücksichtigt«, hieß es dann. Oder es wurde mit Sanktionen gedroht, wenn die Planungsbürokratie skeptischer war als das Politbüro.

Ein solcher wirtschaftspolitischer Voluntarismus trieb seine Blüten. »Die Rechner, wie sie uns sahen«, so erzählt in dem Band Planer Wenzel, »waren immer verpönt. Ulbricht sagte einmal, die Politiker müssen die Bilanzen brechen.« Ein geflügeltes Wort ging um, dem zufolge die SED-Spitze die Position vertrete, »wenn die Pharaonen ihre Haushofmeister gefragt hätten, ob die Pyramiden baubar sind, hätten die auch gesagt, dass das nicht geht.«

Hierin liegt sicher nicht die einzige Schwäche der DDR-Ökonomie – aber eine zentrale. Der marxistische Politikwissenschaftler Georg Fülberth hat einmal vier Ursachen für das Scheitern des Realsozialismus benannt: Überlegenheit des Westens im Kalten krieg, Effizienzmangel durch Demokratiedefizit, imperialistische Vermachtung des Weltmarktes und das Fehlen einer spezifischen Politischen Ökonomie des Sozialismus. Hier blieben für eine Übergangsgesellschaft entscheidende Probleme theoretisch ungelöst. Und das konnte auch in der Praxis durch Wirtschaftspolitik nicht wettgemacht werden.

Theo Pirker und andere: Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsführung in der DDR, Opladen 1995.

 

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